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Corona Musiker wünschen sich Normalität

Interview mit der Geschäftsführerin der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Anita Bader und Chefdirigent Jan Michael Horstmann.

Von Klaus-Peter Voigt 25.01.2021, 23:01

Volksstimme: Wie fühlen Sie sich im Moment?

Anita Bader: Das kann ich ganz kurz auf den Punkt bringen. Alle 31 Musiker und Mitarbeiter der Kammerphilharmonie macht dieses Warten, diese Zwangspause ratlos und frustriert. Eine Zahl mag das belegen: 2020 fehlten uns fast eine halbe Million Euro an Einnahmen. Um so glücklicher sind wir, dass das Land, der Salzlandkreis und unsere Sponsoren, die Stadtwerke Schönebeck, die Salzlandsparkasse und die Stadt Schönebeck, die Förderung unseres Klangkörpers ungebrochen aufrechterhalten. Zudem hilft es, dass wir die Regelungen zur Kurzarbeit nutzen können. Das entlastet unser Budget erheblich. Unsere Situation und die von anderen Ensembles sowie ganz besonders den selbstständigen Solo-Künstlern erfordert mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die kulturelle Vielfalt bei uns, in der Politik und im öffentlichen Verständnis. Dann lassen sich Strukturen retten und sie zukunftssicher bewahren.

Jan Michael Horstmann: Schlimm ist ja besonders, dass es für uns unklar ist, wann es weitergeht. Knackpunkt scheint mir Anfang April Ostern zu sein. Spätestens danach brauchen wir wieder Normalität im Spielbetrieb und Klarheit, wie es weitergeht.

Sie, Herr Horstmann, traf die Aussetzung des Spielbetriebs zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Ihre erste Konzertsaison als Chefdirigent hatte hoffnungsvoll begonnen …

Jan Michael Horstmann: Zweifellos. Meine erste Spielzeit hier im Salzlandkreis hatte ich thematisch ausgerichtet, ihr quasi einen dramaturgischen Rahmen gegeben. „Verfemte“ Komponisten, die es immer gab, wollten wir konsequent in unsere Konzerte einbinden, ihre großartigen Werke zur Aufführung bringen. Unsere beiden Abo-Reihen – die „Festlichen cammerphilharmonischen Concerte“ und die „Großen Unterhaltungs-Concerte“ - sollten da interessante Erlebnisse bringen. Auch weitere Auftritte waren davon beeinflusst. Mit dem Start waren wir alle sehr zufrieden, bis, ja bis wir in voller Fahrt gestoppt wurden. Zahlreiche geplante Konzerte fielen der pandemiebedingten Schließung unserer Spielstätten zum Opfer.

Anita Bader: Mit einem ausgefeilten Hygienekonzept durften wir ab Juni für einige Monate weiterspielen, allerdings vor deutlich weniger Publikum. Lassen Sie mich beispielhaft den Dr.-Tolberg-Saal in Salzelmen nennen. Statt der sonst üblichen 234 Plätze konnten wir dort gerade einmal 98 nutzen. Manche Konzerte spielten wir deshalb mehrfach, um diese Differenz auszugleichen, doch eine wirkliche Lösung war das nicht, denn dies kostete mehr Geld und belastete das Ensemble.

Wie sind Sie nun diesen Zwangspausen begegnet? Einfach nur die Hände in den Schoß legen, wäre keine Lösung gewesen. Musiker brauchen Proben, müssen durch gemeinsames Spielen fit bleiben.

Jan Michael Horstmann: Genauso ist es. Wir haben Ideen entwickelt, um die Situation gut zu meistern. So treffen wir uns seit Anfang November in kleinen Gruppen, um wenigstens bei Kammermusik auf Tuchfühlung zu bleiben und dennoch die Hygienebestimmungen einhalten zu können. Dadurch entstehen interessante Zusammensetzungen unserer Musiker, für die im täglichen Probenbetrieb meist zu wenig Zeit bleibt. Das kann in der Zukunft bei zusätzlichen Offerten für das Publikum im Salzlandkreis helfen. Warum sollen nicht unsere „Cammerconcerte“ im Museum von Bad Salzelmen auch an anderen Orten gespielt werden? Ein weiteres Beispiel für einen flexiblen Umgang mit der uns zur Verfügung stehenden Zeit ist die aktuelle CD-Produktion der Kammerphilharmonie. Sie gilt den bereits erwähnten, verfemten Komponisten. Kurzentschlossen veränderten wir das Konzept, entschieden uns dafür, zwei Silberscheiben statt nur einer aufzunehmen. Dafür hatten wir Zeit, und die wollten wir bestmöglich nutzen. Aus der Not machten wir eine Tugend.

Die umfangreichere Produktion muss finanziert werden …

Anita Bader: Die Förderer des Vorhabens, die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Stiftung Lichterfeld, hielten zu uns. Sie ermöglichten durch die „Umschichtung“ des Geldes, das für andere Dinge, die pandemiebedingt ausfielen, vorgesehen war, die Herstellung der Doppel-CD. Mit einem Quäntchen Glück können wir die ab Mitte April verkaufen.

Die aktuelle Spielzeit muss noch mehr als die vorige mit erheblichen Einschnitten klarkommen. Wie gehen Sie damit um?

Jan Michael Horstmann: Nur ein Beispiel: Alle geplanten 18 Neujahrskonzerte sind ausgefallen. Der thematische Rahmen, der 2020/2021 bei Werken von Komponistinnen liegt, die grandios Meisterliches geschaffen haben, die in den Bibliotheken vor sich hin lagern oder nicht einmal verlegt wurden, konnte nur ansatzweise ausgefüllt werden. Wir überlegen, ob das Thema in zwei Jahren noch einmal aufgegriffen wird. Die nächste Saison haben wir bereits komplett zusammengestellt und wollen daran keinesfalls rütteln, zumal Künstler verpflichtet und Stücke in Auftrag gegeben sind.

Schmerzlich erweist sich für das Publikum die Absage des Operettensommers 2020. Alles war doch dafür eigentlich in Sack und Tüten …

Anita Bader: Da haben wir uns für die komplette Verschiebung der Inszenierung „Die lustige Witwe“ auf dieses Jahr entschieden. Alle Beteiligten konnten sich darauf einstellen, Regisseurin Katharina Kutil kommt wieder aus Wien und auch die Ausstattung steht. Wir wollen alles dafür tun, um auf dem Bierer Berg spielen zu können, selbst wenn Hygieneanforderungen dafür uns gewisse Grenzen setzen.

Apropos Bierer Berg: Ohne Sponsoren sind zahlreiche Projekte nach wie vor kaum umzusetzen. Halten die Förderer zu Ihnen?

Anita Bader: Ein klares Ja von mir. Auf dem Berg drückt sich das beispielsweise in der neuen Bestuhlung aus, deren Kauf 18 Firmen und mehr als 200 Privatpersonen aus der Region ermöglichten. Statt weniger bekommen wir eher zunehmend Unterstützung, worüber wir sehr dankbar sind. Das zeigt, dass unser aller Wunsch, nicht vergessen zu werden, auf fruchtbaren Boden fällt. Das stimmt optimistisch, hilft uns, hoffnungsvoll nach vorn zu blicken.

Welche Vorhaben fallen Ihnen da spontan ein?

Jan Michael Horstmann: Am 27. Januar steht eine besondere Premiere im Bernburger Carl-Maria-von-Weber-Theater auf unserem Programm. Da wir ja ohne Publikum spielen müssen, bieten wir eine Übertragung per Livestream direkt in das häusliche Wohnzimmer an. „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist eine Monooper von Grigori Frid, die den unbeugsamen Lebenswillen des Mädchens in den Mittelpunkt rückt. Die Titelrolle singt Miriam Sabba. Das Libretto, fast wortgetreu aus dem Original übernommen, wird in eine musikalisch-lyrische Erzählung integriert. Das Thema hat nach wie vor eine hohe Aktualität, und das Stück soll für zwei Jahre im regulären Spielplan zu finden sein. Wir würden uns freuen, wenn es in der Bildungsarbeit Beachtung findet. Möglich wurde dieses Projekt durch den coronabedingten Ausfall einer Koproduktion mit dem Theater der Altmark in Stendal. Die Operette „Hochzeitsnacht im Paradies“ von Friedrich Schröder hätte auf dem Programm gestanden. Wir sind zuversichtlich, diese im Herbst 2021 auf die Bretter bringen zu können.