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Archäologie Das Drama von Pömmelte wird untersucht

Am Rande des Ringheiligtums legten die Archäologen ein Grab frei, das einige Rätsel aufgibt. Eine junge Frau wurde mit zwei Kindern beigesetzt. Merkwürdig ist die Bestattungsform. Deshalb ist das Grab mittels aufwendiger Blockbergung geborgen und „im Stück“ in das Landesmuseum nach Halle transportiert worden.

Von Thomas Linßner 09.07.2021, 15:13
Eine junge Frau wurde auf dem Bauch liegend gestreckt beigesetzt. Zwei Kinder liegen neben ihr in der typischen Hockerstellung.
Eine junge Frau wurde auf dem Bauch liegend gestreckt beigesetzt. Zwei Kinder liegen neben ihr in der typischen Hockerstellung. Foto: Thomas Linßner

Pömmelte - Wurden am Rande des Ringheiligtums bisher menschliche Individuen gefunden, dann überwiegend in den sogenannten Hockergräbern. Dabei wurde der Leichnam mit angewinkelten Armen und Beinen niedergelegt. Es gibt seitliche Hocker oder solche in Bauch- und Rückenlage. Diese Art der Bestattung gehört zu den ältesten bekannten Beerdigungsformen. Die ältesten bisher gefundenen Gräber datieren in die Jüngere Altsteinzeit. In Europa war diese Bestattungsform ab der frühen Jungsteinzeit (ca. 5600 bis 2200 vor Christus) bis in die frühe Bronzezeit die häufigste.

Keinereguläre Totenlage

Doch was die Archäologen des Landesamtes für Archäologie Halle jetzt fanden, ist so merkwürdig, dass das Grab im Block geborgen wurde.

Eine junge Frau liegt gestreckt, also nicht gehockt, auf dem Bauch, ganz dicht neben ihr zwei Kinder. „Das eine Kind ist nur durch seine Zähne sichtbar, das andere ist besser erhalten“, sagte der Anthropologe Dr. Jörg Orschiedt. Auf- fällig bei der Frau sei, dass sie beide Arme zur linken Seite wegstreckt und auf einem Arm aufliegt. Auch dass eine Hand flach an der Grubenwand anliegt, sei ungewöhnlich. „Das ist jedenfalls keine reguläre Totenlage“, betont Orschiedt nüchtern. Die spannende Frage sei auf jeden Fall: Was ist hier passiert? Handelt es sich um eine Mutter mit ihren beiden Kindern? Wie kamen sie ums Leben? Und warum wurde die Frau wider aller damaligen Beisetzungsformen gestreckt beerdigt?

Die Untersuchung der beiden Blöcke (ein kleiner und ein großer) soll in den kommenden Monaten in Halle erfolgen.

Nach der Untersuchung und Auswertung unter Laborbedingungen könne die Pömmelter Blockbergung auf besondere Weise präpariert und im Landesmuseum präsentiert werden.

Diese seltsame Bestattungsform wurde am Rande des Ringheiligtums freigelegt. Der Anthropologe 
Dr. Jörg Orschiedt untersuchte das Grab, bevor es im Block geborgen wurde.
Diese seltsame Bestattungsform wurde am Rande des Ringheiligtums freigelegt. Der Anthropologe Dr. Jörg Orschiedt untersuchte das Grab, bevor es im Block geborgen wurde.
Foto: Thomas Linßner

„Das wird auf alle Fälle ein Exponat“, unterstreicht Jörg Orschiedt. Im Gegensatz zu anderen menschlichen Knochen seien diese drei Individuen relativ gut erhalten. Denn in der Regel ist der Pömmelter Boden sauer, was die Zersetzung fördert.

Die wohl bekannteste Blockbergung sind gefallene Solda-ten des Dreißigjährigen Krieges aus einem Massengrab von Lützen (Burgenlandkreis). Es enthält die sterblichen Überreste von 47 Männern. Dort fand eine der blutigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges 1632 statt, in der auch die Symbolfigur der protestantischen Kriegspartei, Schwedenkönig Gustav II. Adolf, sein Leben verlor.

Die Untersuchung erfolgte mit den modernsten bioarchäologischen Methoden. Sie ermöglichte „Steckbriefe“ für jeden Gefangenen mit detaillierten Angaben zu dessen Herkunft, Lebensumständen und Sterbedaten zu erstellen und den namenlosen Toten auf diese Weise einen Teil ihrer Identität wiederzugeben.

Die älteste Kernfamilie der Welt aus Eulau

Die Präparierung von Blockbergungen hat eine lange Tradition im Landesmuseum Halle. Die Ausmaße und das Gewicht des Massengrabes übertrafen jedoch alle bisherigen Erfahrungen. Rund 54 Tonnen wogen die beiden Blöcke aus Lützen. Für die Sonderausstellung „Krieg – eine archäologische Spurensuche“ wurde das Massengrab aufrecht stehend 2015/16 präsentiert.

Auch die Familiengräber von Eulau (Burgenlandkreis) wurden im Block geborgen. Im Zuge der Untersuchungen konnten die verwandtschaftlichen Beziehungen der Bestatteten und ihre Todesursachen durch anthropologische Untersuchungen und DNA-Analysen festgestellt werden. Sie erbrachten den Nachweis der bisher ältesten Kernfamilie der Welt. Die Gräber datieren zum Ende des 3. Jahrtausends vor Christus und somit in die Zeit der kupfersteinzeitlichen Schnurkeramik-Kultur. Als Todesursache konnte dort eindeutig Gewalteinwirkung festgestellt werden.

Die Toten von Eulau müssen bei einem Überfall ums Leben gekommen sein. Sie wurden – ebenfalls wider aller Bestattungsrituale – so ungewöhnlich ineinander verschränkt beigesetzt, dass die Archäologen verwandtschaftliche und emotionale Beziehungen zwischen ihnen vermuteten. So liegt in einem Grab eine ganze Familie - Vater, Mutter und zwei Kinder -, was bisher weltweit einmalig ist.

Ehe über die Frau mit den zwei Kindern aus Pömmelte Ergebnisse vorliegen, werden viele Monate ins Land gehen.