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Ziegeleiarbeiter verzierten jeden 1000. Dachziegel zu einem kleinen Kunstwerk Die schönsten Feierabendziegel im öffentlichen Raum werden übersehen

Von Thomas Linßner 24.04.2012, 05:19

Sogenannte Feierabendziegel sollten im Mittelalter Hexen fern halten. Im 18. und 19. Jahrhundert waren sie Zierrat von Dächern und man erhoffte sich Glück durch sie. In heutigen Dacheindeckungen sind sie kaum noch zu finden. Wohl aber an Barbys Stadtmauer oder im Museum.

Barby l Die Elbestadt hat einige kleine Blickfänge, die im Alltag oft übersehen werden. An der sanierten Stadtmauer neben dem Awo-Pflegeheim im Stadtgraben wurden 1998 acht sogenannte Feierabendziegel befestigt. Der heimatkundlich versierte Lehrer Klaus Felsch stellte sie damals zur Verfügung.

Die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden Ziegel zeigen Sonnensymbole und Jahreszahlen. Auf einem ist unter der Jahreszahl 1822 ein "Eisernes Kreuz" abgebildet. Die Befreiungskriege gegen Napoleon (1813 Leipzig, 1815 Waterloo) wirkten offenbar bei den Arbeitern in der Ziegelei noch nach.

Weitere Feierabendziegel findet man ebenfalls an der Stadtmauer in der Thälmannstraße und an einem Wohnhaus in der Bahnhofstraße. Letztere wurden ebenfalls von Klaus Felsch für eine Versteigerung zur Verfügung gestellt, die der damalige Fremdenverkehrsverein Mitte der 90er Jahre organisierte.

Es war vor 200 bis 300 Jahren Sitte, jeden tausendsten Ziegel zu verzieren, bevor er in den Brennofen geschoben wurde. Dem Einfallsreichtum der Arbeiter waren keine Grenzen gesetzt. Sogar Abdrücke von Kinderhänden und -füßen fanden sich darauf. Vielleicht wollte der Bauherr seinem Nachwuchs auf diese Weise ein Denkmal setzen. Oder es waren die Knirpse der Ziegeleiarbeiter, die ihren Vätern das Essen brachten.

Beeindruckend ist die Qualität der Ziegel. Sie lagen (nach mehreren Umdeckungen) teilweise 200 Jahre auf den Dächern. Wer großes Glück hat, findet sogar noch heute Feierabendziegel auf alten Häusern.

Der Begriff Feierabendziegel ist allerdings irreführend. Aus einer historischen Sichtweise verklärt er die Knochenarbeit der Ziegler, die unter härtesten Bedingungen, bis zu 14 Stunden täglich, tausend Ziegel brennen mussten. Es war nicht immer der letzte Ziegel des Arbeitstages, der verziert wurde. Zwischendurch, wenn sie Pause hatten, verewigten sie sich im weichen Ton. Häufig sprach man auch von Glücks- oder Sonnenziegeln.