Schönebecker Maler Eberhard Frank berichtet vom großen Nachbarsjungen von gegenüber / Oberbürgermeister bedauert Ablehnung "Einem Tübke klopft man nicht auf die Schulter"
Mit Schönebeck verbinden sich die Namen bedeutender Künstler. Christoph Grüger heißt der eine, Dario Malkowski der andere. Beide haben sich weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Zur hiesigen Künstlergilde gehört aber auch Werner Tübke. Sein wohl bekanntestes Werk ist das Bauernkriegs-Panorama in Bad Frankenhausen.
Schönebeck l Das Atelier von Eberhard Frank auf einem Hinterhof am Schönebecker Markt strahlt eine kreative und zugleich gemütliche Atmosphäre aus. Der 77-Jährige wohnt und arbeitet nur einen Steinwurf vom Geburtshaus eines Mannes entfernt, der sich mit dem Panorama des Bauernkrieges in Bad Frankenhausen selbst ein Denkmal gesetzt hat. Werner Tübke heißt der Mann, der auf eine Ebene gestellt wird mit Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Heinz Zander. Tübke, am 30. Juli 1929 in Schönebeck geboren, verließ als junger Mann seine Heimatstadt und lebte bald in Leipzig.
Eberhard Frank war damals noch ein Kind. Tübkes wohnten am Markt 13, schräg gegenüber hatten die Franks ihr Haus, inklusive einer Malerfirma. Die hatte der Großvater von Eberhard Frank einst gegründet, der Vater hatte sie übernommen. "Unsere Eltern kannten sich", erinnert sich der heute 77-Jährige. Damals sei am Schönebecker Markt viel mehr los gewesen, als heute. "Man kannte sich untereinander. Das war so", sagt der Schönebecker und nimmt ein knapp 30 mal 50 Zentimeter großes Bild von der Wand.
Bild war wohl Gegenleistung für Handwerksarbeiten
Dem Betrachter schaut ein junger Mann entgegen. Kleidung und Brille deuten auf die Zeit der 1940er Jahre hin. Stimmt. "Das ist ein Selbstportrait von Werner Tübke. Er hat es als 18-Jähriger gemalt. Das war also 1947", überrascht Eberhard Frank mit einem echten Tübke. Ein mildes Lächeln huscht um seine Lippen: "Damals wusste er noch gar nicht, was er werden würde." Das Bild ist noch nicht einmal katalogisiert. Es taucht in keiner Liste auf. Es ist das Bild eines sehr erwachsen dreinblickenden jungen Mannes und verrät auch für den Laien unverkennbar das außerordentliche Talent der Person, die hier den Pinsel geführt hat.
Tübkes Witwe habe sich beim Anblick des kleinen Gemäldes vor einigen Jahren begeistert gezeigt. Das Bild kenne sie noch gar nicht, habe sie erstaunt erklärt.
Wie genau es ins Haus der Franks kam, ist nach so vielen Jahren nur zu vermuten. "Ich weiß, dass mein Vater als Malermeister die Räume am Markt 13 hergerichtet hat. Offenbar hat er als Dankeschön dieses Portrait bekommen", mutmaßt Eberhard Frank.
Für ihn sei das Bild immer schon der Tübke als Nachbar gewesen, der große Junge von gegenüber. "Für Werner Tübke war ich, der sechs Jahre Jüngere, wohl nur ein kleines Würstchen", verweist der Schönebecker auf Einschätzugen, die im Jugendalter zu allen Zeiten gang und gäbe waren und noch immer sind.
Dass Werner Tübke Schönebeck verließ, beurteilt Eberhard Frank als zwangsläufig. "Die Stadt war ihm wohl viel zu klein", meint er.
Sein Interesse am großen Nachbarsjungen wuchs dann eher mit den Jahren in rein fachlicher Hinsicht. "Ich habe dann ja auch Malerei studiert, sogar beim selben Dozenten wie zuvor Werner Tübke, nämlich bei Wilhelm Paulke. Selbstverständlich habe ich mich mit dem beschäftigt, was Tübke schuf", macht Eberhard Frank die Verbundenheit zum Werk des Älteren deutlich. Der sei übrigens in den 1940er Jahren zu Fuß von Schönebeck zur Fachschule nach Magdeburg gelaufen, um die Vorlesungen zu besuchen. So besessen war Werner Tübke von der Malerei.
Was ihn und Tübke trennte, waren außer den sechs Jahren Altersunterschied die jeweiligen Vorbilder. Eberhard Frank orientierte sich unter anderem an den Expressionisten des 19. Jahrhunderts, Tübke an den Meistern der Gotik. "Denen hatte er sich verschrieben", ist sich der Künstler sicher. Das zeige sich auch am Panoramabild in Bad Frankenhausen.
Später, als Erwachsene, sind sich Eberhard Frank und Werner Tübke hin und weider über den Weg gelaufen. Wie war das? "Na ja, sachlich halt. Man klopft jemanden wie Tübke nicht einfach auf die Schulter", spricht der Schönebecker den renommierten Ruf an, den sich der Professor erworben hatte.
Bei den Fragen nach dem Werk des Meisters und seiner Bedeutung und Schwere betritt Eberhard Frank philosophisches Terrain. "Ein Leben ist viel zu kurz, um sich ausdrücken zu können", sagt er und fügt aus eigener Erfahrung abwägend hinzu: "Man kann mit seiner Malerei nur aufrütteln. Die großen Dinge ändern - geht nicht." Das klingt melancholisch, fast ernüchtert. Oder?
Eberhard Frank lächelt wieder milde und relativiert: "Man muss auch mal zufrieden sein können mit sich selbst. Sonst hat man keine Kraft mehr für Neues."
In der Welt der Künste hat Tübke indes mehr Eindruck hinterlassen, als im Stadtrat seiner Geburtsstadt. Der Rat hätte im Dezember 1999 einer Beschlussvorlage zustimmen können, mit der Tübke zum Ehrenbürger Schönebecks ernannt worden wäre. Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase hatte den Vorschlag unterbreitet. Die notwendige Zweidrittelmehrheit kam nicht zustande. Einige Stadträte begründeten ihre Ablehnung mit dem Hinweis, Tübke hätte nichts für Schönebeck geleistet.
Gestern sagte der Schönebecker Stadtchef, von der Volksstimme um eine Reflexion befragt: "Ich bedauere nach wie vor, dass es keine Mehrheit gab, jenen international geachteten Künstler zu ehren, der Schönebecker war, was immer wieder auch zitiert wird. Sein Geburtshaus steht am Markt, er hatte seine Heimatstadt im Grunde nie vergessen."
In Leipzig, der Wahlheimat von Werner Tübke, gibt es inzwischen eine Villa Tübke und eine Tübke Stiftung. Eine Straße soll im Stadtteil Probstheida nach ihm benannt werden. Das Grab des Professors findet sich auf dem Leipziger Südfriedhof, unweit des künftigen "Tübkebogens".