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Engagement Spaziergang mit Spachtel in Barby

Auf seiner täglichen „Hunderunde“ hat Alfred Gutkäse aus Barby stets einen Spachtel dabei, um Moos von einer Holzbrücken zu entfernen.

Von Thomas Linßner 23.11.2020, 00:01

Barby l Alfred Gutkäse und West Highland Terrier Teddy machen fast täglich ihre Runde über den Elbwerder. Die vielen Gerüche sind für den kleinen Hund wie Facebook für junge Menschen. Überall schnuppert es wie Tausend und eine Nacht nach Artgenossen, Zweibeinern, Tieren und Pflanzen, mit denen man in Kontakt treten möchte.

Doch wenn Alfred über die beiden Holzbrücken schlendert, ist es für Teddy vorbei mit der Sinnlichkeit. Ihm bleibt weiter nichts übrig, als innezuhalten, sich geduldig auf den Boden zu legen und ein bisschen nach den nervigen Krähen zu schielen, die herum spektakeln. Denn Herrchen holt immer wieder an dieser Stelle einen Spachtel aus der Tasche und schabt damit am Holz.

Nun ist der ehemalige Werkzeugmacher weit davon entfernt, drollig zu werden und sich vom Metallbearbeiter zum Holzschädling zu entwickeln. „Wir können das viele Moos nicht mehr mit ansehen“, sagt der 79-Jährige, dem man sein Alter nicht ansieht. Grund dafür war seine sportliche Laufbahn. Doch dazu später.

Wir? Alfred Gutkäse gehört zum „Hundeclan“. Immer an den Wochenenden treffen sich Gleichgesinnte, um mit ihren Vierbeinern gemeinsam über den Elbwerder zu spazieren. Zu ihnen gehört auch Eckhard Jacob, der auch ein Spachtler ist, infolge beruflicher Tätigkeit aber nur sporadisch schabt.

Alfred hat Zeit. Weil er Rentner ist und jenes Gen in ihm steckt, der Allgemeinheit etwas Gutes zu tun.

„Ist doch nicht weiter schlimm, hier mal anzuhalten und das Moos von den Brücken zu entfernen“, sagt er. Die wurden Mitte der 1990er Jahre erbaut, als der Elb- und Hohe Werder zum parkähnlichen Areal umgestaltet wurden. Das geschah im Zuge des Rehaklinikbaus. Seitdem ist der Werder „Terrain“ der Reha-Patienten und Lieblingsspazierfeld der Barbyer.

Täglich schafft Alfred ein, zwei Quadratmeter. Die erste Brücke über eine kleine Flutrinne im „Eichelwald“ ist schon entmoost. Spaziergänger, die hier die Nutrias füttern oder den Lauf der Welt beklagen, sehen ihm aus einer Mischung aus Verwunderung und Anerkennung zu.

Vermutlich stand beim stillen Engagement des Alfred Gutkäse die heimatliche Prägung Pate. „Ich kenne den Elbwerder seit meiner Kindheit“, sagt er. Hier wurde in der Kleinen Elbe gebadet, als die Wasserqualität es noch halbwegs zuließ, hier diente der „Stummeldamm“ als Rodelhang, hier tummelten sich rotnasige Kinder und Jugendliche in klirrend kalten Wintern beim Eishockey. „Wir waren stolz, wenn uns die Großen wie Rulle ins Tor ließen“, weiß Gutkäse noch.

Damit ist Rudi „Rulle“ Horschig gemeint, zu dem man aufblickte, weil er Boxer war. Rulle ist heute 85 und schiebt tapfer täglich mit Ehefrau Irma den Rolllator vor sich her. Aus Gründen der Beweglichkeit. Denn der beste Weg zur Gesundheit ist der Fußweg …

Apropos, Sport. Alfred Gutkäse kickte Ende der 1950er Jahre unter der Fahne der NVA als Fußballer beim ASK Neubrandenburg. Er hatte sich für sechs Jahre verpflichtet. Der Armeesportklub war in der DDR-Liga Nord mehr oder weniger erfolgreich. Nach einer Verletzung bekam er den Posten als Kompanieschreiber, wechselte wieder genesen nach dem „Ehrendienst“ zu Empor Barby. Dort kickte „Fredy“ aus dem Stadtgraben als Mittelstürmer.

Ein Spiel, das er nicht vergessen wird, fand 1969 auf dem Barbyer Sportplatz statt. Empor trat gegen den 1. FC Magdeburg an! Der Stadionsprecher kriegte sich bald nicht mehr ein, den damals schon populären „Sportfreund Sparwasser“ immer wieder anzukündigen. Es war jener Jürgen, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1974 das Siegestor der DDR-Auswahl gegen den späteren Weltmeister BRD schoss und 1988 in den Westen türmte. „Wir waren froh, dass wir nur einstellig verloren haben“, lächelt der 79-Jährige.

Und wie lautete das Ergebnis? „7:0!“ Anteil daran hatte der Barbyer Keeper Günter Sieweck. „In der zweiten Halbzeit brachte Torwart Sieweck den Magdeburger Sturm mit seinen tollen Paraden zur Verzweiflung“, schrieb die „Volksstimme“ 1969 begeistert. Auf dem verblassten Foto ist Bürgermeister Otto Gerstner zu sehen, wie er Sieweck und seine Spielkameraden beglückwünscht. Über tausend Zuschauer säumten das Spielfeld, um Stars wie Sparwasser, Moldenhauer, Seguin oder Zapf im Spiel gegen die Barbyer Auswahl zu erleben.

Das sind Momente, die man nicht vergisst. Wenn man zum Beispiel eine Holzbrücke vom Moos befreit.