Oder: An jeder Sage ist ein Körnchen Wahrheit. Von Falk Rockmann Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Knecht Ruprecht und das Tanzwunder von Cölbigk
Sagen und Geschichten sind ein Stückchen Heimat. Ilberstedt, eine politisch noch selbstständige Gemeinde zwischen Bernburg und Güsten im Salzlandkreis, hat vor wenigen Jahren die Sage von Ruprecht und dem Tanzwunder von Cölbigk für sich (wieder)entdeckt.
Cölbigk l Warum nicht? Eine Geschichte wertet auf. Ob sie letztendlich Initialzündung für ein Touristenziel wird oder zu einem Wallfahrtsort führt, das entscheidet nicht zuletzt die weitere Vermarktung. Das ist heute so wie vermutlich vor 1000 Jahren.
Vor knapp 1000 Jahren soll sie sich jedenfalls zugetragen haben, die Sage vom Tanzwunder von Cölbigk. Deren "Vermarktung" damals funktionierte offenbar. Das Örtchen wurde immerhin zu einem Kloster und Wallfahrtsort. Sicher half ein heißer Draht zum Bistum Köln. Heute ist Cölbigk ein kleiner Ortsteil von Ilberstedt mit etwas über 200 Einwohnern.
"Ich kann mir schon vorstellen, wie der Gottesdienst von jungen Leuten gestört wurde und der Priester entsprechend ärgerlich reagiert hat."
Ein Priester namens Rupertus verhalf dem Örtchen an der Wipper zu weitreichendem Bekanntheitsgrad. Er muss wohl sehr ruppig gewesen sein. Zu Recht. Denn sein Zorn galt einer Meute von ungläubigen Bauern, die partout nicht aufhören wollten, mit ihrem Tanz vor der Kirche die heilige Messe zu stören. Und das auch noch am Heiligen Abend. Rupertus verfluchte sie, worauf die Männer und Frauen ihren (möglicherweise Veits-)Tanz ein ganzes langes Jahr vollführen mussten. Bis ein Bischof aus Köln sie erlöste.
"Ich kann mir schon vorstellen, wie der Gottesdienst von jungen Leuten gestört wurde und der Priester entsprechend ärgerlich reagiert hat", erklärt Gustav Malchow, der Vorsitzende der Kirchengemeinde St. Severin Ilberstedt, wie er mit der Sage umgeht. "Dass das Tanzwunder ein ganzes Jahr lang gedauert haben soll, liegt vielleicht daran, dass der tatsächlich als Krankheit existierende Veitstanz in der Sage verarbeitet wurde." Die Kirchengemeinde sei jedenfalls stets daran interessiert, die Geschichte aufrechtzuerhalten.
Der Priester Rupertus ist historisch ebenso belegt wie die Existenz der St.-Magnus-Kirche von Cölbigk, von der heute übrigens nicht viel mehr übrig geblieben ist, als ein paar Fotos, ein Taufstein, eine Turmuhr-Glocke sowie ein Teil der Wetterfahne. Dieses Stück Kupferblech stellt immerhin den Knecht Ruprecht mit vollem Gabensack und Wanderstock - oder besser - Rute dar.
Einwohner des Wipperdorfes hatten die Übrigbleibsel nach dem Zusammensturz des baufälligen Gotteshauses 1968 aus der Ruine geklaubt und in Sicherheit gebracht.
Der originale Taufstein war erst vor fünf Jahren nach Ilberstedt zurückgekehrt, nachdem ein Tierarzt aus Bernburg ihn im Garten als Blumenschüssel genutzt hatte.
Die Wetterfahne musste schon zuvor einiges ertragen - als Zielscheibe für US-amerikanische Soldaten, die 1945 über den Walkhügel in Cölbigk und Ilberstedt einmarschierten. Sieben großkalibrige Durchschüsse im millimeterstarken, schwarzen Kupferblech sind deutlich zu erkennen.
Die Sage wird eben nicht zuletzt mit dem Ilberstedter Ruprechtmarkt, der vor neun Jahren ins Leben gerufen wurde, wieder mit Leben erfüllt. Anfangs stellten noch Mitglieder des Heimatvereins und des Jugendclubs der Gemeinde mit ihren wilden Tänzen das Tanzwunder von Cölbigk dar, was sogar Fernsehkameras anlockte.
Die stilechte Fortsetzung des Ganzen scheitert heute schließlich am fehlenden Nachwuchs, wie Karin Fräsdorf vermutet, die sich einst im Ilberstedter Heimatverein für die Überlieferung der Sage sehr engagierte. "Und die Alten wollen nicht mehr", zuckt sie mit den Schultern.
Eher weltlich geht Bürgermeister Lothar Jänsch mit der Sage um. Er habe diesbezüglich mit der Kirchengeschichte "nichts am Hut", aber dem Treiben steht er natürlich offen gegenüber und freut sich immer wieder, wenn er zum Ilberstedter Ruprechtmarkt auch Tanzgruppen ins Programm schreiben kann. Das Gleiche gilt für Heimatfeste der Gemeinde. Immerhin macht die Sage seinen Ort doch irgendwie bekannt.
Der Heimatverein Ilberstedt ist sehr bemüht, immer wie-
der Tanzgruppen und Cheerleader in sein Frühlingsfest zu integrieren. Und auch die evangelische Kirchengemeinde ist diesbezüglich sehr engagiert. Beim 9. Ruprechtmarkt am vergangenen Wochenende, den übrigens Kirche, Gemeinde, Feuerwehr und ganz viele Vereine immer gemeinsam auf die Beine stellen, konnte die Mittelalter- und Renaissance-Tanzgruppe vom Sassenbloume e.V. des benachbarten Schlosses Plötzkau gewonnen werden.
Zwar liegen da einige Jahrhunderte zwischen der Zeit des Tanzwunders und der Epoche, die die Gruppe verkörpert, doch Thomas Dube vom Verein ist es recht, irgendwie damit in Verbindung gebracht zu werden. "Wir sind über jede Art Werbung dankbar", gibt er zu.
Die Kirchengemeinde hat jedenfalls eine umfangreiche Sammlung in Sachen Tanzwunder, Knecht Ruprecht und Kloster Cölbigk zusammen getragen, die hinter dem Portal der St.-Severin-Kirche zu finden ist und der von Besuchern viel Beachtung geschenkt wird.
Recht pragmatisch geht die Ilberstedterin Birgit Gerlitzki mit der Geschichte um. "Ein Körnchen Wahrheit ist doch an jeder Sage dran", meint sie.
Die junge Frau leitet übrigens eine Cheerleadergruppe in Bernburg, die ebenfalls am vergangenen Wochenende beim Ilberstedter Ruprechtmarkt auftreten durfte und großen Anklang beim Publikum fand.
Auch Pfarrer Arne Tesdorff sieht die Sache mit dem Tanzwunder übrigens realistisch. "Meist haben Sagen einen historischen Kern, und es wurde was drumherum gedichtet. Wieviel Dichtung oder Wahrheit am Tanzwunder ist, das kann man nach so langer Zeit nicht mehr sagen. Vieles ist mündlich überliefert. Da bleibt mal was weg und anderes wird eben dazugedichtet. Das hat man oft auch bei biblischen Geschichten. Das ist unbestritten selbst von Atheisten." Ein Beleg, dass da was geschehen sein muss, sei die Tatsache, dass Cölbigk ein Wallfahrtsort geworden ist, wenn auch nicht für lange Zeit.
"Und es ist bis heute so, dass die Ilberstedter gern ausgelassen feiern", unterstreicht Tesdorff, "Ilberstedt ist die feierfreudigste Gemeinde in meinem Wirkungskreis."
Folgt man zahlreichen geschichtlichen Abhandlungen über den einstigen Priester Rupertus, das Tanzwunder und das Kloster von Cölbigk, ist es durchaus einleuchtend, dass Knecht Ruprecht als Vorgänger des heutigen Weihnachtsmannes an der Wipper geboren sein könnte. Die nur wenige Kilometer von Ilberstedt entfernte Kreisstadt Bernburg nennt ihren Weihnachtsmarkt in Anlehnung an den heiligen Rupertus "Heele-Christ-Markt" und glaubt somit immerhin, ein gewisses Alleinstellungsmerkmal geschaffen zu haben.
Den Durchbruch als vorweihnachtliches Touristenziel hat weder der Heele-Christ-Markt noch der Ilberstedter Ruprechtmarkt geschafft. Die Einwohner des Wipperdorfes wollen das wohl auch nicht. Ihr Markt soll ein gemütlicher bleiben - klein aber fein.
"Wir werden uns im Jahr 2020 zum vierstelligen Jubiläum des Tanzwunders von Cölbigk etwas besonderes einfallen lassen", blickt Kirchenratsvorsitzender Gustav Malchow derweil in die Zukunft. Er wäre dann zwar schon 80 Jahre, aber selbst wenn er sie nicht mehr umsetzen könnte. "Die Idee lebt", ist Gustav Malchow überzeugt. Für Cölbigk sei derweil als nächstes geplant, eine Tafel an der Stelle anzubringen, wo sich die Geschichte zugetragen hat, damit auch Auswärtige ein Bild davon bekommen. "Und uns wäre daran gelegen, die Grundmauern der alten Kirche freizulegen, ähnlich wie im Warmsdorfer Park", erwähnt der Kirchenratsvorsitzende noch. Das Interesse an der Sage sei auf jeden Fall immer wieder zu spüren.