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Heimatgeschichte Als die Postillione noch liefen

1648 gab es die ersten Versuche, in Barby einen geregelten Postbetrieb aufzubauen. Doch das Vorhaben scheiterte zunächst.

Von Thomas Linßner 06.02.2020, 10:00

Barby l Lange bevor die Elbestadt in einen geregelten Postbetrieb einbezogen wurde, überbrachten überwiegend Fleischer die Briefe. Das bot sich an, weil sie von Ort zu Ort zogen, um Vieh aufzukaufen und zu schlachten. Aber auch Stadt- und Klosterboten absolvierten den Nachrichtenaustausch. Es war die Zeit der Botenbriefe, die erst beim Aufkommen der staatlich organisierten Post endete. So sind bei Sammlern sogenannte Barbyer Sächsische Postscheine begehrt, die vom Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts unterwegs waren.

Karl Höse schreibt in seiner Chronik (1913), dass die erste Postanstalt bereits 1648 in Barby gegründet wurde. Zwei Jahre später besaß die Grafenstadt eine wöchentlich zweimalige Postverbindung, die allerdings nicht lange währte.

1771 musste ein Fußbote einmal in der Woche die Sendungen von Köthen oder Magdeburg abholen. Das erste selbständige Postamt wurde 1808 gegründet, wegen schwacher Resonanz aber bald in ein kleineres Postwärteramt umgewandelt. In der napoleonischen Zeit besorgte Gottfried Nebelung die Geschäfte.

Als 1840 die Eisenbahnstrecke Magdeburg-Halle-Leipzig eröffnet wurde, fuhr täglich von Barby aus eine Personenkutsche zum Gnadauer Bahnhof. Die ersten ungezahnten Briefmarken zeigten den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV.; die Wertstufen begannen bei sechs Pfennig bis zu drei Silbergroschen. Ansichtskarten gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Sie wurden als „unsittlich“ abgelehnt.

1897 weihte man das heute noch stattliche Postamt auf dem Marktplatz ein. Die erste öffentliche Fernsprechzelle nahm 1899 ihren Betrieb auf. Um 1900 wurden auf der Bahnstrecke Güterglück-Barby-Güsten täglich sieben Mal (!) Postsendungen auf dem Bahnhof verladen. Das geschah überwiegend mit dem Handkarren.

Eine der bekanntesten Postbotinnen war die 1911 geborene Anna Buchholz (geb. Kersten). Wenn sie Barbyer Orte beschrieb, benutzte sie die Sprache der damaligen Zeit. Ein Dialog mit ihr lautete 2009 so: „Der Voigt hat auf’m Blindenplatz gewohnt.“ „Wo?“ „Na, dem Blindenplatz.“ „Wo war denn der?“ „Gegenüber vom Rautenkranz!“ „Ah, Lindenplatz meinen Sie, der eine Zeitlang Hitlerplatz, hieß.“ „Freilich. Aber wir haben immer Blindenplatz gesagt“, erklärte sie das Wortspiel. Zum Feierabend saßen dort die zahlreichen Blinden der Anstalt, die mit der Bürstenherstellung ihr Geld verdienten. Ihr Arbeitsplatz befand sich in einem Teil des Schlosses.

Während des Zweiten Weltkrieges hatte Anna Buchholz bei der Post angefangen zu arbeiten. Was bis dahin eigentlich eine Männerdomäne war. Doch die Postboten waren an der Front.

Die Sendungen wurden vom Bahnhof abgeholt. Manchmal mussten die Postler bis Mitternacht warten, wenn Fliegeralarm war und die Züge verspätet kamen. Auf dem Weg zum Postamt gingen die Frauen in Deckung, als 1945 im Magdeburger Tor Phosphorbomben explodierten.

Die Zustellung der Todesnachrichten gefallener Soldaten brauchten die Postmitarbeiter nicht zu übernehmen. Dafür war der NSDAP-Ortsgruppenleiter Willi Sickert zuständig. Sein Erscheinen warf jedes Mal einen tragischen Schatten voraus.

Behängt mit Post- und Zeitungstasche hatten die Zustellerinnen zusätzlich einige Kilo Zeitungen auf dem Arm. Weil die Sendungen mit einem Mal nicht zu bewältigen waren, wurden zuvor Packen bei mehreren „Personen des Vertrauens“ im Stadtgebiet deponiert. Zu Fuß galt es nach dem Krieg fünf Stadt-Bezirke zu erledigen. Bei freudigen Anlässen oder zum Dank gab es auch mal Hausgeschlachtetes oder einen Schnaps für die Postillione.

Eine weitere „legendäre“ Postfrau war Erna Jahn. Das Barbyer Original rief den Leuten bei Zustellung von Ansichtskarten und Telegrammen quietschvergnügt zu, was deren Inhalt war. Ein Beispiel sei aus dem Lebensmittelladen von Werner und Elisabeth Uhlmann im Magdeburger Tor zitiert. Hier diente ein Sohn des Hauses Mitte der 1960er Jahre bei der Nationalen Volksarmee. Erna betrat schwungvoll den Laden mit den Worten: „Liesbeth! Euer Volker kommt am Wochenende nicht auf Urlaub!“

Das Wort „Datenschutz“ war damals noch unbekannt.