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Heimatgeschichte Banditen plünderten in Glinde

Unweit von Glinde stand einst das Fährhaus „Schweineglück“. Der entlegene Ort hat das Potenzial für Schauergeschichten.

Von Thomas Linßner 11.05.2020, 01:01

Glinde l Frühjahr 1833. Das Wetter ist mild, die Eisschollen auf der Elbe sind geschmolzen. Fährfrau Haase hat eine Petroleumlampe angezündet und will noch ein bisschen am Spinnrad arbeiten. Ihr Mann schaut draußen nach dem Rechten; das Hausmädchen versorgt die Schweine. Plötzlich hören die Bewohner Stimmen. Das Gemurmel kommt aus Richtung Elbe. Es ist dunkel und Neumond. „Geld her!!!“, schreit eine Stimme, die nach Grabestiefe klingt.

Es ist ein vierschrötiger Kerl, der plötzlich in der Tür steht. Frau Haase erstarrt fast zur Salzsäule. Weitere Banditen stürmen in das Haus, fesseln sie, ihren Mann und die Magd. Dann plündern sie den Hausrat, nehmen mit, was nicht niet- und nagelfest ist.

Die Bewohner des Fährhauses stehen unter Schock. Nur das Hausmädchen aus Frohse, die als Magd bei den Haases arbeitet, bleibt gefasst. Als die Räuber weg sind, raunt sie dem Hausvater zu: „Ich habe einen der Männer erkannt. Er trug die Fackel ja direkt vor seinem Gesicht.“

Die polizeilichen Ermittlungen funktionieren im Staate Preußen. Die Diebe werden gefasst und verurteilt. Nur die junge Frau Haase sollte die Schreckensnacht nie überwinden. Bald drauf verstirbt sie. Der Fährmann heiratet deren ältere Schwester, erreicht mit ihr sogar das Fest der diamantenen Hochzeit. Haase, dessen Vornamen wir nicht kennen, stirbt 1902 zwei Tage vor seinem 100. Geburtstag. Amtsrat Adolph von Dietze nennt den Mann augenzwinkernd „den ältesten Hasen meines Reviers“.

Unterhalb des ehemaligen Dammhauses von Monplaisir erhebt sich noch immer der kleine Fährhügel, der auch bei Hochwasser zu sehen ist. Der Volksmund nennt ihn „Glücks Hügel“, nach dem damaligen Fährmann Glück. Der züchtete Schweine und war Haases Nachfolger. Der Fährstelle kam im 19. Jahrhundert große Bedeutung zu, bis die Brücken in Schönebeck und Barby gebaut wurden. Gleichzeitig war hier eine der ehemaligen Zollstellen.

Alte Glinder, die es noch von ihren Großvätern gehört hatten, erzählten, dass hier ein Teil der napoleonischen Truppen vor dem Russlandfeldzug die Elbe überquert hatte. Im Winter mussten die Bauern aus den nahe gelegenen Dörfern Stroh anfahren. Die Bunde wurden auf das Eis des Flusses gelegt und mit Wasser übergossen. Gefroren erhöhte es die Tragfähigkeit der Eisdecke, so dass sogar Kanonen diesen künstlichen Weg passieren konnten.

Eine weitere Fährstelle befand sich direkt bei Glinde. An einem Weidenbaum auf der Ranieser Seite hing eine Eisenschiene. Mit lauten Schlägen machte man sich bemerkbar, wenn man übergesetzt werden wollte. Auf der westelbischen Seite stand auf dem Damm eine Bretterbude, die dem Fährmann als Unterkunft bei schlechtem Wetter diente.

Der ehemalige Bürgermeister Hermann Schmidt hielt dann Mitte des 20. Jahrhunderts den Fährbetrieb allein aufrecht. Er hatte sich für diesen Zweck einen Kahn mit einer Stahlblechhaut zugelegt und diesen aus Sparsamkeitsgründen mit Kaltanstrich versehen. Männe erregte mit seiner „Schwarzen Galeere“ immer beträchtliches Aufsehen, wenn er auf der Elbe auftauchte. Erst als der Kahn so viele Löcher aufwies, dass der Schmiedemeister Moratz sich weigerte, noch einmal Blechflicken darauf zu setzen, stellte Hermann Schmidt den Fährbetrieb ein.

Laut Schmidt war das spätere Schweineglück im 10. Jahrhundert eine der von König Otto I. genehmigten sieben Fährstellen an der Elbe.

Schmidts Ehefrau Martha (geb. Bethge) wohnte als Kind zwei Jahre lang mit ihren Eltern Johanne und Gottfried in der Einsamkeit des alten Schweineglück-Fährhauses. Deren Tochter Marlies Krafczyk (geb. Schmidt) erinnert sich an die Geschichte, die ihre 1910 geborene Mutter oft erzählte. Bei großen Hochwassern wurde sie von ihrer Mutter mit dem Kahn bis zum etwa 600 Meter entfernten Elbdeich geschippert, wo das heute noch existierende Dammhaus steht. Das elterliche Grundstück lag ja wie eine Hallig im Meer der Elbe. „Im Dammhaus wohnten drei Mädchen. Mit denen ist meine Mutter dann immer den Elbdeich entlang bis nach Glinde zur Schule gelaufen“, berichtet Marlies Krafczyk.

Wann das Fährhaus aufgegeben und abgerissen wurde, ist heute unklar. Nur noch der Hügel und ein paar alte Steine sind dort zu sehen.

Quellen: „Glinde – Unser Dorf am Strom“ (2013), Heinz Warnecke