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Nach einem Geschäftsbesuch in Klein Rosenburg kehrte Barbyer Schiffbaumeister nicht mehr nach Hause zurück Heute vor 100 Jahren verschwand Schiffbaumeister Otto Nebelung spurlos

Von Thomas Linßner 13.02.2012, 05:29

Heute vor 100 Jahren verschwand der Barbyer Schiffbaumeister Otto Nebelung spurlos. Der Fall bewegte die Bevölkerung wie kaum ein zweiter: Fiel der 45-Jährige einem Raubmord oder Unfall zum Opfer?

Barby l "Eine erschütternde Kunde durcheilte am Mittwoch nachmittag unsere Stadt und nahm mit Blitzeseile ihren Weg von Mund zu Mund", beginnt die "Barbyer Zeitung" am 17. Februar 1912 auf der ersten Seite den lokalen Aufmacher. "Herr Schiffbaumeister Otto Nebelung ist seit Dienstag abend, da er sich von Klein Rosenburg auf den Heimweg begeben, spurlos verschwunden." Das Blatt berichtet von ergebnislosen Nachforschungen und kommt zu dem Schluss: "Und so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß Herr Nebelung entweder einem Unfall oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist."

Otto Nebelung ist ein gut aussehender und wohlsituierter Mittvierziger, der die Werft seines Vaters Friedrich 1895 übernommen hatte. Nicht nur seine lachenden Augen machen ihn zum angenehmen Zeitgenossen. Seit November 1911 sitzt er im städtischen Magistrat. Wie sein Vater ist er Mitglied im Schützen- und Kriegerverein. Fotos zeigen beide in geselliger Runde mit Bürgermeister Hermann Boye. Ein geachteter Barbyer, also.

Wer die Zeitung an jenem Sonnabend des Jahres 1912 liest, dem stockt der Atem. Ein Verbrechen? Diese Vermutung verdichtet sich durch weitere Nachforschungen: Am 12. Februar gegen 9 Uhr geht Schiffbaumeister Otto Nebelung zu Fuß nach Klein Rosenburg, um im Rahmen einer Holzauktion Stämme zu besichtigen. Es ist klirrend kalt, auf der Saale treiben Eisschollen.

Für den Werftbesitzer ein Routinegang, wird doch regelmäßig für Neubau- und Reparaturarbeiten Holz eingekauft.

Nach seinem Verschwinden besteht kein Mangel an Zeugen, die ihn in Klein Rosenburg gesehen haben. Sie berichten davon, dass der 45-Jährige "Geld einkassiert und danach im Kinne\'schen Gasthof eingekehrt" sei.

Vermutlich ging es bei Bier und Brathering um Geschäfte und anregende Gespräche. Denn Otto Nebelung verlässt das Lokal ziemlich spät. Erst gegen 20.30 Uhr tritt er den Heimweg an. Gastwirt Kinne und Schiffseigner Sens begleiten den Barbyer bis zur Klein Rosenburger Gierfähre, wo ihn der junge Fährpächter Schnitzendöbel übersetzt. Von dort aus sind es rund drei Kilometer bis zur Breiten Straße in Barby, wo Nebelung wohnt. Der Schiffbaumeister muss über Eisbarrieren steigen, die der Fluss aufgetürmt hat.

Weil es ziemlich dunkel und kalt ist, begleitet ihn der junge Schnitzendöbel mit der Laterne bis zum "Dornenbusch", die der Volksmund später "Eschen" nennen wird. Am folgenden Tag sagt der Klein Rosenburger aus, dafür zum Dank eine Mark bekommen zu haben. "Er will erst zurückgekehrt sein, als ihm Herr Nebelung zurief, daß er nun auf dem richtigen Wege sei. Von da ab hört jede Spur auf", schreibt Zeitungsredakteur Hermann Kropp.

Am 13. Februar 1912 verständigt Nebelungs Ehefrau Berta die Polizei. Die startet im Elbe-Saalewinkel eine umfangreiche Suche. Ergebnislos, wie sich bald heraus stellt.

12000 Mark? In Barby brodelt die Gerüchteküche

In Barby brodelt derweil die Gerüchteküche. Es wird erzählt, der Schiffbaumeister habe in Rosenburg 12000 Mark für einen verkauften Kahn kassiert. Für viele Bürger ist der Fall deswegen klar: Der 45-Jährige ist einem Raubmord zum Opfer gefallen. Nur Wenige meinen, Nebelung hat sich in der Dunkelheit verirrt und ist in der Saale ertrunken.

Wie unsensibel die Öffentlichkeit mit dem Fall umgeht, beweist auch die "Barbyer Zeitung". Nur drei Tage nach dem Vorfall schreibt das Blatt: "Ob jemals Licht in die traurige Affäre kommen wird? Denn selbst wenn die Leiche gefunden würde, wird es schwer sein, aufzuklären, wodurch der Tod herbeigeführt wurde." Noch ist nicht klar, ob Nebelung überhaupt tot ist.

Fünf Wochen später, am 19. März 1912, wird seine Leiche von zwei Schiffbauern am Saalhorn gefunden. Nichts deutet auf ein Verbrechen hin. Die ominösen 12000 Mark hatten sich schon Tage nach dem Verschwinden als Fantasiegebilde herausgestellt.

Als die Polizei den Leichnam in Augenschein nimmt, fällt ihr die goldene Taschenuhr auf. Sie war 21.27 Uhr stehen geblieben. Also knapp eine Stunde nach der Fährpassage.

Warum der Schiffbaumeister in jener Nacht so sehr die Orientierung verlor, dass er weit ab des Weges in die Saale stürzte, wird wohl für alle Zeiten unbeantwortet bleiben.

Neben mehreren Traueranzeigen fällt in der selben Zeitungsausgabe eine kleinere Annonce auf: In der "Otto Nebelung\'schen Schiffswerft" beginnt der Ausverkauf: drei Ackerwagen, mehrere Pflüge, Eggen, eine Hächselmaschine, Brennholz ... Das Leben musste weiter gehen.