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Goldene Hochzeit „Ich habe gebetet in Barby zu bleiben!“

Doris und Norbert Newiger aus Barby feierten goldene Hochzeit.

Von Thomas Linßner 17.11.2015, 17:20

Barby l Wer Doris (69) und Norbert (72) Newiger zur goldenen Hochzeit gratulierte, konnte feststellen: die Jubelpaare werden heute auch immer jünger. Nicht unbedingt vom Lebensalter her, sondern vom äußeren Erscheinungsbild.

Norbert Newiger hat dazu auch eine Begründung parat. „Weil es dem lieben Gott so gefällt“, zwinkert er mit den Augen. Beide engagieren sich seit Jahrzehnten in der neuapostolischen Gemeinde.

Irgendwie scheint alles im Leben der Newigers wie von höherer Hand verknüpft zu sein. Ursprünglich sollte Norbert in Baden-Württemberg eine Tischlerlehre antreten, wo die Tanten wohnten. „Ich habe dafür gebetet, dass ich lieber in Barby bleiben möchte“, erinnert er sich. Als es dann wirklich so kam, trat er eine Ausbildung in der Tischlerei Schulze an, wo heute das Barbyer DDR-Museum ist. Als Newiger eines Tages in der Weidenstraße bei einer älteren Dame Rollläden reparierte, sagte der junge Tischler wie nebenbei: „Schönes Haus, so eins würde ich auch gerne haben.“ Weil die Besitzerin beruflich mit seinem Chef verbandelt war und ihr der kecke Handwerker gefiel, ging sie darauf ein. „Das Haus bekommst du, ich behalte Wohnrecht auf Lebenszeit.“ So kam es.

„Ich glaube, ich war damals der einzige ledige 20-Jährige in Barby, der schon ein Haus besaß“, erinnert sich Norbert Newiger. Das war 1963 - in dem kleinen Haus wohnen die Newigers noch heute.

Seine Frau lernte er 1965 im Harz kennen. Mit seinem himmelblauen Motorroller der Marke „Berlin“ war der Barbyer zu Gast bei einem Freund in Trautenstein. Von dort aus besuchte er einen Gottesdienst im benachbarten Hasselfelde. Zwischen Liturgie und Abendmahl hatte Norbert aber noch die Muße, ein bisschen nach den Mädels zu schielen. Dabei entging Norbert eine Familie mit drei hübschen Töchtern nicht. Darunter Doris, die im Volkseigenen Gut (VEG) Hasselfelde eine Ausbildung zur Landwirtschaftskauffrau machte. „Einen Tag nach Abschluss der Lehre habe ich meine Frau nach Barby geholt“, erinnert sich Norbert Newiger lachend. Ein halbes Jahr später wurde geheiratet. Damals befand sich die Kirche „auf der Stadtmauer“, wie Norbert Newiger es nennt. Gemeint ist ein Hinterhaus in der Breite, das heute nicht mehr existiert und dessen Außenwand auf der historischen Stadtmauer stand. Kein Geringerer als Bischof Siegfried Karnick nahm vor 50 Jahren die Trauung vor.

Doris Newiger arbeitete bis zur Geburt ihres ersten Kindes als Sekretärin im Volksgut Barby. Als sie nach der Mütterzeit 1966 wieder dort anfangen wollte, bekam sie die Intoleranz des Staates zu spüren, der auf linientreue Mitarbeiter setzte. „Der Abteilungsleiter hat mir gesagt: ‚Tut mir leid. Ich kann Sie nicht wieder einstellen, weil sie neuapostolisch sind“, berichtet Doris Newiger. Und das, obwohl sich die Neuapostolische Kirche als politisch neutral bezeichnete und in der DDR relativ unbehelligt blieb. „Jedenfalls war ich ziemlich enttäuscht“, gesteht die gebürtige Harzerin. Sie blieb daraufhin zu Hause, zog die eigenen drei Kinder groß, ist bis heute als Tagesmutti tätig. Generationen von kleinen Barbyern wurden von ihr liebevoll betreut.

Weil die Gemeinde heute kein Domizil mehr in Barby hat, fand der Festgottesdienst zur goldenen Hochzeit in Calbe statt. Apostel Jens Korbin segnete das Paar.

Doris und Norbert Newiger haben heute zwei Kinder (ein Sohn kam bei einem Unfall ums Leben) und vier Enkel. „Wir sind für unser bisheriges Leben dankbar. Jammern über die Zeit wäre Sünde“, gibt der 72-Jährige zu bedenken. Derweil seine Ehefrau als Freizeitbeschäftigung ihr Keyboard und Stricken angibt, ist es bei ihm die Geschichte. So hat er ohne Punkt und Komma unzählige Barbyer Episoden parat. Eine davon geht so:

Von 1934 bis 1951 wurde das Rautenkranz-Vereinszimmer von der Neuapostolischen Gemeinde für Gottesdienste genutzt. Gebetet wurde zweimal in der Woche: sonntags und donnerstags. Ein bizarrer Kontrast: Hier eine kirchliche Gemeinschaft in stiller Andacht, im Nachbarraum die Zecher am Tresen bei Bier und Schnaps.

Als die Briten das Rautenkranz-Vereinszimmer im Sommer 1945 annektierten, schleppten sie das Harmonium raus, luden es auf einen Lkw und fuhren damit laut musizierend durch Barby. Man darf mutmaßen, dass die normalerweise sehr reservierten Sieger vor diesem ulkigen Umzug reichlich das Wirtshaus aufgesucht hatten, wo der Biertresen noch heute steht ...