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Internet Anonymes Pöbeln und Beleidigen

Bürgermeister der Region Schönebeck, die eingeschüchtert werden sollen, berichten von Bedrohungen und Lügen in sozialen Medien.

Von Olaf Koch 16.07.2019, 03:01

Schönebeck/Calbe/Barby/Bördeland l Der Ton ist inzwischen deutlich rauer geworden. Die Gruppendynamik in den sozialen Medien und die Halb-Anonymität lassen bei manchen Mitmenschen jede frühkindliche Erziehung abgleiten. Wie musste ein Bürgermeister einer Kommune im Salzlandkreis, der an dieser Stelle nicht genannt werden soll, in einer geschlossenen Chat-Gruppe lesen: „ne junge alte die er fett gemacht hat und von nix n Plan“.

Solche grenzwertigen Beleidigungen gehören (leider) längst zum Alltag von Ober- und Bürgermeistern der Region. Sie lösen bei Menschen, die nicht im Schnelldurchlauf durch die Kinderstube gejagt wurden, nur ein ungläubiges Kopfschütteln aus. Viele Amtsträger haben auf verbale Stänkereien inzwischen ein so dickes Fell entwickelt, dass sie eingangs geschilderte Kränkungen mit einem angespannten Lächeln abtun.

Doch was passiert, wenn es nicht bei Beschimpfungen, Beleidigungen und verbalen Angriffen bleibt? Deutschlandweit gibt es Beispiele: Gewaltattacken auf Wolfgang Schäuble (CDU), Oscar Lafontaine (SPD, dann Linke), Kölns Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Tortenwürfe auf Joschka Fischer (Grüne) und auf Sahra Wagenknecht (Linke).

Köln, Berlin und andere Orte sind so weit nicht weg von Schönebeck, Calbe, Barby und Bördeland. Bei einer Umfrage der Volksstimme bei Amtsträgern wird eine Tendenz erkennbar. Es gibt ein deutliches Hetzgefälle zwischen Stadt und Land: Werden die Ortschefs und ihre Mitarbeiter im Außendienst in Schönebeck und manchmal auch in Calbe unverhohlen angepöbelt, zeigt sich in Richtung Barby und vor allen nach Bördeland ein weitaus respektvollerer Umgang miteinander.

Einer, der es wissen muss, ist Schönebecks Oberbürgermeister Bert Knoblauch (CDU). Schon aus seiner früheren Zeit als Rechtsanwalt kennt er die Einschüchterungen verschiedener Arten. „Mal wird die Presse als Drohmittel aufgebaut, mal gibt es E-Mails, mal ist etwas in den sozialen Medien zu lesen, oder ich bekomme Anrufe von sonderbaren Leuten“, berichtet er.

Nicht immer sind es nur Verunglimpfungen. „Es sind auch körperliche Leiden, die mir angedroht werden. Dies gipfelte einmal darin, dass man mich an der Salzblume hängen sehen wollte“, erinnert sich der Oberbürgermeister. Aus einer bestimmten politischen Richtung kann er solchen Drohungen nicht ausmachen. Vielmehr ist es die breite Palette von Menschen mit Auffälligkeiten.

Als Jurist weiß Knoblauch, dass planloses Anzeigen nicht die Lösung ist. Eine Ausnahme macht er jedoch, wenn es seine Mitarbeiter im Außendienst betrifft – wenn Politessen angegriffen und Feuerwehrkameraden in der Ausübung ihres Dienstes behindert werden. „Dann setzen wir ein Zeichen, und ich stehe hinter jedem meiner Mitarbeiter“, so Bert Knoblauch.

Wenngleich Calbes Bürgermeister Sven Hause (parteilos) bislang keinen direkten Einschüchterungsversuchen ausgesetzt war, kennt er die Problematik aus einer anderen Richtung. „Die neuen Medien werden immer mal wieder dazu genutzt, sich schnell im Ton zu vergreifen oder beleidigend zu werden. Allerdings bekomme ich dies nur mittelbar mit, weil ich nicht bei Facebook und Co. registriert bin“, sagt er.

Als Bürgermeister der Stadt Calbe wurde er noch nicht bedroht. Doch wie bei Bert Knoblauch hatte auch Sven Hause ein Berufsleben vor dem Bürgermeisteramt einer Stadt. „Bei meiner vorherigen Tätigkeit im Jobcenter in Schönebeck sah es manchmal anders aus“, so Hause. Da kam es hin und wieder zu gefährlichen Drohgebärden.

Beleidigungen oder sonstige unangemessene Verhaltensweisen versucht er, schnell zu verdrängen, um nicht dauerhaft belastet ins Tagesgeschäft zu gehen.

Seiner Meinung nach ist ebenso eine zunehmende Verrohung in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu verzeichnen. Dazu tragen nicht zuletzt die modernen Medien bei. Dort können sich Nutzer zuweilen mehr oder weniger halbanonym abfällig und unsachlich äußern, ohne Sanktionen zu befürchten.

„Aber auch in der analogen Welt ist nicht alles angemessen. So wirken auch diffamierende Lesermeinungen in Zeitungen manchmal mehr als irritierend. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird eben oft falsch interpretiert“, sagt Sven Hause.

Etwas entspannter sehen Stimmungsmachen die Bürgermeister von Barby, Torsten Reinharz (parteilos), und Bördeland, Bernd Nimmich (SPD). Einschüchterungen und Bedrohung gab es bisher nicht. Aber: „Persönliche Beleidigungen und Lügen, die meine Person betreffen, gab es, hier vor allem über Facebook und gern auch anonym. Ein Grund, warum ich meinen Account gelöscht habe“, erzählt Torsten Reinharz.

Was alle vier Bürgermeister unisono berichten, ist die Zunahme an Bedrohung und der fehlende Respekt gegenüber dem Amt des Bürgermeisters. Besonders dann, wenn es nicht nach dem Willen des oder der Bürger geht, dann wird schnell mal mit der Zeitung, dem Fernsehen oder allgemein mit „Bambule“ gedroht, ohne dass die Argumente, die die Bürgermeister vorbringen, bewertet werden.

Das alles bestätigt auch die Polizei des Salzlandkreises. Wie Pressesprecher Marco Kopitz auf Anfrage der Volksstimme mitteilte, liegen aber keine diesbezüglichen Anzeigen aus den vergangen Jahren vor. Die dicke Haut der Politiker gegen Aufwiegelung, Propaganda, Lügen und Hetztiraden scheint gewachsen zu sein.

Nur einmal ging es Schönebecks Oberbürgermeister dann doch zu weit. Ein Reichsbürger wollte Knoblauch auf mehrere Million Euro Schadenersatz verklagen. Der Titel sollte im EU-Land Malta angemeldet und später in Deutschland vollstreckt werden.

Vorsorglich hat Bert Knoblauch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Bei so viel Geld hört der Spaß auch bei ihm auf.