1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. "Bilderstürmerei" hilft nicht weiter

EIL

Judensau "Bilderstürmerei" hilft nicht weiter

Für einen Verbleib des „Judensau“-Reliefs an der Stephanikirche haben sich Calbes Bürger jetzt ausgesprochen.

Von Thomas Höfs 02.11.2020, 00:01

Calbe l Die „Judensau“, eine Chimäre aus dem Mittelalter an der Stephanikirche in Calbe sorgt weiter für Diskussionen. Nachdem die Kirchengemeinde und der Denkmalschutz keinen tragbaren Kompromiss zum Verbleib der Figur bislang finden konnten, soll nun ein Projekt der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in einem bis zu zweijährigen Diskussionsprozess finden. Der Direktor der Einrichtung, Christoph Maier, moderierte den Abend. Dabei ging es darum, die Meinungen der Bürger zu hören, nicht zu bewerten, sagte er.

Geschichtlich ordnete Dieter Horst Steinmetz vom Heimatverein die Plastik ein. Die „Judensau“ sei eine von einer ganzen Reihe von Figuren, die Grausamkeiten darstellten und andere Menschen verachteten. In der damaligen Zeit sollten die Figuren das Böse von der gläubigen Gemeinde fernhalten. Längst nicht jede Kirche besitze so eine Figurensammlung, sagte er weiter. Die Chimären seien auch ein Beweis dafür, wie wichtig die Kirche einst war und welche Stellung sie hatte. Bei der Bewertung der Figur gehe es auch um die Geschichte der Kirche, sagte er weiter. Die Figuren seien ein Teil der Kirchengeschichte. Daher sei es sinnvoll, die die Figur an der Fassade zu belassen und sie zu erklären. Notwendig sei ein Prozess der Aufklärung, meinte er.

Kritik äußerte Heimatvereinsvorsitzender Uwe Klamm an der ersten internen Veranstaltung mit dem Landesbischof. Eine offene Diskussion sei dort nach seinem Eindruck kaum möglich gewesen. Auch er sprach sich dafür aus, die Figur an der Fassade zu belassen.

Ein Kirchenmitglied kritisierte seine Kirche zudem im Umgang mit Informationen. Als Mitglied der Kirche habe er im Fernsehen davon erfahren, dass die „Judensau“ abgenommen werden solle. Er frage sich, wieso er dies nicht von seiner Kirche vor Ort erfahren habe.

Susanne Giest, die Vorsitzende des Kirchbauvereins, sprach sich ebenfalls für einen Verbleib der Figur an der Kirche an der angestammten Stelle aus. Sie erinnerte daran, dass die Figur ein Teil der Geschichte der Kirche und der Stadt sei. Die könne nicht einfach abgenommen werden. Seit Jahrhunderten sei die Figur an der Kirche befestigt. Energisch widersprach sie Wolfgang Schneiß, dem Ansprechpartner für jüdisches Leben und Antisemitismusbeauftragter im Land, der der Figur jeden künstlerischen Wert zuvor abgesprochen hatte.

Eine „Bilderstürmerei“ sei der falsche Weg, meldete sich eine andere Bürgerin zu Wort in der Diskussion. Mit der Abnahme der Figur sei es nicht getan. Vielmehr müsse sich die Kirche auch mit der eigenen Vergangenheit sehr kritisch auseinandersetzen, meinte Dieter Horst Steinmetz. Dass es zwischen den Religionen immer wieder im Laufe der Jahrhunderte geknirscht hatte, schätzte auch Christian Staffa, der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Kampf gegen Antisemitismus ein. Über Jahrhunderte gab es einen latenten Antijudaismus in der Kirche. Über einen Zeitraum von gut eineinhalbtausend Jahren ging das so. Ein Ausdruck dieser Haltung seien auch die Chimären, die an der Kirche in Calbe angebracht wurden.

Nicht nur Juden wurden allerdings mit einer Figur übelst beleidigt, ergänzte Dieter Horst Steinmetz. Die Kirche wandte sich mit den Figuren auch gegen die damals weit verbreitete Art der Unterschicht, sich mit Dudelsackmusik zu unterhalten. Die Figuren in großer Höhe an der Kirche angebracht, sollten das Böse abhalten. Nach dem damaligen Glauben machte das Böse kehrt, sobald es die Figuren sah, schilderte er. „Wir sollten die Figur dort belassen wo sie ist und ein ordentliches Schild darunter anbringen, um es zu erklären“, wünscht er sich. Schließlich verschwinde dieses dunkle Kapitel der Kirche nicht dadurch, dass es abgenommen und woanders ausgestellt werde.

Die Ideen, Vorstellungen und Hinweise schrieb an dem Abend Sven Kröber von der Evangelischen Akademie auf. Die Zettel sollen in der weiteren Debatte als Grundlage dienen. In dem bis zu zwei Jahren dauernden Projekt, welches über das Bundesprogramm Demokratie leben finanziert wird, soll es darum gehen, einen Kompromiss zu finden, der von allen getragen werden kann, sagte Christoph Maier. Daneben will die Evangelische Akademie auch mit den Schülern in der Stadt in das Gespräch kommen und Projekte zu dem Thema durchführen.

Nach der öffentlich geförderten Sanierung der „Judensau“ ist die Plastik wieder an den ursprünglichen Ort an der Kirche angebracht worden. Die Chimäre ist allerdings mit einem Tuch aktuell verhüllt. Pfarrer Jürgen Kohtz hatte sich dafür ausgesprochen, die Figur abzunehmen. Er beteiligte sich nicht an der Diskussion am Freitagabend.

Wie es nun nach der Auftaktveranstaltung weitergeht, blieb offen. Ebenso, wer sich nun weiter bei der Evangelischen Akademie mit dem Projekt beschäftigt und wann die Kirche weiter mit den Bürgern der Saalestadt über die Angelegenheit spricht.