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Kugelsport Wenn das „Schweinchen“ zum Ziel wird

Traditionelles Kugelspiel „Boule“ wird von einem Eggersdorfer nach Schönebeck getragen.

Von Dan Tebel 24.04.2018, 22:33

Schönebeck l Ein dumpfer Knall ist zu hören. 750 Gramm Edelstahl ploppen auf den sandigen Kurparkboden in Schönebeck-Bad Salzelmen. Noch ein paar Zentimeter weiter muss die Murmel rollen, um „das Schweinchen“ (die rosafarbene Zielkugel) zu touchieren. Dieser kleine Ball liegt sechs bis sieben Meter von Gösta Zahn entfernt. Nachdem er den großen Rundling galant und schwungvoll in Richtung des Schweinchens geworfen hat, verharrt der Diplom-Ingenieur in seiner leicht angewinkelten Position. Gespannt verfolgt der Mann mit dem Strohhut und dem weißen Hemd den Weg der glänzenden Silberkugel. Sie bleibt nur wenige Zentimeter neben dem Schweinchen liegen – ihr gegenüber liegt eine andere Kugel in etwa der gleichen Entfernung. Die Diskussionen unter den Boule-Spielern beginnen. Es wird um jeden Zentimeter verbal „gekämpft“.

Und genau so soll es sein. Über die Entfernungen und damit über Sieg und Niederlage zu Diskutieren gehört beim diesem französischen Kugelspiel einfach dazu. Denn Diskutieren ist Reden und dadurch auch Kontaktpflege. Und damit verbinden sich gleich zwei entscheidende Komponenten, die Boule in seinem Kern ausmachen: „Es ist einerseits Sport, aber andererseits auch ein Treffpunkt“, erklärt Mathilde Lemesle, stellvertretende Vorsitzende vom Verein der Deutsch-Französischen Gesellschaft in Madgeburg. Sie ist maßgeblich an der Entwicklung des Sports in der Magdeburger Region beteiligt und hat ihn in der Landeshauptstadt „neu belebt“, wie sie erzählt. Das Kugelspiel sei ein Stück französische Tradition und ein wichtiges Element französischer Kultur, erklärt die junge Frau bei der diesjährigen Saisoneröffnung Anfang April im Kurpark mit Akzent – sie kommt aus Nantes. So ist es nicht überraschend, dass ihr Großvater in Frankreich Boule bis zu seinem 86 Lebensjahr gespielt hat. Regelmäßig habe er sich dazu mit seinem Kumpel getroffen.

Schnell kommt das Bild der alten Herren zum Vorschein, die ihre Kugeln im Park werfen. „Das ist kein Vorurteil, sondern wirklich so“, betont die gebürtige Französin. Der Clou am Boule, das im Deutschen häufiger als Boccia bezeichnet wird: der Sport sei „stressfrei, aber trotzdem ehrgeizig sozusagen“. Ihr Vereinskollege Norman Edner ergänzt: „Man kommt eben schnell ins Spiel herein und damit auch relativ schnell zu Erfolgserlebnissen.“ Zum Mitmachen braucht es ein einfaches Set, zumeist bestehend aus sechs Kugeln und dem kleinen Schweinchen. Das gibt es im Anfängerbereich für unter zehn Euro zu kaufen. Bei einer Profiausrüstung – mit besseren Materialien und vorgeschrieben Gewichten – wird der Sport natürlich kostspieliger und auch zum richtigen Sport. Dann sind für eine solche Murmel schon ein mal mehrere hundert Euro fällig. Boule wird nämlich nicht nur im Freizeitbereich gespielt. So gibt es unter dem Deutscher-Pétanque-(so die offizielle Bezeichnung für den richtigen Sport)-Verband zehn Landesverbände und sogar eigene Bundesligen. Und mit ihnen laut eigenen Angaben des Verbandes auch 12.500 Spieler im Bundesgebiet.

Denn bei aller Liebe zur Gemütlichkeit – irgendwann packt einen dann doch der Siegeswille. Das kann auch Gösta Zahn nicht leugnen, der sich beim Diskutieren mittlerweile durchsetzen konnte. Er hat die Gruppe in Schönebeck gewissermaßen ins Leben gerufen und hat im vergangenen Jahr mit der boulbegeisterten Séverine Roussi – natürlich Französin – sogar an Turnieren in der Region teilgenommen. Leider aber nur mit mäßigem Erfolg, wie Zahn im Gespräch erzählt. Auch wenn der überwiegende Teil den Sport aus Spaß an der Freude ausübt, überlegt Zahn sogar, ob er die Gruppe nicht an den hiesigen Verein Union 1861 Schönebeck gliedern sollte. Gespräche dazu gebe es bereits. „Aber das ist alles noch zu früh“, winkt er vorerst ab.

Die Begeisterung des Eggersdorfers für Boule entwickelte sich bereits in den 1990er Jahren mit seinem ersten Set. 2016 sei er dann sporadisch bei den Boule-Nachmittagen der deutsch-französischen Gesellschaft in Magdeburg dabei gewesen und hat gefallen gefunden. Daraus entstand letztendlich die Idee, den traditionellen Sport nach Schönebeck zu holen. Im Frühling vergangenen Jahres fanden dann die ersten Spiele im Kurpark statt – „Die sandgeschlemmte Schotterdecke bietet einen hervorragenden Untergrund“, lobt Zahn. Mittlerweile hat sich der Boulesport im Kurpark fest etabliert. Regelmäßig, sonntags alle zwei Wochen, treffen sich die Sportbegeisterten im Sommer. Durchschnittlich seien es dann um die zehn Teilnehmer jeglichen Alters. Zur Saisoneröffnung waren sogar um die 30 Teilnehmer, zeigt sich der Initiator überrascht.

Teilweise kommen die Spieler sogar aus Helmstedt, denn viele Anlaufstellen gibt es in der Region nicht. Im Nordosten des Landes dünne es dahingehend ziemlich aus, erklärt Zahn weiter. Und im Bewusstsein dessen, dass der Sport auch in Schönebeck zunehmendes Interesse erfährt, gibt es sogar schon Gespräche mit Solepark-Chefin Sibylle Schulz, um den Platz „Boule-sicherer“ zu machen. Gösta Zahn denkt da an alte Holzbalken des Gradierwerks, die im Zuge der vergangenen Sanierung entfernt wurden und nun als Grenzbereiche für die Felder dienen könnten. Auch hier gebe es schon Gespräche.

Das Interesse von Außenstehenden am Spielgeschehen ist an den Besuchern des Kurparks zur Saisoneröffnung unverkennbar. Immer wieder bleiben sie stehen und beobachten das Spektakel. „Oft trauen sich die Leute nicht, einfach mitzumachen“, sagt Zahn mit Blick zu den Besuchern. Dabei hat der Diplom-Ingenieur immer ein Set mehr dabei.

Nächste Termine 2018: 22. April; 6. und 20. Mai; 3. und 17. Juni; 1., 15. und 29. Juli; 12. und 26. August; 9. und 23. September; jeweils 14 Uhr am Cafe „Park-Idyll“ im Kurpark Bad Salzelmen. Darüber hinaus treffen sich Sonnabend, 25. August die Deutsch-Französischen Gesellschaften aus Leipzig, Halle und Magdeburg zum gemeinsamen Brunch und Bouleturnier im Kurpark.