Sommerserie Operettenbühne frei: Hollywood, ich komme!
Volksstimme-Mitarbeiter schnuppern in andere Berufe hinein. Heute: Regieassistent beim Schönebecker Operettensommer.
Schönebeck l Hollywood, ich komme! Bevor es nach Los Angeles geht, beginnt meine künstlerische Karriere also auf dem Bierer Berg. Prima. Sozusagen der James Cameron von Schönebeck ist Yannik Mersch. Er ist 1. Regieassistent von Regisseurin Katharina Kutil, die für die 22. Aufführung des Schönebecker Operettensommers „Der Vogelhändler“ verantwortlich zeichnet. Ich bin für einen Tag der Assistent des Assistenten. Klingt klein und unbedeutend, doch die Luft, die ich atme, riecht schon jetzt nach „Universal Studios“ und „Warner Brothers“ – zumindest in meiner Nase.
Bevor nun Jeff Bridges und Miley Cyrus meine Kollegen in Beverly Hills werden, muss ich als „Schatten des Regieassistenten“ für profane Dinge sorgen: Die Bühne auf dem Bierer Berg ist zu fegen. Es sind noch zwei Stunden bis zur ausverkauften Vorstellung an diesem ziemlich sonnigen und damit heißen Nachmittag. Was idyllisch für die Zuschauer wirkt, nämlich dass die Naturbühne zwischen den Bäumen des Bierer Berg fast wie eingewachsen liegt, ist für die Darsteller ein echtes Problem. „Hier liegen immer Blätter, Zweige und Äste von den Bäumen, die müssen wir mehrmals vor der Vorstellung und einmal in der Pause wegfegen“, gibt Yannik Mersch mir meine erste verantwortungsvolle Aufgabe.
Dieser Unrat ist vielleicht ein Nachteil bei Veranstaltungen unter freiem Himmel. „Aber die ganze Atmosphäre hier auf dem Bierer Berg passt einfach zur Operette“, fasst der 25-Jährige zusammen. Nach vier Wochen erinnert die Hautfarbe an einen Südseeurlaub: Das blasse Weiß aus dem Theaterkeller ist verschwunden.
Inzwischen trudeln nach und nach die Darsteller ein. Warum nicht alle zu einer festen Zeit, will der Assistent des Assistenten wissen? „Es gibt einen festen Schminkplan. Wer um 15.30 Uhr dran ist, muss ja nicht schon um 14 Uhr da sein.“ Das leuchtet auch dem kleinen Regiehelfer ein. Es fällt auf, dass das Klima hinter der Bühne ziemlich entspannt ist. Darsteller und Musiker sind ein eingespieltes Team, viele begrüßen sich mit einer herzlichen Umarmung. Während auf dem Wipfeln der Bäume auf dem Bierer Berg die Vögel heiter zwitschern, singen sich die Darsteller langsam für „Der Vogelhändler“ ein. Es wirkt alles unbeschwert. „Das liegt daran, dass wir in den vergangenen Wochen dafür echt hart gearbeitet haben“, erzählt Yannik Mersch. Seit Mitte Mai gehört er zum Ensemble des diesjährigen Operettensommers.
Pause. Mein vorgesetzter Regieassistent schaut auch verwundert. „Mit jeder Vorstellung klappt das besser. Wir benötigen immer weniger Zeit für die Vorbereitungen“, so Yannik Mersch. Bevor sich die Türen des Einlasses öffnen, wird das Bühnenbild für den 1. Akt zurechtgeschoben. Mit zu Hand gehen uns dabei junge Aufbauhelfer. Um 15 Uhr steht Chefdirigent Gerard Oskamp persönlich am Eingang und kontrolliert die Tickets.
Oskamp ist ein Vorbild für mich, und Steven Spielberg hat sicherlich auch so angefangen und war sich für nichts zu schade. Ich auch nicht. Ich weiß, was mein Ziel ist und wo ich hin will und möchte hart dafür arbeiten. So bekomme ich gleich meine nächste Aufgabe. Auf dem Parkplatz steht ein Auto mit einer offenen Fahrzeugtür. Es ist eine Durchsage zu machen. Ich spreche in das Mikro und höre im Hintergrund meine Stimme über die Anlage des Bierer Bergs hallen. Wenn jetzt meine Mutter als Besucher da wäre, sie würde sich wundern, warum gerade ich hier die Durchsage mache. Aber ich kann nur sagen: Mit meinem Talent gehöre ich ins glänzende Showbizz.
„Noch 45 Minuten Kinder!“ Regisseurin Katharina Kutil hat die Uhr im Blick und auch ihre Darsteller. Ein Stimmengewirr aus Deutsch, Englisch, ein wenig Italienisch und österreichischem Dialekt füllt den Bereich hinter der Bühne. Hier scheint jeder jede Sprache der Welt zu sprechen und eine ganz besonders: Es ist die Theatersprache.
Eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist Sound-Check. Die 2. Regieassistentin, Sarah Zucker, übernimmt die Arbeit heute mit mir gemeinsam. Jeder Sänger hat ein Headset (ein am Kopf befestigtes Mikrofon). Dieses muss von der Tontechnik überprüft werden. Sarah Zucker und ich freuen uns, denn jeder Darsteller versucht, mit seiner kurzen Sprechprobe so witzig wie möglich zu sein. Wir lachen.
Unterdessen muss Yannik Mersch die Requisiten hinter der Bühne positionieren. Und das ist wörtlich zu nehmen: Alles liegt immer am selben Platz. Tag für Tag. „Dafür tragen wir beide heute die Verantwortung“, belehrt mich der 25-Jährige. „Ja Chef, wird gemacht“, antworte ich, ohne zu murren mit Hollywood vor Augen. Außer zuschauen, kann ich trotzdem nicht viel machen. Ich weiß leider nicht, wo die Briefe, die Weinflasche und die Pakete stehen und liegen müssen.
Die Uhr zeigt 16 Uhr an. Regisseurin Katharina Kutil macht Druck: „Kinder, es geht los!“, ruft sie. Nach einer kurzen Durchsage beginnen die Musiker der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie zu spielen. Und der Assistent mit seinem Hilfs-Assistenten? „Ne du, wir haben keine Pause“, fordert mich Yannik Mersch auf und sieht mein enttäuschtes Gesicht.
Mit dem Szenenablauf in der Hand verfolgt er die einzelnen Passagen auf der Bühne. Unter manchem Text steht das Wort „Tür“. Das hat sich mein „Chef auf Zeit“ notiert. „‚Tür‘ heißt, dass wir die Tür auf der Bühne öffnen und schließen müssen, damit die Darsteller auf die Bühne kommen oder sie verlassen können.“ Ich schwitze. Volle Konzentration von der ersten bis zur letzten Sekunde der Operette schlauchen. Erst um 18.42 Uhr löst sich die Spannung, als tosender Beifall der Zuschauer die Vorstellung beendet. Ein kleines bisschen Applaus ist heute auch für mich – für den kleinen Assistenten des Assistenten.
Nein, für Hollywood dürfte mein Talent noch lange nicht reichen. Wohl auch nicht für den anspruchsvollen Job auf dem Bierer Berg zum Schönebecker Operettensommer. Aber für die Volksstimme-Laienspielgruppe langt mein Regie-talent alle mal. Den Überblick behalten, Einsätze beachten und hinter den Kulissen auch mal für die richtige Stimmung sorgen, das liegt mir. Dennoch ist es verflixt viel, auf was ein Regisseur und seine Regieassistenten achten müssen. Sie sind – und das sage ich voller Respekt – Mädchen für alles, damit sich die Profis auf der Bühne im Scheinwerferlicht ausschließlich um das kümmern können, wofür sie engagiert sind: um das Spielen, Tanzen und Singen.