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Sammelleidenschaft Blauer Himmel und Katastrophen

Das Sammeln von Ansichtskarten war besonders Anfangs des 20. Jahrhunderts Mode. Das zeigen Beispiele aus Barby.

Von Thomas Linßner 05.03.2018, 02:01

Barby l Mal ehrlich: Wann haben Sie ihre letzte Ansichtskarte geschrieben!? Weihnachten, zu Tante Liesbeths Geburtstag, anlässlich von Baby Toms Taufe ... ? Auf alle Fälle aus dem Urlaub. Da will man ja den lieben Daheimgebliebenen zeigen wo man war. Handgeschriebenes Wort wird zunehmend durch elektronische Nachrichten ersetzt. Die gelbe Post kann ein Lied davon singen. Ihr täglicher Zustellungsberg besteht überwiegend aus Prospekten, Rechnungen oder ähnlichen Dingen. Schöne, bunte Ansichtskarten kommen schubweise zur Urlaubszeit. Aber das hatten wir ja schon.

Weil sich das Karten schreiben dennoch gehört, gab der Barbyer Fremdenverkehrsverein Mitte der 90er Jahre zwei bemerkenswert-schöne Ansichtskarten heraus, die sich gut verkauften. Sie zeigen stimmungsvolle Motive der Elbauenlandschaft und der Stadt selbst. Nicht zuletzt wollte man damit die Reha-Patienten ansprechen, die in der Elbe-Saale-Klinik eine Anschlussheilbehandlung erfahren.

Vor 120 Jahren schrieb man sich noch leidenschaftlich Karten. Die Reichspost erhob fünf Pfennig Porto, jedoch mit der Auflage, nur die freien Flächen der Vorderseite zu beschreiben. Amtlicher Hinweis: Weitere Mitteilungen kosteten 20 Pfennig! Dafür stand die Rückseite bedingt zur Verfügung. Sie war normalerweise nur für die Anschrift vorgesehen. Wer also dem Adressaten noch mehr mitteilen wollte, als nur ein paar Floskeln, musste zwei Groschen berappen. Teure Kommunikation! Also quetschte man kunstvoll seine Mitteilungen, Grüße, Wünsche und Küsse zwischen Stadtansichten, Landschaften oder schwülstige, blumenstreuende Jungfrauen.

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts begann man damit, die Karten so zu beschreiben, wie wir es heute noch tun. Die Vorderseite gehört dem Motiv, die Rückseite teilen sich Postanschrift und persönlicher Infoblock.

Das Sammeln von Karten ist keine Erfindung unserer Tage. Bereits vor 130 Jahren gab es regelrechte Alben dafür. Wer heute so etwas ernsthaft und organisiert macht, nennt sich „Philocartist“. Ein interessantes Hobby. Hat man doch nicht nur Freude am kulturhistorischen Wert – die Mitteilungen auf den illustrierten Postkarten lassen ebenso das Denken und Fühlen unserer Urgroßeltern erkennen. Einschlägige Internet-Verkaufshäuser bieten Exemplare zu stolzen Preisen an. Das Sammelgebiet ist - anders als das der Briefmarke - also noch in Mode. Zeitgeschichtlich interessant sind Motive, die heute kaum Käufer finden würden. So konnte man vor dem Zweiten Weltkrieg auch Firmenansichten und Katastrophen versenden. Zu nennen wären der Barbyer Schlossbrand von 1907 oder ein Luftbild aus den 1920er Jahren der Maizena-Werke. Machen wir uns aber nicht lustig über den damaligen Zeitgeschmack: Bei einem Schönebecker Drogisten konnte man 1996 außer Parfüm und Waschpulver auch Motive vom Vinylchlorid­Unglück erwerben ...

Über den „Erfinder“ der Postkarten streiten sich die Geister. In Deutschland schreibt man Weltpostverein-Begründer Heinrich von Stephan die Ehre zu; die Österreicher halten ihren Ministerialrat Emanuel Herrmann für den geistigen Vater.