Mitglieder der Brüdergemeine haben einen neuen Herrnhuterstern mit 110 Zacken selbst gebastelt Spur des Erfinders führt nach Bethlehem in den USA
Nahezu keine Kirche in Ostdeutschland kommt in der Adventszeit ohne Herrnhuterstern aus. Doch in Gnadau ist er wohl am authentischsten und am größten in unserer Region. Gegenwärtig wird ein neuer Stern mit 110 Zacken von Gemeindemitgliedern selbst gebaut.
Gnadau l Neben der Bedeutung der Advents- und Weihnachtszeit wird Pfarrer Friedemann Hasting in seiner Predigt zum ersten Advent auf eine Besonderheit aufmerksam machen: Im Kirchsaal der Brüdergemeine hängt ein neuer 110-zackiger Herrnhuterstern. Er wurde in den vergangenen Monaten unter Anleitung von Joachim Gemsjäger gebastelt. Dem 79-Jährigen gingen dabei Mitglieder der Gemeinde zur Hand, die sich im Oberstübchen des Kirchsaals trafen. Sie nennen den Raum "Jugendboden", weil sich hier normalerweise der Nachwuchs zu Billard und Tischtennis trifft.
Der vierte Superstern, den Joachim Gemsjäger baute
Es ist der vierte Super-Stern, den Joachim Gemsjäger in den vergangenen sechs Jahrzehnten zusammen fügte. Die Inspiration und Anleitung dazu bekam er als Lehrling der Gnadauer Internatsschule 1950. In diesem Zusammenhang fällt oft der Name Samuel Reichel, ein Sternbauer der Vergangenheit.
Wenn schon sehr viel Fingerspitzengefühl beim Zusammenbau von handelsüblichen, also vorgefertigten Sternen nötig ist, weiß man um die große Leistung der Gnadauer Bastler.
Zuerst wurde der kugelförmige Körper aus drei Millimeter starker Pappe geformt, in dem sich 110 fünf-, sechs- und achteckige Löcher befinden. Die exakte Beschaffenheit dieses Trägers ist Voraussetzung dafür, dass sich die Zacken genau ansetzen lassen. Allein diese "Kugel" ist schon ein Wunderwerk der Bastelkunst.
Die längsten Zacken sind 55 Zentimeter lang, so dass der Stern insgesamt einen Durchmesser von etwa 1,50 Meter hat. Sehr viel Fingerspitzengefühl brauchten die Sternenbauer beim Ankleben der Zacken an die Trägerkugel. Joachim Gemsjäger verwendet als Kleber wie vor einem halben Jahrhundert "Duosan", ein DDR-Produkt, das es immer noch gibt.
Doch mittlerweile haben seine Helfer so ihren eigenen Kopf, zumindest was die Verwendung von Hilfsmaterialen angeht. "Ich benutze lieber Uhu-Kleber, den bekommt man besser von den Fingern ab", lächelt Friedemann Hasting. Er ist 30 Jahre jünger als der 110-Sterne-Chef und gehört damit einer anderen "Kleber-Generation" an.
Alle Gnadauer Superstern-Generationen wurden außerhalb der Adventszeit in einem speziellen Kasten aus Spanplatten aufbewahrt. Denn diese zackigen Leuchtwunder sind gleichsam ziemlich zerbrechlich und nicht demontierbar. So bewahrt sie zehn Monate im Jahr eine sichere Kiste vor Stoß und Durchzug, bevor sie ihren großen Auftritt haben. Konkret hängt der Stern vom Advent bis zum Ende der Epiphaniaszeit. Also bis zum Beginn der Fastenzeit, die am Aschermittwoch, 40 Tage vor Ostern beginnt.
Nachkommen der Böhmischen Brüder
Der Papier gewordene Weihnachtsstern stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nachkommen der böhmischen Brüder, die den Ort Herrnhut 1722 (und 1767 auch Gnadau) gründeten, gelten als "Erfinder" des Strahlensterns.
Über den Erfinder gab es in der Vergangenheit die unterschiedlichsten Mutmaßungen. Jetzt fand man bei Recherchen im Archiv der Brüdergemeine in Bethlehem (Pennsylvania, USA) durch Zufall Hinweise. Bisher war nur bekannt, dass im Januar 1821 im Hof der Unitätsknabenanstalt in Niesky erstmals ein selbst gebastelter Stern hing, der als Festdekoration diente. Jetzt steht fest, dass es diesen Stern schon zum Christfest 1820 im Nieskyer Brüderhaus gab, gebaut von dem Herrnhuter Handwerker Christian Madsen (1800 - 1879), der damals im Nieskyer Brüderhaus wohnte und in einer Schmiede nahe Niesky arbeitete.
Eine diesbezügliche Notiz findet sich in einem Tagebuch von Georg Friedrich Bahnsohn, das in Bethlehem (USA) aufbewahrt wird.
Wer den Superlativ aller Herrnhutersterne, der durch eine 200-Watt-Glühbirne erhellt wird, bestaunen möchte, kann das am 1. Dezember bei der Hosianna-Versammlung ab 14.30 Uhr oder den Gnadauer Christfeiern im Saal der Brüdergemeine tun.