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Tod Weniger Einäscherungen durch Corona?

Im Krematorium Schönebeck werden im Jahr 12.000 Verstorbene auf ihren letzten Weg geschickt. 2020 könnten es weniger sein.

Von Paul Schulz 22.11.2020, 00:01

Schönebeck/Staßfurt l Nahezu geräuschlos wird der schlichte Sarg mit Hilfe der Einfuhrmaschine nach vorne geschoben, in Richtung Ofen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis die ersten Flammen am hellen Holz lecken. Die steinernen Wände der Brennkammer leuchten in rot und gelb – fast so, als würden sie glühen. Dann senkt sich die schwere Stahltür langsam nach unten, bis sie schließlich die Öffnung des Krematorium-Ofens gänzlich verschließt. Knapp eine Stunde später sind von dem Sarg und dem Verstorbenen darin nichts weiter übrig als Knochen und Asche. Nichts ist so sicher wie der Tod, sagt man.

Deshalb kann das Bestatterhandwerk und der damit verwobene Krematoriumsbetrieb durchaus als krisensicher bezeichnet werden. Doch: „Dieses Jahr gibt es schon vergleichsweise wenig zu tun“, berichtet Steffen Horn, Betriebsleiter des Schönebecker Krematoriums. Im Schnitt gibt es hier im Jahr etwa 12.000 Einäscherungen. Das Einzugsgebiet umfasst den Großraum Magdeburg. Im Salzland geht es über den Staßfurter Raum bis nach Bernburg.

Den Eindruck bestätigt auch Ingolf Heiduk, Bestatter in Schönebeck und einer der Mitbegründer der Einäscherungsanlage. „Im Juli hatte ich 55 Prozent weniger Umsatz als im Vergleich zum Vorjahr. Das kann durchaus mit der Pandemie im Zusammenhang stehen. Es wurden weniger Operationen durchgeführt, die Menschen achten mehr auf die Hygiene und ältere Menschen werden besonders geschützt“, fasst Heiduk zusammen.

Die Erfahrung, dass es derzeit zu weniger Todesfällen kommt, lässt sich aber längst nicht überall im Land beobachten. Volker Klose, Leiter des Krematoriums in Stendal, habe „normal zu tun“. Gleiches berichtet auch Walter Klinzmann, Vorstandsmitglied der Bestatter-Innung Sachsen-Anhalt, der als Bestatter in Oschersleben tätig ist.

Die Statistik zeichnet ein durchwachsenes Bild. Laut einer Pressemitteilung des statistischen Landesamtes gab es im August sieben Prozent mehr Sterbefälle als im Durchschnitt der Vorjahresmonate 2016 bis 2019 und im Juni waren es drei Prozent mehr. Aber: „In den restlichen Monaten des Jahres 2020 lag die Anzahl der Sterbefälle bisher unter den Vorjahreswerten“, so das Landesamt.

Etwa zwei Prozent weniger Menschen sind bisher in diesem Jahr in den mitteldeutschen Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen im Durchschnitt der Vergleichszeiträume der Jahre 2017, 2018 und 2019 gestorben. Das geht nach MDR-Angaben aus aktuellen Daten des Statistischen Bundeamtes hervor. Dies beträfe alle Altersgruppen. Die Sterbezahlen sanken demnach sogar leicht während der ersten Corona-Welle von Mitte März bis Mitte Mai. In Sachsen-Anhalt wurde ein Rückgang von -1,76 Prozent für den Zeitraum Januar bis Mitte Oktober 2020 ermittelt. 25.488 Menschen starben in dieser Zeit im Land. Der Drei-Jahres-Durchschnitt für den gleichen Zeitraum lag demnach bei 29.954 Verstorbenen.

Wie es weitergeht, ist derzeit offen, die zweite Welle baut sich gerade erst auf.

Warum dies so ist, dafür gibt es bisher keine abschließende Einschätzung. Virologen vertreten die These, dass die Corona-Regeln - wie Mund-Nasen-Schutz, Abstandhalten oder viel mehr Händewaschen - auch vor anderen Krankheiten schützen.

Eine Studie der Wayne State University Detroit kommt nach einem Spiegel-Bericht zu dem Schluss, dass allein durch das Maskentragen die Verbreitung von Viren, und nicht nur Corona-Viren, erheblich eingedämmt werde. Es könne ein Zusammenhang von anfänglicher Virenlast und Sterblichkeit vermutet werden, wird ein an der Studie beteiligter Viro-loge zitiert.

Wenn das Schönebecker Krematorium derzeit längst nicht ausgelastet ist, so haben Horn und seine Kollegen auch schon deutlich arbeitsreichere Zeiten erlebt. „Wenn zwei oder drei Bestatter auf einmal kommen, dann kann es in der Kühlkammer schon mal eng werden“, sagt Steffen Horn.

Schließlich werden in der Anlage nicht nur die Verstorbenen der Elbestadt eingeäschert. „Die Bestatter haben die freie Wahl, mit welchem Krematorium sie zusammenarbeiten“, erklärt Horn. So werden beispielsweise auch Verstorbene aus Gommern, Bernburg, Calbe oder Magdeburg in der Schönebecker Anlage kremiert.

Mit seinen zwei Öfen ist das Krematorium aber so konzipiert, dass auch bei einem hohen Aufkommen die Einäscherungen durchgeführt werden können. Rund 1000 Kremierungen im Monat – das sind über 30 Einäscherungen pro Tag – sind machbar. Möglich ist das unter anderem dadurch, weil sich das Krematorium im Gewerbegebiet befindet und daher theoretisch rund um die Uhr betrieben werden kann. Das sei aber nicht die Regel, betont Horn. „Wir arbeiten immer nur nach Bedarf.“

Arbeit nach Bedarf und nach Vorschrift. Unter anderem gibt es strenge Umweltauflagen, die im Bundes-Imissionsschutzgesetz definiert sind. Mit Hilfe von technischen Anlagen und Filtersystemen wird dafür gesorgt, dass der Schadstoffausstoß des Krematoriums gering gehalten wird. „Wir stoßen weniger CO2 als ein Einfamilienhaus aus“, vergleicht Ingolf Heiduk. Unangemeldete Kontrolleure überprüfen die Einhaltung der Auflagen.