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Peinlicher Fehler bei Enthüllung einer Gedenktafel für die gefallenen Zuchauer des Zweiten Weltkriegs "Werner lebt gesund und munter in Magdeburg"

Von Thomas Linßner 27.11.2012, 02:18

In Zuchaus St. Laurentiikirche erinnert jetzt eine Eichenholztafel an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Doch bei der Enthüllung kam es zu einer kleinen Peinlichkeit: Einer der darauf vermerkten Soldaten lebt heute 91-jährig in Magdeburg.

Zuchau l Gerda Graviat blieb äußerlich vollkommen gelassen, als ein Zwischenruf ihre feierliche Aufzählung störte. Kurz nach Enthüllung der Tafel las die Initiatorin alle 36 Namen gefallener und vermisster Zuchauer vor: Gustav Bergmann, Otto Bohmeier, Walter Bohmeier, Kurt Bohmeier, Werner Braunert ... "Stimmt nicht, der lebt noch", riefen Christine und Friedrich Becker dazwischen. Bei den folgenden Namen gab es dann keine weiteren Einwände.

"Ich habe diese Liste so vom Pfarramt bekommen", reagierte Gerda Graviat etwas pikiert. Pfarrer Ulf Rödiger beschwichtigte sofort: "Der lebt noch? Um so besser. Da müssen wir dann auf der Tafel was ändern."

Auf Volksstimme-Nachfrage stellte sich folgendes heraus: Werner Braunert galt noch während des Krieges als vermisst, wurde bald darauf für tot erklärt. Eine gängige Praxis damals, wenn keine Hoffnung mehr auf Heimkehr bestand. "Er ist aber relativ schnell nach dem Kriegsende nach Zuchau zurückgekehrt, wo er bis 1950 wohnte", berichtete Christine Becker, die Nichte des heute 91-Jährigen. "Werner lebt gesund und munter in Magdeburg", fügte Ehemann Friedrich Becker hinzu.

Auch sei der Senior, der als Meister im Reichsbahnausbesserungswerk tätig war, so fidel, dass er überhaupt keine Probleme habe, in seine Wohnung im vierten Stock zu steigen.

Gegen Pauschalurteile

Laut Pfarrer Rödiger hing es vom damaligen Pfarrer ab, ob Gefallene des Zweiten Weltkriegs in die kirchlichen Sterbebücher eingetragen wurden oder nicht.

Diese makabere Geschichte zeigt, wie schwer es ist, 67 Jahre nach Kriegsende ein derartiges Projekt mit gesicherten Informationen zu realisieren. "In der DDR galten ja alle Wehrmachtssoldaten als Verbrecher", sagte Pfarrer Ulf Rödiger.

Er wandte sich gegen solche Pauschalisierungen, weil er andere Erfahrungen gemacht hatte. In seinem vorherigen kirchlichen Wirkungskreis stritt man in einem ähnlichen Fall: Sollte der Name eines in Buchenwald gestorbenen Ortsbauernführers mit erwähnt werden oder nicht.

Ulf Rödiger stimmte damals dafür: "Der war kein Fanatiker, hat seine Zwangsarbeiter mit am Küchentisch und nicht im Stall essen lassen." Es sei ein verbrecherischer Krieg gewesen, aber deswegen seien nicht alle Beteiligten Verbrecher.

Ortsbürgermeister Martin Giesecke lobte die Initiative von Gerda Graviat. "Wenn man sich mal überlegt, dass in Zuchau 43 Familien vom Krieg betroffen waren, ist das eine ziemlich große Zahl im Verhältnis zur damaligen Einwohnerschaft", sagte Giesecke.

Die 65-jährige Zuchauerin trug dieses Vorhaben schon lange in sich: "Ich habe erlebt, wie viele Menschen leiden, weil sie den Vater nicht mehr gekannt haben."

In der DDR mussten die Soldaten totgeschwiegen werden, galten als "Verbrecher". Auf den Hinterbliebenen habe eine große Last gelegen.

Neben der vorhandenen Kirchenliste recherchierte Gerda Graviat seit 2008 weitere Namen durch persönliche Gespräche und Anfragen. "Das war nicht einfach und manchmal ein ziemlich steiniger Weg", gestand die Zuchauerin.