Sammler Zähle kennt sich mit "Postkrieg" aus
Joachim Zähle ist Briefmarkensammler. Der 66-Jährige sammelt ein bestimmtes Thema: alles was postalisch mit Calbe zu tun hat.
Calbe l Beginnen wir mal nicht im „Urschleim“, also mit dem Calbenser Postmeister Johann Bertram, der 1641 bis 1723 lebte, sondern mit einen Politikum. Im Sommer 1965 bekommt Herr Werner L. aus der Magdeburger Straße einen Brief, auf dem anstelle der Briefmarke ein hässlicher, schwarzer Fleck stört. Die Marke ist von DDR-Postillonen auf Anweisung des Ministeriums mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht worden. Es handelt sich um eine Sondermarke anlässlich des „20. Jahrestages der Vertreibung“, was natürlich von der DDR als „Provokation“ gewertet wird. Hier spricht man stets von „Umsiedlern“.
Es bleibt aber nicht die einzige Reizung zwischen beiden deutschen Staaten: Weil es hier wie drüben gleiche Postleitzahlen gibt, macht der DDR-Mensch auf seinem Brief in den Westen eine „O“, der BRD-Schreiber ein „X“. Nun kann man spitzfindig darüber philosophieren, was schlimmer ist: Als „Null“ oder als „Kreuz“ abgestempelt zu werden. Im direkten wie übertragenen Sinne. Joachim Zähle spricht von „Postkrieg“, wenn er über jene Zeit erzählt.
Der beginnt schon Ende der 1940er Jahre. Rechtsanwalt Richard Becker aus Mainz schickt seinem Kollegen Dr. Knaut in Calbe am 7. Oktober 1949 einen Brief, auf dem die „Notopfermarke“ abgerissen ist. Die Postler der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nehmen übel, dass die kleine blaue Zwangszuschlagsmarke eine Sondersteuer zur Unterstützung von West-Berlin ist.
Wer heute einen Brief mit dieser unbeschädigten 2-Pfennig-Marke in seiner Sammlung hat, besitzt eine kleine Rarität. In solchem Fall hatten die Ost-Postler den blauen Winzling übersehen.
Die SBZ schlägt mit Briefmarken der „Bodenreform“ zurück. „Kriegs- und Naziverbrecher“ werden enteignet, was man auch plakativ kund tut. In Calbe wird „Brückner & Co.“ Treuhandbetrieb. Später ist es der „Antifaschistische Schutzwall“, den man dem Klassenfeind in den Kasten steckt.
Aber auch harmlosere Propaganda wird gemacht, um Appelle an das DDR-Volk zu versenden. 1960 lässt der Aufkaufbetrieb für landwirtschaftliche Erzeugnisse Calbe (VEAB) ganz im Geiste der Zeit aufstempeln: „Hühnerhalter! Liefert 11 Eier pro Huhn jetzt im Mai, das macht unseren Kreis schuldenfrei.“ (Heute müsste man vermutlich tausend Sauriereier liefern, um dem Salzlandkreis zu entschulden.)
„Das Interesse, Briefmarken zu sammeln, hat mein ehemaliger Lehrer Heinz Sprengel in mir geweckt“, erzählt Joachim Zähle. Später trat er in die Arbeitsgemeinschaft Philatelie ein, die rund 50 Mitglieder hatte. „Heute sind es noch sechs Leute, die sammeln“, so Zähle. Während in den 60er und 70er noch fast jedes Kind zumindest ein Briefmarkenalbum hatte, sind für heutige Kinder Briefmarken „out“. Durch E-Mail, WhatsApp, Facebook & Co. reduziert sich das Privatpostaufkommen massiv: Wer schreibt schon mühsam einen Brief, wenn eine Mail binnen einer Sekunde weltweit zugestellt ist?!
Als Joachim Zähle anfing, hatte er schon bald einen Sammelausweis. Der gestattete ihm, die begehrten und in geringerer Auflage gedruckten „Sperrwerte“ in der Post zu bekommen. Das Briefmarkensammeln wurde staatlicherseits als kulturelle Aktivität der Philatelisten gesehen; die Wert- entwicklung der gesammelten Marken sollte dabei keinesfalls im Vordergrund stehen. Es war üblich, dass man im Ausland einen Tauschpartner hatte. „In meinem Fall war es mein Onkel in Westdeutschland“, erzählt der Calbenser. Sein damaliges Ziel: Gesamt-Deutschland komplett zu haben. Doch diese Art des Sammelns sei ihm irgendwann zu langweilig geworden. Er verlegt sich auf „Calbe“. Um Raritäten zu ergattern, hilft ihm das Internet. Hier stöberte er zum Beispiel Feldpost aus den deutschen Kolonien auf. So ist dokumentiert, dass Unteroffizier Willi Rinke 1901 „Herrn Heinemann, Calbe, Markt“ einen Wunsch erfüllt, in dem er ihm eine Karte aus Tientsin (China) schickt. Zwei Monate ist sie unterwegs. Heinemann muss auch schon Sammler gewesen sein.
Aber wie ist es denn nun: Sind Briefmarken heute noch eine Wertanlage, wie man vor 30, 40 Jahren dachte! Joachim Zähle winkt ab. Freilich gebe es wertvolle Marken. Wer aber „DDR komplett“ hat, wird bei Bewertungen enttäuscht sein. „Die haben ungefähr zehn Prozent des damaligen Wertes“, so Zähle. Lediglich bei DDR-Marken und Erstagsbriefen sei das anders, die vor 1957 erschienen.
Dennoch ist die Philatelie heute zu unrecht ein mit Gleichgültigkeit gestraftes Hobby. Vor allem, wenn man es so macht wie Joachim Zähle, dessen Sammlung ohne Ende Geschichten erzählen kann.