Marx-Roman Einfach nah am Philosophen
Die gebürtigen Staßfurterinnen Claudia und Nadja Beinert haben ihren fünften historischen Roman vollbracht.
Staßfurt | Volksstimme: Ein Liebesroman zum 200. Geburtstag von Marx. Zuletzt ein Buch über Luthers Mutter („Die Mutter des Satans“) anlässlich des großen Reformationsjubiläums. Ihr habt ein Gespür, historische Persönlichkeiten und vor allem deren unmittelbare Wegbegleiter in die Gegenwart zu holen. Dabei bestimmen diese einfachen Menschen die Handlung. Warum?
Claudia: Karl Marx, die historische Persönlichkeit in „Revolution im Herzen“ dachte und schrieb sehr kompliziert. Bis auf wenige Ausnahmen (darunter das Kommunistische Manifest) sind seine Schriften schwer lesbar. Sie werden im Roman verständlich, weil wir sie von einem einfachen Mädchen durchdenken und erklären lassen. Lenchen Demuth entstammt einer armen Ackerer-Familie aus St. Wendel (heutiges Saarland), die tageweise Hunger litt. Sie hat Armut und Ausbeutung am eigenen Leib erfahren, bevor sie Karl Marx darüber reden hört.
Nadja: Einfache Menschen sind unsere Protagonisten, das stimmt, aber vor allem sind es unbekannte Frauen, die in enger und besonderer Beziehung zu großen, historischen Männern stehen. In „Die Mutter des Satans“ war es Martin Luthers Mutter Margarethe, in „Revolution im Herzen“ ist Lenchen Demuth jene einfache Frau.
Ihr beleuchtet also einen bekannten Mann durch die Augen einer noch unbekannten Frau. Was steckt hinter diesem Vorgehen?
Claudia: Zum einen möchten wir diese starken Frauen aus dem Dunkeln ans Licht holen, zum anderen wäre ein Roman über Marx durch seine eigenen Augen wenig kritisch geworden, weil er selbst wenig selbstkritisch war. Wir wollten Karl Marx durch die Augen ein anderen ihm aber nahestehenden Person zeigen, und damit ganz NEU und PRIVAT. In „Revolution im Herzen“ lernt der Leser Karl Marx zuallererst als Menschen kennen, als Ehemann, Liebhaber, Freund und Vater. Der Leser erlebt ihn lachend vor Glück, verzehrend vor Sehnsucht aber auch weinend vor Schmerz. Diese Seite von ihm ist bisher weniger bekannt.
Nadja: Lenchen Demuth hat viele Jahre mit Karl und seiner Frau Jenny in einer Wohnung auf nur wenigen Quadratmetern gelebt. Ihr dürfte kaum etwas von Karl entgangen sein und so kann sie im Roman aus dem Nähkästchen plaudern. Das macht sie zu einer idealen Protagonistin.
Claudia: Ihr Lebensweg ist nicht weniger interessant. Aus einfachen Verhältnissen stammend, ging sie vermutlich nicht einmal zur Schule und konnte somit auch nicht lesen und schreiben. Lenchen hatte weder von großer Politik, noch von Philosophie oder von Revolutionen Ahnung. Das hielt sie aber nicht davon ab, sich als Dienstmädchen in das studierte Haus der Marxens zu wagen. Sie arbeitete hart und wurde über die Jahre von Marx und Engels auch in partei-politischen Fragen als Ratgeberin geschätzt. Eine beachtenswerte Entwicklung, finden wir, die Friedrich Engels an ihrem Grab mit den Worten würdigt:
„Lenchen und ich waren die zwei Letzten der alten Garde von vor 1848. Wenn während langer Jahre Marx und ich Ruhe zum Arbeiten fanden, so war das wesentlich ihr Werk. Ihren wunderbar taktvollen Rat in Parteisachen werde ich schmerzlich entbehren.“
Zwischen Luthers Wirken und den Lehren von Marx liegen scheinbar Welten. Doch ist in ihrem Bestreben nicht auch etwas Seelenverwandtschaft, nämlich die Welt verbessern zu wollen? Welche Rolle übertragt ihr euren Titelhelden an deren Seite?
Nadja: Luther und Marx einte tatsächlich der Wille, die Welt zu einer besseren zu machen. Beide wollten zunächst nicht ihre persönliche Stellung verbessern, ihren Reichtum mehren. Sie wollten der Menschheit, der Gesellschaft etwas Gutes tun. Der Preis dafür war im Falle von Karl Marx, dass seine Familie viele Jahre unter schlimmer Armut lebte, dass auch Kinder starben, weil notwendige Kuren oder Arzneien nicht erstanden werden konnten.
Claudia: In diesen schweren Zeiten wurde unsere Protagonistin Lenchen zu einer unverzichtbaren Stütze. Sie war vielmehr als nur das Dienstmädchen der Familie. Sie wurde Jenny Marx, der Ehefrau von Karl Marx, zur innigen Freundin, den Kindern der Marxens zu einer Ersatzmutter und Karl Marx zur politischen Ratgeberin.
Wer hat euch gelehrt und ermutigt, dass ihr euch an solche historischen „Schwergewichte“ wagt, oder was war ausschlaggebend?
Claudia: Vor dem Schreiben über unser erstes Schwergewicht, Martin Luther, hatten wir schon gehörigen Respekt. Sobald wir aber beim Schreiben begannen, Martin zu duzen und ihn von seinem Sockel als großer Reformator herunterholten, ging es einfacher. Dabei stellten wir uns vor, dass er mit uns an einem Tisch saß und wir sprachen mit ihm wie mit einem Freund oder auch einem Bruder. Martin Luther war auch nur ein Mensch.
Nadja: Weil unsere „Mutter des Satans“ so gut bei den Lesern ankam, haben wir uns gleich an das nächste Schwergewicht gewagt: Karl Marx. Auch er war für uns einfach Karl und Engels eben Friedrich, oder Fritze, wie er von Marx vertraut genannt wurde. Also war die Begeisterung unserer Leserinnen und Leser die Ermutigung, sich erneut an ein Schwergewicht zu wagen.
Woher nehmt ihr diese äußerst bildhafte Sprache? Wie versetzt man sich in das Alltagsleben von vor 150 oder gar 500 Jahren?
Claudia: Die bildhafte Sprache lernt man durch Übung. Wenn ich durch die Straßen von Würzburg gehe oder auf Heimatbesuch in Staßfurt bin, dann schaue ich nach schönen Bildern und formuliere meine Gedanken dazu. Das ist ein Training im Alltag, wie ständiges Gehirn-Jogging.
Nadja: Auch am Schreibtisch lässt sich viel über das Alltagsleben vergangener Zeiten lernen, nämlich durch Recherche. Viele in unseren Büchern beschriebenen Bilder und Begebenheiten entstammen der historischen Überlieferung. Von der Familie Marx sind Briefe erhalten, die einen wunderbaren Einblick in den Alltag und ihre Art zu sprechen geben. Jenny Marx selbst verwendete darin schöne Bilder und Beschreibungen, die wir übernehmen konnten, und die unsere Schilderungen besonders authentisch machen.
Claudia: Aussagen von Zeitzeugen sind eine große Hilfe, gerade wenn sonst nicht viel überliefert ist. Das war bei Lenchen Demuth der Fall. Das Zitat von Wilhelm Liebknecht, ein Wegbegleiter Marx‘, hat uns nicht nur Informationen zu ihrer Person geliefert, sondern tatsächlich unser allererstes Interesse an ihr geweckt:
„Lenchen hatte die Diktatur im Hause, Frau Marx die Herrschaft.Und Marx fügte sich wie ein Lamm dieser Diktatur. Lenchen hätte sich für Karl geopfert. Sie kannte ihn mit seinen Launen und Schwächen, und sie wickelte ihn um den Finger.“
Wie lange und wo überall habt ihr für „Revolution im Herzen“ recherchiert?
Claudia: Wir haben alle Hauptschauplätze aus dem Roman bereist, immer auf den Spuren unserer Helden: Sankt Wendel (im Saarland), Trier, Brüssel, Paris und London. Zusätzlich habe ich Reiseführer aus der damaligen Zeit gelesen. Eine wirklich interessante Lektüre! Aus einer Brüsseler Reisebeschreibung habe ich zum Beispiel erfahren, dass man damals – wenn das Geld mal knapp war – Kaffee aus getrocknetem Chicorée machte.
Nadja: Aus einem Buch, das ich in London auf einem Flohmarkt erstanden habe, erfuhr ich zum Beispiel, dass im London des 19. Jahrhunderts Prostituierte aus Sicherheitsgründen immer paarweise unterwegs waren. Alles interessante Details, die die Zeitreise im Roman für unsere Leser authentisch machen.
Wem würdet ihr euer neues Werk besonders empfehlen?
Nadja: Unser neuer Roman ist für Jedermann, der gerne in die Vergangenheit eintaucht. „Revolution im Herzen“ ist eine spannende Zeitreise in die Gedanken und Herzen unserer Vorfahren. Im 19. Jahrhundert passierte so unglaublich viel. Man ging erstmals für Demokratie auf die Barrikaden, man dachte – auch zum ersten Mal – über soziale Ungerechtigkeit nach. Die Dampfmaschine machte aus Manufakturen Fabriken und Erfindungen in fast allen Bereichen veränderten das Leben der Menschen radikal. Das war sehr spannend zu recherchieren und ist unserer heutigen Zeit gar nicht so unähnlich.
Claudia: Unsere „Revolution im Herzen“ ist kein politisches Buch über Karl Marx‘ Werdegang, es ist vordergründig ein privates. Unsere Heldin ist Lenchen Demuth und wir erzählen, wie sie Karl Marx und Jenny Marx (geborene von Westphalen) aufwachsen sah, beide bis an deren Lebensenden begleitete. Die gemeinsame Zeit hatte Höhen und Tiefen, verlief nicht ganz ohne Konflikt, denn nachweislich gebar Lenchen Karl Marx ein Kind – nur eine von vielen emotionalen Szenen.
Und wie war dieser Karl Marx nun privat?
Nadja: Als junger Mann war er frühreif, vorlaut und leidenschaftlich. Er schrieb seiner Herzensdame Jenny schmachtende Liebesgedichte, die überliefert sind. Schon in seiner Jugend blickte er über den Tellerrand hinaus und machte sie Gedanken über die Gesellschaft. Wir haben Karl Marx als Arbeitstier kennengelernt, das lediglich durch Krankheiten oder Reisen zum Innehalten kam. Die Arbeit war ihm das Wichtigste, auch wenn die Familie immer wieder darunter litt. Am Ende seines Lebens schrieb er seinem Schwiegersohn Paul Lafargue:
„Sie wissen, dass ich mein ganzes Vermögen dem revolutionären Kampf geopfert habe. Ich bedauere es nicht. Im Gegenteil, wenn ich mein Leben noch einmal beginnen müsste, ich täte dasselbe. Nur heiraten würde ich nicht. Soweit es in meiner Kraft steht, werde ich meine Tochter vor den Klippen schützen, an denen das Leben ihrer Mutter zerschellt ist.“
Claudia: Karl war Linkshänder, lispelte und verabscheute jede Form von körperlicher Ertüchtigung. Er liebte Kinder, war ein liebevoller Vater und las in kleiner Runde gerne vor. Karl schrieb wie kein anderer über Geld, sein privater Umgang mit den Finanzen war jedoch katastrophal, was erheblich zu den regelmäßigen Geldsorgen der Marxens beitrug. Einmal mussten sie sogar sein letztes Kleidungsstück zum Pfandhaus bringen und Karl konnte solange nicht auf die Straße gehen, bis wieder etwas Geld da war, um es auszulösen. Ach ja – er trank nachweislich auch als erwachsener Mann am liebsten das Trendgetränk des 19. Jahrhunderts: Limonade!
Eure Buchlesung mit der Staßfurter Buchhändlerin Heike Kamrad auf Schloss Hohenerxleben am 17. April ist ausverkauft. Mit welcher historischen Figur dürfen eure Leser als nächstes rechnen?
Claudia: Unser nächster Roman spielt auch wieder im 19. Jahrhundert und dieses Mal haben wir ein ganzes Ensemble an historischen Schwergewichten zusammengestellt. Und deren Leben werden von unserer weiblichen Heldin mehr als nur durcheinandergebracht. Genaueres dürfen wir noch nicht verraten, die Volksstimme-LeserInnen dürfen sich 2019 über mehr Informationen freuen.
„Revolution im Herzen – Die heimliche Liebe des Karl Marx“ spielt in den Jahren 1830 bis 1855 und erzählt aus Sicht des Dienstmädchens Lenchen Demuth die erste Lebenshälfte des großen Philosophen. Mit tiefer historischer Kenntnis verweben die Autorinnen Fakten und Fiktion zu einem einfühlsamen Roman. Eine Liebesgeschichte. Erschienen Anfang April im Knaur-Verlag.