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OB Zok findet großes Bürgerinteresse bei Gespräch zur geplanten Biomethangasraffinerie in Staßfurt Nordost Frage bleibt nach Info-Flut: Was bringt\'s der Stadt?

Von Falk Rockmann 16.07.2012, 05:39

OB René Zok hatte eingeladen. Das Interesse von Bürgern und Stadträten war groß. Die überaus zahlreichen Informationen zum Stand der Planungen, wie eine Biomethangasraffinerie funktioniert und wer davon profitiert, reichten den Bürgern dennoch nicht aus, um die Frage zu klären, was die Stadt eigentlich davon hätte.

Staßfurt l "Wir werden heute wahrscheinlich ohne ein Ergebnis hier rausgehen", mutmaßte Oberbürgereister René Zok vergangenen Donnerstag zu Beginn, "aber wir werden über den weiteren Werdegang informieren."

An Informationen mangelte es tatsächlich nicht. Wolfgang Kaufmann begann zum Stand der Planungen. "Es gibt bisher lediglich zwei Unternehmensbekundungen. Es wurde kein Genehmigungsantrag gestellt. Es ist keine behördliche Entscheidung gefallen." Zum möglichen Standort der Biogasanlage in Staßfurt Nordost (Silberfeld/Abzweig Kläranlage) erklärte der Fachbereichsleiter der Stadtverwaltung: "Die Stadt hat ein Industriegebiet festgesetzt. Dort ist alles zulässig, was woanders nicht zugelassen wäre." Grundsätzlich könnte dort also eine Biomethanraffinerie gebaut werden. Allerdings sei auch dafür ein Genehmigungsverfahren nach Bundes-Immissionsschutz-Gesetz nötig, in dem das Landesverwaltungsamt alles prüfe, was zum Beispiel Lärm macht oder riecht. Der Abstand der Anlage zum Wohngebiet würde mehr als 800 Meter betragen, zu einem nächsten Wohngebäude etwa 570 Meter. 580 Meter sind es bis zur Kleingartenanlage. Notwendig wären 300 Meter zu einem Wohngebiet.

Dirk Tempke, Präsident des Landesverbandes Erneuerbare Energie Sachsen-Anhalt verteilte einen umfassenden Frage-Antwort-Katalog. Abgesehen davon, dass die Schrift der 40 Exemplare sehr klein gedruckt ausfiel, suchten die Bürger das direkte Gespräch.

"Es gibt eine Reihe von Anlagen, die eine Geruchsbelästigung darstellen", begann ein Bürger. "Die Bürgerinitiative Glöthe wehrte sich erfolgreich. Warum soll die Anlage hier bei uns entstehen? Warum nicht am Klärwerk, weit genug entfernt von Städten und Dörfern?" Am Klärwerk würde sogar ein gut ausgebauter Feldweg vorbeiführen.

"Den neuen Investor vertreten wir lieber, weil er ein regionales Wertschöpfungskonzept hat."

Dirk Tempke gab bezüglich befürchteter Gerüche zu, dass es "schwarze Schafe" gebe und solche Dinge der Branche das Leben schwer machten. Er betonte aber immer wieder, dass die für Staßfurt geplante Anlage nicht zu vergleichen sei mit kleinen Biogasanlagen, die auf Bauernhöfen stünden.

Ein Bürger wollte wissen, ob die Stadt das Grundstück einem Investor bereits zugesichert habe. OB Zok: "Der Stadtrat hat am 15. September 2011 einen Beschluss gefasst, einer Firma Optionen einzuräumen zum Kauf einer Teilfläche." Bis heute sei nichts unterschrieben. Inzwischen habe ein zweiter Investor Interesse bekundet.

Zum zweiten Investor für die Raffinerie erklärte der Verbandspräsident: "Den neuen Investor vertreten wir lieber, weil er ein regionales Wertschöpfungskonzept hat, woran die Stadt mit Gewerbesteuern teilhaben würde. Landwirte und andere Partner der Region wären als Gesellschafter zu gewinnen." Er erklärte die Anlage als Teil eines Pilotprojekts für Sachsen-Anhalt, wonach sich Synergieeffekte mit dem Windpark Förderstedt und der benachbarten Photovoltaik-Anlage ergeben. Es solle ein virtuelles Kraftwerk entstehen, wobei überschüssige Energie in Gas umgewandelt werden soll. Er erwähnte, dass in der Raffinerie zu 52,5 Prozent Methan und 47 Prozent Kohlendioxid entstehen. In dem verteilten Katalog findet man noch Sauerstoff (0,1 Prozent) und 0,4 Prozent Stickstoff. Der Rest kann aus Stickstoff-Ammonium, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Wasserdampf bestehen. Das Kohlendioxid könnte für eine Gewächshausanlage genutzt werden, so Tempke.

Klar gegen eine Methangasraffinerie positionierte sich Stadtrat Ralf-Peter Schmidt für die Linken. Er führte Argumente wie die Verwertung von Lebensmitteln, die Gefahr der Auslaugung der Äcker durch Monokulturen und Transportbelastungen ins Feld. Man habe schon genügend Gerüche in der Stadt zu ertragen, und er sei der Bürgerinitiative dankbar, dass sie sich wehre.

Ihm sei es aber auch wichtig, wertneutral zu diskutieren, worauf René Zok deutlich machte, dass man sich nicht davor scheue. Zok bedauerte, dass das Thema generell abgelehnt werde. Die Frage, was die Stadt davon habe, sei bislang noch nicht gestellt worden.

Stadtratsvorsitzender Dr. Walter Blauwitz hakte ein: "5,1 Millionen Euro Umsatz verspricht der Investor, und dass man gewerbesteuerpflichtig sei. Aber nicht ein Mal wird in dem Konzept der Anwohner erwähnt." Für ihn stelle ein Konflikt dar, dass Landwirtschaftsminister Aeikens bei der Förderung von Biogasanlagen umsteuern wolle. Dirk Tempke meinte, dass der Minister da allein auf weiter Flur stehe. Der Landesbauernverband beziehe klare Pro-Stellung. Anderseits würden in Niedersachsen, wo der Minister herstamme, 1400 Anlagen stehen, in Sachsen-Anhalt 238. Und er selbst wäre mit 400 zufrieden.

Die Anlage in Staßfurt würde jährlich 10 000 bis 15 000 Tonnen Grüngutabfälle des Salzlandkreises verarbeiten. Eine Zuführung der Rohstoffe erfolge nicht weiter als aus einem Umkreis von 15 Kilometern, versicherte Tempke noch.

Zum Gewerbesteueraufkommen erklärte er weiter: "Das Konzept der regionalen Wertschöfpung ist insofern zu begrüßen, dass nicht nur zwei Gesellschafter dahinter stehen. Hier würden ganz andere Ketten entstehen." Und nochmal zur "Vermaisung": Die Landwirte würden auf nicht mehr als zehn Prozent ihrer Flächen Mais anbauen. Der ebenfalls anwesende Stadtrat und Landwirt Siegfried Klein (CDU) sprach von etwa vier Prozent seiner Fläche, die er momentan mit Mais bestellt habe.

"Würde ich erzählen, was hier gesagt wurde, wäre mein Sohn nach zwei Minuten eingeschlafen."

Der OB versuchte nochmal auf die Frage einzugehen, was die Stadt davon habe: "Optionsgeld in fünfstelliger Höhe, Verkauf sechstellig, Gewerbesteuer jährlich fünfstellig".

Zur Frage von Stadtrat Harald Jahns (CDU) nach Wärmeverlusten bei der Methangasproduktion, erläuterte Dirk Tempke: "Dieses Problem ist erkannt. Jetzt baut man aber nach einem belastbaren Wärmekonzept, wonach die entstehende Prozesswärme auch genutz werden muss." Zur Größe der Anlage sagte er: "Es wird nach dem neuen EE-Gesetz 2012 keine großen Anlagen geben wie in Könnern, sondern nur noch sechs Behälter mit einer Kapazität von 700 Nm3/h."

"Was haben wir als Stadt davon?" blieb Oliver Walther dran an der seiner Meinung nach immer noch nicht ausreichend beantworteten Frage. Zok: "Jedes Geschäft stabilisiert die Wirtschaft."

Anwohner Laszlo Lind meinte, dass die Pläne doch eine ",Ratte ohne Schwanz\' sind. Könnte die Anlage erweitert werden? Was ist noch geplant?" Eine Erweiterung wäre auszuschließen, so Tempke. Die Größe sei gesetzlich vorgeschrieben.

Im Anschluss verdeutlichte Tempke nochmals, dass bei einem Standortwechsel zum Klärwerk erst nach sechs Jahren Baurecht bestehen könnte, was beim vorhandenen Industriegebiet bereits vorhanden sei.

Ulf Börner von der in Gründung befindlichen Staßfurter Bürgerinitiative meinte nach gut zwei Stunden Info-Flut: "Was den Bürger wirklich bewegt, kam heute nicht raus. Würde ich meinem Sohn das erzählen, was hier gesagt wurde, wäre er nach zwei Minuten eingeschlafen." Er und die Gegner der Anlage wollen beispielsweise wissen, was ihre Grundstücke im Falle der Investition noch Wert wären, was für Gerüche und Geräusche auf sie warten.

Vielleicht helfen die von OB und Dirk Tempke angebotenen Besuche ähnlicher Anlagen und Gespräche mit dortigen Anwohnern.