46 Jahre lang schrieb die Jochen-Müller-Band Musik-Geschichte Mit der Fähre zum Tanz in Grünewalde
Im Vorfeld der geplanten Ausstellung im Kreismuseum Schönebeck über die Geschichte der Tanz- und Unterhaltungsmusik im Salzlandkreis hat es zwei vorbereitende Treffen gegeben. Die Veranstalter kamen mit einstigen und noch heute aktiven Musikern ins Gespräch. Interessante Geschichten kamen zurück ans Tageslicht. Im Jahr 1947 hatte die Jochen-Müller-Combo ihren ersten Auftritt im ostelbischen Grünewalde. Das Boot des Fährmanns war rappelvoll, wenn aufgespielt wurde.
Schönebeck. "Frag nicht den Wind", singt Regina Thoß. Und der typische Sound der 1960er Jahre schwingt in den Tönen. Antiquiert klingt es irgendwie und anrührend, eine Sehnsucht nach heißem Sand, roten Lippen und weißen Rosen aus Athen. Der Titel vom Wind ist 1967 geschrieben und stammt aus der Feder von Joachim Müller. Ein Schönebecker. Jahrzehntelang hat er die Jochen-Müller-Combo, später die Jochen-Müller-Band, geleitet. Bekannt wurde der heute 83-Jährige auch durch seine Auftritte mit dem Joleika-Trio, später mit dem Joleika-Quintett. Sogar auf der MS "Völkerfreundschaft", dem bekanntesten DDR-Dampfer mit internationalem Kurs über die Weltmeere, haben die Schönebecker Musiker für Unterhaltung an Bord gesorgt.
Die musikalische Karriere des Joachim Müller begann als Fußballer. "Ja, ich habe damals, noch vor 1947, mit Karl Balder und Heinz Stockmann im Stadtpark Fußball gespielt, wir sind sogar Bezirksjugendmeister geworden. Nach den Spielen gab es meist eine kleine Feier mit Livemusik", erinnert sich der Künstler. Dabei seien seine Freunde und er auf den Geschmack gekommen. "Wir haben uns gesagt, wir hören auf mit dem Fußball und machen Musik." So geschah es. Aufbauen konnte der damals junge Mann auf den Klavierunterricht, den er als Kind erhalten hatte.
An Noten heranzukommen – die Band hatte sich dem Swing verschrieben – war ein echtes Problem. Es gab keine. "Ich habe Rias gehört und die Noten mitgeschrieben", erzählt Müller und versichert: "Wir waren immer auf dem neuesten Stand." Staatliche Auflagen, was zu spielen ist und was nicht, habe es zu dieser Zeit noch nicht gegeben.
In der Gaststätte "Brauner Hirsch" im ostelbischen Schönebeck-Grünewalde war der Wirt nach einem ersten Vorspiel begeistert von der jungen Band. Am 26. April 1947 hatte die Jochen-Müller-Combo dort Premiere. Die nächsten Jahre war die Band eine Bank bei der Jugend. Die damals noch verkehrende Fähre (die Schönebecker Elbbrücke ist 1945 gesprengt worden und war noch nicht wieder errichtet) erlebte Stunden vor dem Tanz im Saal einen regelrechten Ansturm und hatte beim Übersetzen Tiefgang. Die Leute standen zwei Stunden geduldig an, um Musik und Tanz zu erleben.
Beruflich tätig war Joachim Müller als Technologe im Traktorenwerk. Hier sorgten er und seine Mitmusiker regelmäßig für Unterhaltung bei allen möglichen Festen. Gastspiele führten die Band unter anderem zur Landwirtschaftsausstellung nach Markleeberg. Mit einem alten Verstärker und einem Lautsprecher ging es auf Tour. "Einzige Voraussetzung war, dass ein Klavier zur Verfügung stand", sagt Joachim Müller rückblickend. Ein besonderes Erlebnis gab es in Gommern: Ein Klavier war vorhanden, aber es war einen halben Ton zu tief gestimmt. Müller musste während des geamten Konzertes transponieren, das heißt: sämtliche Melodien einen halben Ton höher spielen. Auch für einen Profi ist das eine herausfordernde Konzentrationsaufgabe.
Ab 1968 entdeckte die Band den Charme des Weiblichen und holte Sängerinnen mit auf die Bühne. "Wir haben alles gespielt, Swing weiterhin, aber auch Walzer und Tango", erzählt Joachim Müller. Auftritte gab es nach 1972 in Polen, Tschechien und in der Ukraine. Zu dieser Zeit galt die staatliche Order: 60 Prozent Ost- und höchstens 40 Prozent Westlieder. "Wir haben ein bisschen getrickst, indem wir Eigenkompositionen zum Ostanteil hinzu schlugen", berichtet Müller lächelnd. Ein Höhepunkt, sagt er und lächelt fast etwas wehmütig, sei das Gastspiel auf der MS "Völkerfreundschaft" gewesen. "Bis Varna sind wir geflogen und dort an Bord gegangen, dann ging es mit dem Schiff zurück nach Rostock."
Kurz nach der Wende besorgten sich die Musiker der Band trendige Klamotten in Braunschweig. Doch die hiesigen Menschen gingen lieber in Discos. "Das war ja natürlich auch billiger, als eine fünfköpfige Band", schätzt Joachim Müller ein. Im Jahr 1993 löste er seine Band auf: nach 46 Jahren.
Komponiert hat er nicht nur für DDR-Sängerin Regina Thoß, sondern auch für andere Interpreten und übrigens ebenso für die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie. So wird das Orchester am 2. Oktober im Schönebecker Dr.-Tolberg-Saal bei einem Konzert mit Musikschülern Müllers Argentinischen Tango spielen. Auf die Frage, was er selbst am liebsten anhört, kommt die Antwort sofort: "Big-Band-Swing. James Last etwa und Paul Kuhn". Die geplante Musik-Ausstellung im Kreismuseum will Müller nach seinen Kräften unterstützen. Letzte Frage: Was wäre das Leben ohne Musik? "Dann wäre ich jetzt älter, als ich bin."