Güstener Bereich durch neue Art komplett besiedelt / Auswirkungen auf örtliche Fauna sichtbar Streitpunkt Waschbär: Putziger Geselle oder Gefahr für heimisches Ökosystem?
Nachdem 1979 der erste Waschbär im hiesigen Raum gesichtet wurde, hat sich die fremde Art explosionsartig vermehrt. Der putzige Geselle stellt Kleingärten auf den Kopf, plündert Vogelnester. Bringt er das Ökosystem in Schwierigkeiten?
Güsten l Dirk Helbig ist Wissenschaftler am Prof.-Hellriegel-Institut der Hochschule Anhalt und beschäftigt sich seit 2004 intensiv mit dem Waschbär. Nachtwanderaktionen, Fotofallen und einige Begegnungen mit der neuen Art gehören zur seiner Forschung genauso wie Gespräche mit Jägern, Kleingärtnern und die Auswertung riesiger Datensätze über den Waschbären, die er für den Raum des Altkreises Bernburg gesammelt hat.
Auf einem Treffen der Staßfurter Fachgruppe Faunistik und Ökologie stellte er jüngst Daten und Analysen vor, die "erst einmal die Basis für weitere Studien und Schlussfolgerungen sein sollen", betont der Forscher. Denn der Waschbär ist ein Reizthema: Kleingärtner klagen über die Verwüstung ihrer Anlagen und Jäger sehen die heimische Fauna durch den Vogelnester plündernden amerikanischen Einwanderer in Bedrängnis geraten. Dass der Waschbär nicht in mitteldeutschen Gefilden heimisch ist, steht außer Frage - amerikanische GIs brachten sie als Maskottchen mit und in Berlin sind sie einst aus einer Pelztierfarm ausgebüxt. Jedoch, so die ökologische Argumentation, ist eine Invasion neuer Tierarten in den meisten Fällen ein völlig normaler Prozess - oft durch die menschliche Zivilisation bedingt - der keine Probleme bereitet. Denn die sogenannten "invasiven Neobiota", also in neue Lebensräume drängende Arten, besetzen ökologische Nischen.
Der Waschbär aber ist ein besonderes Kaliber, denn er ist "konkurrenzlos, mobil, verbreitete sich schnell und kann große Gebiete besetzen", sagt Dirk Helbig. "Sein Besiedlungspotenzial im Bernburger Raum ist ausgereift", ergeben seine Daten. Das heißt, Ecken wie der Güstener Busch und Flussbereiche von Saale und Bode sind voll besiedelt. Die Tiere fangen an, Richtung Mensch zu wanden, sogar auf weiten Ackerflächen werden sie gesichtet.
"Unglaublich, in welcher Stückzahl die Tiere anzutreffen sind."
Problematisch sei auch, dass manche Menschen anfangen, den Waschbären Futter hinzustellen. Das ziehe ihn natürlich um so mehr in die Kleingärten und zum Menschen. Im Sommer ist er außerdem Vegetarier, wodurch ihm Obstbäume und Gartenbeete besonders attraktiv erscheinen. Im Winter dagegen wird er aufgrund mangelnden Frischobsts zum Allesfresser.
"Ich bin nachts im Zuge der Forschung viel unterwegs gewesen und es war unglaublich, wie regelmäßig und in welcher Stückzahl die Tiere anzutreffen waren", sagt Dirk Helbig. Seine aufgestellten Fotofallen hielten die wie Plüschtiere aussehenden Räuber in Abrisshäusern und in Siedlungen fest. "Ich stand mehrmals direkt vor einem Waschbär. Sie haben überhaupt keine Angst, sind sogar neugierig", so seine Erfahrung. Dadurch, dass die Tierart noch nicht lange bejagt werde, habe sich die Scheu vor dem Menschen noch nicht eingestellt.
Aktuell wurden rund 8000 Waschbären im Jahr in Sachsen-Anhalt bejagt, in ganz Deutschland sind es um die 50000. Im Altkreis Bernburg wurde im Jahr 1999 noch kein einziger Waschbär erlegt. Um die Jahrtausendwende begann die explosionsartige Verbreitung. Im Jagdjahr 2005/2006 waren es schon 164 erlegte Waschbären und 2008/2009 292 Waschbären im Altkreis Bernburg.
Der Einfluss auf heimische Vogelarten wie den Graureiher, dessen Nester der Waschbär oft als Nahrungsquelle verwendet, ist dennoch groß. Die Plötzkauer Graureiherkolonie mit einst 120 Brutpaaren ging in ihrem Bestand proportional zur Ausbreitung des Waschbären in dem Raum zurück. Dies sei zunächst kein Problem, so die naturwissenschaftliche Sicht, denn jede Tierart kann solche Einbußen ausgleichen, durch mehr Geburten etwa oder durch "Umzug". Die Graureiher flücheten aus ihren Kolonien und verteilten sich jetzt über den gesamten Salzlandkreis. Dabei bleibt ihre Anzahl aber konstant. "Der Waschbär rottet den Graureiher also nicht aus, sondern verdrängt ihn nur aus seinem ursprünglichen Lebensraum", so Dirk Helbig. Solche Prozesse wären unproblematisch, hätten Vögel nicht auch mit anderen Attacken zu kämpfen. Der Mix aus dem neuen Feind Waschbär, giftiger Düngung und Monokultur auf den Feldern kann aber zur Bedrohung für den sensiblen Graureiher werden.