1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Staßfurt
  6. >
  7. Vorfreude auf die neue Freizeit

Hausarzt Vorfreude auf die neue Freizeit

Im Januar 2021 wird die Staßfurter Ärztin Annemarie Schuster ihre Praxis an den rumänischen Arzt Dr. Catalin-Marian Didu übergeben.

18.09.2020, 23:01

Staßfurt l Die 83-jährige Dame hatte alle Zeit der Welt und eine Menge Geduld. Ein akutes Leiden hatte die Rentnerin nicht, trotzdem setzte sie sich in der allgemeinärztlichen Praxis von Dr. Annemarie Schuster in den Warteraum. Sie wartete. Und wartete. Zweieinhalb Stunden vergingen. Dann durfte sie endlich in das Sprechzimmer zur Ärztin. Dort wollte sie vor allem diese eine Frage stellen: „Stimmt das, dass Sie in Rente gehen?“, fragte die 83-Jährige.

Seit Januar 1991 praktiziert Schuster in Staßfurt Nord als Allgemeinmedizinerin. Über die Jahrzehnte sind freilich engmaschige Verflechtungen entstanden. Schuster hat tausende Patienten begleitet, betreut heute die Kinder der Kinder von damals. Mit ihrer aufgeweckten und herzlichen Art hat sie sich schon lange in die Herzen ihrer Patienten praktiziert. Und die Geduld der älteren Dame beweist ja: Sie ist beliebt.

Aber leider stimmt auch das Gerücht. Am 7. Januar 2021 hat Annemarie Schuster ihren letzten Arbeitstag, dann übergibt sie ihre Praxis an ihren Nachfolger Dr. Catalin-Marian Didu. Mit 63 Jahren geht sie in Rente. Es waren lange und erfüllte Jahre als Ärztin in Staßfurt. Dabei ist sie ja gar keine Staßfurterin. Schuster kommt aus Falkensee, der brandenburgischen Kleinstadt, die direkt an Berlin grenzt.

Zu Beginn ihrer medizinischen Ausbildung hatte sie den Schwerpunkt in der Gynäkologie, später wechselte sie zur Allgemeinmedizin. 1983 war sie nach Staßfurt gekommen, ihr Mann studierte Chemie. Anfangs praktizierte sie in einem Ambulatorium unweit der heutigen Praxis in der Löderburger Straße 99b. Ungefähr 2005 siedelte sie dann in die heutigen Praxisräume um. Zusammen mit Katrin Oder betreibt sie dabei seit jeher eine Praxisgemeinschaft. Die beiden Ärztinnen teilen sich also Räume, Mobiliar und Praxishelferinnen, rechnen aber getrennt ab.

Im Gegensatz zu Schuster wird Oder weiter praktizieren. „Sie ist drei Jahre jünger als ich. Eigentlich wollte ich weitermachen, bis sie auch in Rente geht“, erzählt Schuster. Private Gründe haben sie doch dazu bewegt, früher in Rente zu gehen. Ob der Entschluss schwer war? „Ich habe vorige Woche den Praxisübernahmevertrag unterschrieben. Da kamen mir die Tränen. Es ist ein Stück Lebenswerk, das ich aufgebe“, sagt sie. „Die Leute fragen mich immer wieder: Warum machst du das? Du bist doch noch fit! Ich antworte dann: Genau deswegen.“

Worauf sie sich jetzt freut: Mit dem Hund raus gehen, Spazieren gehen, sich um die fünf Enkel kümmern. Der jüngste Enkel ist sieben, der älteste 15. „Ich will den ganzen Tag lesen“, sagt sie und ihre Augen leuchten. Und der Garten am Haus in Löderburg freut sich auf intensive Betreuung. Früher hat sie zwölf Jahre selbst in Staßfurt Nord gewohnt, bevor sie mit ihrem Mann das Haus in Löderburg gekauft hatte.

Schuster hat als Rentnerin Glück. Ihre Kinder und Enkel sind nicht so weit verstreut. Eine Tochter wohnt in Magdeburg, eine Tochter praktiziert in Leipzig als Tierärztin. Der Sohn ist Kinderarzt in Halberstadt. In Berlin hat sie vier Geschwister. Einmal im Jahr gibt es ein Geschwistertreffen.

Im Januar 2021 übernimmt dann der rumänische Arzt Dr. Catalin-Marian Didu ihre Praxis. Didu ist 39 Jahre alt und lebt seit 2012 in Deutschland. In Rumänien hat er seine Facharztausbildung gemacht, seit sieben Jahren ist er praktizierender Allgemeinmediziner in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Eisenhüttenstadt. „Ich wollte den nächsten Schritt in die Selbstständigkeit wagen“, sagt er.

Über die kassenärztliche Vereinigung kam er mit Schuster in Staßfurt in Kontakt. Im Juni war er erstmals in der Praxis. Da hat es medizinisch gefunkt. „Er hat gesagt, dass es wie eine Familie ist. Da habe ich Gänsehaut bekommen“, sagt Schuster. Didu geht dabei bewusst den Schritt in die Kleinstadt. Auch in Frankfurt am Main habe er sich eine Praxis angeschaut. Die Stadt war ihm aber zu groß und zu anonym. „Staßfurt ist eine ruhige Stadt“, sagt Didu, der perfekt deutsch spricht.

Didu selbst spricht langsam, mit vielen Pausen, wirft immer wieder ein nickendes „Ja“ oder „Genau“ ein. Er hört gut zu, ist aufmerksam und könnte so den Platz von Schuster einnehmen, wenn viele Patienten nur in die Praxis kommen, um ein bisschen zu plaudern. Im ländlichen Raum und den Kleinstädten ist der Arzt eben auch noch ein Bekannter, der sich Zeit nimmt.

Didu ist verheiratet, hat zwei Kinder im Alter von vier Jahren und elf Monaten. Seine Frau ist ebenfalls Medizinerin. Sie ist noch in Ausbildung als weiterbildende Assistentin und möchte Kinderärztin werden. Vielleicht später in einer Praxis zusammen mit ihrem Mann? „Vielleicht. Ich komme nicht für ein Jahr nach Staßfurt. Ich möchte bleiben“, sagt Didu.

Welchen Eindruck hat er von der Praxis? „Die beiden Ärztinnen sind sehr nett, die Praxishelferinnen auch. Eine familiäre und persönliche Atmosphäre sind mir sehr wichtig.“ Schon in Eisenhüttenstadt habe er viele ältere Patienten, für die er sich viel Zeit nimmt. „Für mich ist es sehr wichtig, dass die Patienten ihrem Arzt vertrauen.“ Unklar ist, ob Didu tatsächlich nach Staßfurt zieht. Vielleicht pendelt er von Magdeburg aus. Dort wohnt bereits ein Schwager.

„Es war für mich ein Glücksfall, einen Nachfolger zu finden“, sagt Annemarie Schuster. Sie habe viele Studenten kontaktiert. Das blieb erfolglos. Verstehen kann sie das nicht. „Staßfurt liegt zentral“, sagt Schuster. Die Vermittlung über die Kassenärztliche Vereinigung kam mit einer Praxisbörse zustande.

Natürlich hat sie kritische Stimmen vernommen wegen der Übernahme. Auch wegen der Nationalität des Nachfolgers. „Es gab einen Patienten, der gesagt hat, dass er dann lieber woanders hingehe. Zu einem rumänischen Arzt werde er nicht gehen“, sagt Schuster. „Das hat mich getroffen. Wir sind alle Menschen.“ Zumal es generell schwer ist, einen Allgemeinmediziner zu finden. „Bis auf eine Kollegin haben alle Hausärzte einen Aufnahmestopp“, so Schuster. Und fast alle Kollegen wären über 50. In einigen Jahren wird dann der Ärztemangel in Staßfurt richtig akut.

Schuster hingegen freut sich schon jetzt auf die neue Freizeit ab 2021. „Insgesamt bin ich froh. Ab sofort werde ich mir jeden Tag genau einprägen. Das habe ich mir verdient“, sagt Schuster. Und lacht wieder. „Und ich bin ja nicht aus der Welt. In der Kaufhalle trifft man sich ja wieder.“