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  7. Wird Seeland gerettet? Der Concordia See bleibt gesperrt und die Touristen in weiter Ferne

Drei Jahre nach dem tragischen Erdabrutsch in Nachterstedt ist die Ursache noch immer nicht gefunden. Von Kathleen Radunsky Wird Seeland gerettet? Der Concordia See bleibt gesperrt und die Touristen in weiter Ferne

23.08.2012, 03:24

Ruhe nach dem tragischen Unglück von Nachterstedt 2009 ist in der Region um den Concordia See noch immer nicht eingekehrt. Am 18. Juli hat sich der traurige Tag, an dem drei Menschen gestorben und 41 obdachlos geworden sind, zum dritten Mal gejährt. Während Anwohner in Nachterstedt Unterstützung erhalten haben, klagen Ferienhausbesitzer und -vermieter in Schadeleben, dass der See noch immer gesperrt ist.

Schadeleben l Ein Lächeln für das Volksstimme-Foto auflegen? Für Susi Schmidt und Jörg Engelhardt ist das nicht möglich. Beide stehen an der Absperrung, hinter der nur wenige Meter der beschauliche Concordia See ruht. Der Ausblick ist wunderschön, wäre nicht der Zaun. Für Engelhardt und Schmidt war die Region Schadeleben bisher ein wunderbarer Ort für Entspannung und Erholung. Doch vor drei Jahren hat sich das Blatt gewendet. Seither ist der Ausblick auf den rund 3,5 Quadratkilometer großen See getrübt. "Es ist furchtbar", sagt die 48-Jährige. "Und es ist deprimierend, wenn man direkt auf den See schaut, jetzt im Sommer schwitzt und man kann nicht baden gehen", ergänzt Jörg Engelhardt.

Die beiden Ferienhausvermieter auf der Schadeleber Seite des größten künstlich angelegten Sees im Harzvorland sind verbittert. Denn seit dem tragischen Unglück von Nachterstedt am 18. Juli 2009 ist der Concordia See für jegliche Nutzung komplett gesperrt. Was war geschehen? Damals war über Nacht plötzlich ein etwa 350 mal 150 Meter breiter Landstreifen auf der Nachterstedter Seeseite abgerutscht. 41 Menschen wurden obdachlos. Drei Menschen sind dabei gestorben. Bis dato ungeklärt ist die Unglücksursache. Das Landesamt für Geologie und Bergwesen und der zuständige Bergbausanierer, die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), führen Erkundungsarbeiten zur Ursachenermittlung durch. Ein Ergebnis steht bis heute aus. Und deshalb bleibt der See weiterhin ohne touristische Nutzung.

"Oberste Priorität hat die Sicherheit. Der See kann nur dann freigegeben werden, wenn die Sicherheit gewährleistet ist, das heißt wenn keinerlei Gefahr für Leib und Leben besteht", informiert Robin Baake, Pressereferent beim zuständigen Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft.

Diese Aussage hängt Susi Schmidt und Jörg Engelhardt inzwischen zu den Ohren heraus. Ihr Problem: Sie betreiben mit ihren jeweiligen Ehepartnern Ferienhäuser auf der Schadeleber Seite. Gäste haben sie seit 2009 kaum zu verzeichnen. "Ich hatte in diesem Jahr noch keinen", sagt Jörg Engelhardt offen, dessen Frau Diana sich vorrangig um die Ferienhäuser mit Platz für acht Familien kümmert. Susi Schmidt kann nur traurig zustimmen, in ihrem Reservierungsbuch sieht es genauso leer aus. "Wir bekommen ja noch nicht einmal Anfragen", sagt sie.

Die Vermieter und Ferienhausbesitzer aus der Schadeleber Ferienhaussiedlung fühlen sich im Stich gelassen. "Wir haben keinerlei Unterstützung erhalten", sagt die 48-Jährige. "Das Einzige, was wir 2011 durch das Unglück hatten, war die Vermietung an Monteure, die auf dem See Untersuchungen durchgeführt haben", sagen die Vermieter. Seit drei Jahren zehren die Vermieter von ihrem Erspartem. Doch das ist nunmehr aufgebraucht. "Wenn nicht bald etwas passiert, droht uns die Insolvenz", sagt Susi Schmidt deshalb klar.

Das Warten auf jegliche Unterstützung geht weiter

"Wir waren ja dafür, dass den direkt Betroffenen in Nachterstedt zuerst geholfen wird", bezieht sich die Schadelebenerin auf die finanziellen Zuwendungen. Für den Zeitraum von 2009 bis Ende 2011 haben laut Wirtschaftsministerium der Bund und das Land Sachsen-Anhalt mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, davon eine Million Euro für einen Nothilfefonds für betroffene Unternehmen. "Für uns ist diese Aussage wie ein Schlag ins Gesicht", sagt die Ferienhausbesitzerin, die so wie die anderen Eigentümer bis heute auf irgendeine Hilfe wartet.

Dass die Ferienhausvermieter bisher keine finanzielle Hilfe erhalten haben, liegt wohl auch daran, dass sie nicht die drei-Jahres-Bilanz vorlegen können, die vom Ministerium gefordert wird, um mit belastbaren Zahlen zu arbeiten. Denn das Ehepaar Schmidt vermietet die untere Etage des Wohnhauses erst seit dem vergangenen Jahr. Es war alles lange vor dem Unglück geplant und ein Zurück nach dem Unglück ging für die Familie nicht mehr. Ihr Sohn Steffen, der in der Siedlung ebenfalls Ferienwohnungen offeriert, bietet seit 2009 Platz für acht Familien.

Bereits seit 2007 - also vor dem Unglück - stellt Jörg Engelhardt mit seiner Frau Unterkünfte für Touristen in Schadeleben zur Verfügung. Die benannte drei-Jahres-Bilanz kann er auch nicht vorlegen. "Der Sommer 2009 war super, wir waren ausgebucht", erinnert er sich. Und fast kehrt ein Lächeln in sein Gesicht zurück. Doch dann kam der Erdrutsch, denkt er weiter, und in seinen Augen ist wieder die Trostlosigkeit erkennbar. "Wir schalten Werbung und verteilen Flyer, aber wer will denn hier noch Urlaub machen", begründet er seine Gemütslage.

Die einzige Hoffnung, die die Vermieter haben, ist, dass der Concordia See zeitnah geöffnet wird. "Für uns würde eine Teil- öffnung reichen", erklärt Susi Schmidt. Würden ihre Gäste das kühle Nass nutzen können, hätten diese schließlich einen Grund nach Schadeleben zu kommen. Aber derzeit lockt rein gar nichts an den einst so beliebten Concordia See. "Nicht einmal mehr mit dem Fahrrad kann man um den See herumfahren, weil alles abgesperrt ist", sagt sie und fügt hinzu, dass die circa 20-Kilometer-Route eine angenehme Tour für Familien sowie Senioren sei. Inzwischen würden die Besitzer Ferienhäuser der Siedlung auch den Rücken zukehren. "Die Leute müssen nun woanders in den Urlaub fahren, obwohl sie hier ihr Häuschen zu stehen haben", schätzt die 48-Jährige ein.

"Damals hieß es, dass der See 2010 wieder geöffnet wird", blickt sie zurück. "Jedes Jahr wurden wir auf ein Neues vertröstet", nennt sie ihren Unmut und ergänzt: "Wir sind von den Offiziellen enttäuscht." Grundsätzlich sei die Kommunikation von den Verantwortlichen nicht gut, sind sich die Vermieter einig. "Das Einzige, was wir bekommen, sind Ausreden", schätzt Susi Schmidt ein. "Keiner kommt uns entgegen, und setzt sich mit uns an einen Tisch, um über die Situation zu sprechen", bringt sie ihre Enttäuschung zum Ausdruck.

Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums ist dieser Vorwurf unbegründet. "Die Vermieter von Ferienhäusern können sich mit ihren Fragen jederzeit an die LMBV, das Landesamt für Geologie und Bergwesen, die Stadt Seeland oder auch das Wirtschaftsministerium wenden", sagt Pressesprecherin Beate Hagen. Sie betont vielmehr, dass darüber hinaus "die Bürgerinformationsveranstaltungen den Vermietern wie auch allen Einwohnern der Stadt Seeland zur Verfügung stehen".

Auf den Vorwurf, keinerlei Hilfe den Schadelebern zu kommen zu lassen, antwortet sie des Weiteren: "Die Ferien-haussiedlung in Schadeleben befindet sich außerhalb der Grenzen der von der Stadt Seeland auch im Namen und Auftrag der Gemeinde Gatersleben erlassenen Allgemeinverfügung zur Absperrung des Sees." Seien tatsächliche und nachweisbare wirtschaftliche Nachteile entstanden, so die Pressesprecherein des Landesministeriums, "so ist zu belegen, dass diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der erlassenen Allgemeinverfügung zur Absperrung des Sees entstanden sind und in einem engen räumlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Böschungsabbruch stehen". Für verloren gegangene Chancen und Gewinnmöglichkeiten allgemeinerer Art könne grundsätzlich kein Ersatz geleistet werden.

Auf diese Aussage reagieren die Vermieter mit Unverständnis. "Denn genau das ist unser Problem, mit einem geöffneten See kommen die Gäste und mit einem gesperrten bleiben die Gäste weg", sagen die Schadeleber. Sie argumentieren, dass sie ihre Häuser in der Siedlung gebaut haben, weil es den geöffneten See gab, ansonsten hätte hier keiner gebaut", erklärt Susi Schmidt.

Selbst eine Teilöffnung ist momentan nicht möglich

Wenig Hoffnung macht derweil Beate Hagen auf eine Öffnung des Concordia Sees - so wie es sich die Vermieter sehnlichst wünschen. "Eine Teilöffnung des Bereiches in Schadeleben ist unter Berücksichtigung der noch nicht abgeschlossenen Ursachenerforschung und der sich anschließenden Neubewertung der Standsicherheit aller gekippten Böschungen nicht möglich." Das Ufer im Bereich der Ferienhaussiedlung bestehe zwar nicht aus gekippten Böschungen. "Weil aber plötzliche Böschungsbewegungen an anderen Uferabschnitten nicht ausgeschlossen werden können, kann wegen der damit verbundenen Gefahr der Bildung von Schwallwellen die Sicherheit für Leib und Leben nicht gewährleistet werden", erklärt sie nüchtern. Ähnlich verhalte es sich mit dem Radweg, der weiterhin gesperrt bleibt, so Beate Hagen.

Die Region um den Concordia See werde aber nicht im Stich gelassen, versichert sie. "Die Investitions- und Marketinggesellschaft des Landes bewirbt im Rahmen der Kampagne ¿Naturfreude - Durchatmen in Sachsen-Anhalt\' auch das Radwandern auf der R1/D3-Route", erklärt sie und ergänzt: "Dort wurde ein neues Fahrradrast- und Informationszentrum gebaut. Die Gesamtinvestition für diese Baumaßnahme betrug rund 611000 Euro. Der Investitionszuschuss betrug 550100 Euro." Dieser finanzielle Einsatz ist für die Ferienhausvermieter nicht nachvollziehbar. "Wenn der Radweg gesperrt ist, wozu braucht man dann einen Rastplatz?", fragen sie.

Aufmunternde Worte für die Menschen vor Ort findet der Salzlandkreis. "Die Seelandregion mit ihren engagierten Bürgern hat es verdient, für diese nutzbaren Teilobjekte zu werben. Für den Salzlandkreis steht und stand zu keiner Zeit das Tourismusprojekt Seeland mit dem Concordia See in Frage." Landkreissprecherin Ingrid Schildhauer verweist zudem auf den größten Kinderspielplatz von Sachsen-Anhalt, den "Abenteuerland" zwischen Frose und Schadeleben. "Er war zu keiner Zeit von der Sperrung des Concordia Sees betroffen und ist somit durchgängig für die Besucher geöffnet", sagt sie auf Volksstimme-Nachfrage. Das zeigt sich tatsächlich, besucht man den mehr als 40000 Quadratmeter großen Spielplatz. Auch unter der Woche ist hier einiges los, das Hans Strohmeyer, Geschäftsführer der kommunalen Betreibergesellschaft, nur bestätigen kann. "Im Jahr locken wir zwischen 45000 und 50000 Besuchern an", berichtet er. Kurz nach dem tragischen Unglück 2009 habe man hier auf dem Spielplatz auch einen Knick in der Besucherstatistik gemerkt. Das habe sich inzwischen zwar erholt. "Trotzdem spüren auch wir fehlende Einnahmen", sagt er und bezieht sich auf den Uferbereich im nördlichen Teil des Concordia Sees, der von der Gesellschaft betrieben und verpachtet wird. "Heute zielen wir mehr auf Tagestouristen ab", sagt er. Zwar habe die Gesellschaft auch vor dem Unglück nicht ohne kommunale Zuschüsse auskommen können, inzwischen sei die Summe aber um einiges gestiegen. "Wir haben hier alle an der Situation zu knabbern", schätzt Strohmeyer ein. Von Resignation ist aber keine Spur in seiner Stimme zu spüren. "Wir geben nicht auf", betont der Geschäftsführer. Mit diversen Festen und Veranstaltungen versucht er vielmehr zusätzlich Gäste in die Region um den Concordia See zu locken. Strohmeyer hofft indes ebenfalls auf eine baldige Öffnung des Sees. "Besser heute als morgen", macht er auf die schwere Situation der Menschen vor Ort aufmerksam.

Der Blick bleibt bei der wirtschaftlichen Entwicklung

Für Heidrun Meyer, Bürgermeisterin der Stadt Seeland, bleibt derweil auch nur noch die Hoffnung, und zwar auf eine baldige Freigabe des Concordia Sees. "Uns würde ja eine Teilöffnung ausreichen", sagt sie im Volksstimme-Gespräch. Schließlich sei es nicht von der Hand zu weisen, dass die Tourismusregion um Nachterstedt und Schadeleben noch heute unter dem Unglück von 2009 leide. Als Bürgermeisterin will sie in jedem Fall an dem Tourismusprojekt festhalten. "Schön ist es zum Beispiel, dass wir auf unserem Abenteuerspielplatz trotz unserer misslichen Lage rund 50000 Besucher im Jahr verzeichnen", sagt sie. Trotzdem, so Heidrun Meyer, will sie sich nicht allein darauf verlassen, dass die Touristen demnächst wieder in Scharen an den Concordia See kommen. Deshalb werde hier weiterhin ein großes Auge auf die wirtschaftliche Entwicklung geworfen.

Für die Betroffenen bleibt also vorerst nichts weiter übrig als abzuwarten. Darauf, dass die Ursache des tragischen Unglücks von Nachterstedt, das 2009 ganz Deutschland erschüttert hatte, geklärt wird - und die daraus resultierenden Maßnahmen getroffen werden.