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Freispruch Misshandlung nicht nachweisbar

Eine 33-jährige Frau wurde vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung ihres Babys freigesprochen. Es gab keine direkten Zeugen.

Von Wolfgang Biermann 27.04.2016, 16:00

Stendal l Das Amtsgericht hat am Dienstag eine Stendalerin vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung ihres Kindes freigesprochen. Die 33-Jährige war angeklagt, ihre zur Tatzeit elf Monate alte Tochter misshandelt zu haben. Der Freispruch erfolgte nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ – obwohl der Vorsitzende Richter nach eigenem Bekunden der Angeklagten nicht geglaubt hat. Auf Mutmaßungen hin könne man aber kein Urteil stützen. „Auf welche Weise die Verletzungen entstanden sind, ist im Dunkeln geblieben. Direkte Zeugen gibt es nicht, und das Kind kann sich dazu nicht äußern“, begründete der Richter.

Drei Kinderärzte, zwei Betreuerinnen, zwei Kriminalpolizistinnen, der Kindesvater und seine Mutter sowie die Familienhebamme hatten als Zeugen ausgesagt. Dazu hatte Rechtsmediziner Knut Brandstädter sein Gutachten erstattet. Darin fand er keine zu den Angaben der Mutter passenden plausiblen Erklärungen für die Verletzungen des Kindes, zumal das Baby als „motorisch faul“ galt. Die Mutter hatte angegeben, dass sich das Kind die Verletzungen selbst zugefügt haben müsse.

Laut Anklage soll die 33-Jährige im Juli vorigen Jahres ihre zum Tatzeitpunkt motorisch entwicklungsverzögerte Tochter, die weder krabbeln noch stehen noch sitzen konnte, entweder geschlagen oder mit einem Gegenstand massiv gedrückt haben. Verletzungen im Gesicht und am Körper des Säuglings seien die Folge von Schlägen oder Druckausübung gewesen. Die Angeklagte bestritt Schläge oder Drücken.

Alle Zeugen schilderten sie als liebevolle und fürsorgliche Mutter. „Ich habe meiner Tochter nichts getan“, gab sie dem Gericht als letztes Wort mit auf den Weg zur Urteilsfindung. Ihrer Erklärung nach habe sie ihre Tochter in der Nacht zum 19. Juli 2015 gewindelt. Dabei habe sie selbst auf Toilette gemusst, von dort aus habe sie ein „Heidengeschrei“ aus dem Wohnzimmer gehört, wo sie die Tochter am Fuß eines Tisch auf einer Decke abgelegt habe. Sie hätte sie schreiend vorgefunden und tröstend auf den Arm genommen. Verletzungen hätte sie nicht gesehen.

Erst am Morgen will die Angeklagte die Kopfverletzungen bemerkt haben. Der getrennt von ihr lebende Kindesvater und dessen Mutter drängten zum Aufsuchen der Kinderklinik. Dort kamen der diensthabenden Ärztin die Kopfverletzungen sofort verdächtig vor. Die Angeklagte habe einer Ganzkörperuntersuchung des Säuglings nur zögerlich zugestimmt. Auch wollte sie keine stationäre Behandlung. Sie habe erst nach wiederholter Aufforderung das Kind ausgezogen und dabei versucht, den Bauch- und Brustraum ihrer Tochter zu verdecken.

Die Angeklagte habe fahrig gewirkt, „wie unter Medikamenten stehend“, so die Assistenzärztin. Darin wurde sie von einer Oberärztin der Kinderklinik bestärkt. Die sagte als Zeugin ebenfalls am Dienstag aus, dass die 33-Jährige überfordert gewirkt habe. Die Oberärztin hatte Polizei und Rechtsmedizin wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung eingeschaltet.

Das Gericht hielt es indes im Urteil für möglich, dass ein „Sturzgeschehen der Mutter auf das Kind in Betracht kommen könne – ohne ein Verschulden der Mutter“. Das habe Rechtsmediziner Knut Brandstädter im Gutachten nicht geprüft. Alternativ könne es auch so gewesen sein, dass der Angeklagten aus Fahrlässigkeit etwas mit dem Kind geschah. Das könne jedem passieren und sei nicht strafbar.

Aus Angst, dass man ihr die Tochter wegnehmen würde, wenn sie die Wahrheit sage, habe sie dann die Geschichten erfunden. Das sei nachvollziehbar, stellte das Gericht in der Urteilsbegründung fest.

Derzeit lebt das Kind bei Pflegeeltern. Mit dem Freispruch folgte das Gericht dem Antrag der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine siebenmonatige Bewährungsstrafe gefordert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Berufung und Revision sind möglich.