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Lebenswege Alkoholkranker aus Kehnert kämpft für mehr Selbständigkeit und ein Elektromobil

Als Alkoholiker hat Frank Mölle in seinem Leben viel verloren. Sein Zuhause, seine Selbstständigkeit, den Blick für die Natur und auch die Fähigkeit, ohne Hilfsmittel sicher zu laufen. Seit neun Jahren ist er „trocken“, seinen Führerschein und seinen Kampfgeist besitzt er bis heute. Letzteren braucht er auch – im Kampf gegen die Krankheit und für seine Rechte.

Von Birgit Schulze Aktualisiert: 09.09.2021, 10:18
Frank Mölle ist auf Gehhilfen angewiesen, für die Wege außerhalb des Wohnheims bräuchte er einen elektrischen Krankenfahrstuhl. Heimleiterin Andrea Rödling steht hinter ihm.
Frank Mölle ist auf Gehhilfen angewiesen, für die Wege außerhalb des Wohnheims bräuchte er einen elektrischen Krankenfahrstuhl. Heimleiterin Andrea Rödling steht hinter ihm. Foto: Birgit Schulze

Kehnert - Seit 2012 lebt Frank Mölle im DRK-Heim für Menschen mit Alkoholfolgeerkrankungen in Kehnert. Er ist seit neun Jahren „trocken“ und er ist auf einem guten Weg. Einen guten Schritt voran auf dem Weg zurück in die Selbstständigkeit würde er aus seiner Sicht mit einem elektrischen Krankenfahrstuhl machen, doch den lehnte die Krankenkasse bisher ab – weil man ihm das Steuern eines solchen Fahrzeugs mit einer Geschwindigkeit von sechs Kilometern pro Stunde im öffentlichen Straßenverkehr nicht zutraue, glaubt Mölle.

„Ein Moped dürfte ich fahren, ich habe der Krankenkasse sogar meinen Führerschein geschickt“, sagt er. Ein grundsätzlicher Anspruch auf Hilfsmittel sei ihm zwar bestätigt worden, ein Rollator oder Handrollstuhl als angebotene Alternative aber komme für ihn nicht infrage, erklärt er. Die Ablehnung nimmt der 58-Jährige nicht einfach so hin und ist in Widerspruch gegangen. „Ich bin krank und auf Hilfe angewiesen.“

Die Bein-Nerven des ehemaligen Magdeburgers sind als Folge des jahrelangen Alkoholmissbrauchs dauerhaft geschädigt, so dass er auch im Haus auf Gehhilfen angewiesen ist.

„Alkoholikerkarriere“ begann nach der Wende

Begonnen hat seine „Alkoholikerkarriere“ nach der Wende. Als gelernter Mechaniker hat Mölle als Wartungsmechaniker, Zerspaner, Lagerleiter und Staplerfahrer gearbeitet. In den großen Magdeburger Betrieben von Robotron über SKL und SKET bis zu den Erich-Weinert-Messgerätewerken war er beschäftigt. „Dann kam die Wende, da wurden Tausende arbeitslos. Allein bei SKET waren es 1300 Menschen, die nach Hause gehen mussten“, fasst er zusammen.

Er selbst habe noch in einer Abrissfirma für ein paar Jahre Arbeit gefunden, um dort „seine“ Betriebe platt zu machen, wie er noch heute betroffen erzählt. 1996 war dann auch Mölle arbeitslos und er spricht von perspektivlosen, deprimierenden Zeiten, in denen der Treff an der Trinkhalle das Tageshighlight war. Irgendwann sei es dann nur noch darum gegangen, an den Alkohol zu kommen. Egal wie.

Heute weiß er, was der Alkoholismus ihm alles genommen hat. Nach der Entgiftung kam er in Kehnert zur Ruhe. „Ich habe die Natur wiedergefunden. Im Suff hast du kein Empfinden mehr für schöne Dinge“, erklärt er. Wenn er heute in sein ehemaliges Umfeld kommt, dann habe er einen anderen Blick. „Dann sage ich mir: So warst du auch mal. Und das ist erschreckend.“

Trotzdem hat er ein großes Ziel: Er will in seine Heimatstadt zurück, wo auch sein 85-jähriger Vater noch lebt. Ihn selbständig besuchen zu können, hat er sich vorgenommen. Geplant ist, dort ins betreute Wohnen zu gehen, allerdings gibt es auch dafür eine Warteliste. Bis sein Umzug möglich ist, will er selbstständiger werden – auch mit einem Elektromobil.

Antrag auf Elektromobil zunächst abgelehnt

Bereits im August vergangenen Jahres stellte er den Antrag auf einen solchen Krankenfahrstuhl, um selbstbestimmt unterwegs sein zu können und im abgelegenen Kehnert nicht nur auf die seltenen Schul- oder Rufbusse angewiesen zu sein. Die AOK spricht auf Volksstimme-Nachfrage von einem Antrag Mölles, der erst am 2. November eingegangen sei.

Die erste Ablehnung am 1. Dezember sei auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen erfolgt. Die Krankenkasse prüft den daraufhin eingelegten Widerspruch nun seit mehr als einem halben Jahr.

Auf einem guten Weg zu sein, das bestätigt ihm auch Heimleiterin Andrea Rödling. „Herr Mölle hat große Motivation, das zu schaffen, was er will. Er kann ganz viele Sachen selbst machen und wir unterstützen ihn, wo wir können“, sagt sie.

Belastungsurlaube im alten Umfeld

Sie freut sich mit ihm darauf, dass er irgendwann wieder nach Magdeburg ziehen kann. Dort ist er schon jetzt in regelmäßigen Abständen im „Belastungsurlaub“, um zu prüfen, wie er mit den Reizen seines ehemaligen Umfeldes umgeht. „Seit neun Jahren habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt und das soll auch so bleiben“, sagt Frank Mölle. Trotz aller Bemühungen und Nachweise seiner Abstinenz fühlt er sich diskriminiert, weil er glaubt, dass allein seine Krankheit für die Entscheidung, den Elektrofahrstuhl abzulehnen, ausschlaggebend gewesen sei. Es habe bisher keinen Besuch des Medizinischen Dienstes oder der Krankenkasse gegeben, sagt er und betont, dass er sich nicht einfach so abwimmeln lassen will.

Mit seiner Geschichte will er auch anderen Menschen mit Behinderung Mut machen, für ihre Rechte zu kämpfen, erklärt er.

Im Schnitt alle 14 Tage habe er in den vergangenen Monaten seine Krankenkasse angerufen und nachgefragt, immer wieder seien neue Unterlagen von ihm gefordert worden, zuletzt ein Langzeit-Bluttest, der seine bestätigte Abstinenz noch mal beweisen sollte. Den Test musste er selber zahlen. Nach Volksstimme-Anfrage hat die AOK aber angekündigt, dieses Geld zu erstatten.

Orthopäditechniker soll jetzt kommen

„Grundsätzlich ist ein Rollstuhl mit Elektroantrieb beziehungsweise ein Elektromobil ein elektrischer Krankenfahrstuhl und stellt ein Fahrzeug im Sinne der Straßenverkehrsordnung dar. Daher ist neben der medizinischen Indikation das Vorliegen der Fahrtauglichkeit eine weitere Grundvoraussetzung für eine Kostenübernahme“, heißt es aus der Pressestelle der AOK.

Zur Zeit warte die Kasse auf einen aktuellen psychiatrischen Befund, um ein abschließendes Gutachten vom Medizinischen Dienst anfertigen zu lassen. Es gehe um die Frage einer Eigen- oder Fremdgefährdung bei der Elektromobilnutzung. Weil diese in Zusammenhang mit einer Suchterkrankung nicht völlig ausgeschlossen werden könne, sei auch die erste Ablehnung erfolgt, heißt es.

Die AOK hat inzwischen aber auch angekündigt, im direkten Gespräch mit Frank Mölle klären zu wollen, wie man zusätzlich unterstützen kann. Geplant sei, dass ein Orthopädietechniker Frank Mölle zeitnah besucht, um eine weitere Hilfsmittelversorgung in seinem Wohnumfeld zu prüfen.