Studentengruppe um Dr. Rolf Horak zieht Zwischenbilanz zu einem Praxisprojekt Ältere Menschen empfinden ihr Leben im Dorf wie im Gefängnis
Im April startete Dr. Rolf Horak und ein Dutzend Studierender der Stendaler Hochschule ein Praxisprojekt, das dörfliches Leben im Landkreis Stendal unter die Lupe nimmt. Wie lebt es sich auf ostaltmärkischen Lande? Woran fehlt es den Menschen? Fragen, auf deren Antworten nicht nur die Studenten gespannt waren. In der Zwischenzeit haben sie einen ganzen Stapel davon, resultierend aus 19 Interviews, die sie in 13 Dörfern führten.
Stendal. Dass ländliches Leben in den vergangenen Jahren vieles an Attraktivität verloren zu haben scheint, das war der Ausgangspunkt des Praxisprojekts, für das der Rehabilitationspsychologe Dr. Rolf Horak problemlos ein Dutzend studentischer Mitstreiter an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal fand. Woran fehlt es heute in den Dörfern?
Antworten darauf suchten und fanden die Studenten um Projektleiter Horak in den vergangenen Wochen in 13 Dörfern. Sie interviewten Leute in Königsmark nördlich von Osterburg ebenso wie in Kamern ganz im Osten des Landkreises, in Möhringen quasi vor den Toren Stendals oder im eher südlich gelegenen, beschaulichen Schelldorf.
19 Gesprächspartner stellten sich ihnen zur Verfügung. "Die Leute waren aufgeschlossen, sehr direkt und sehr ehrlich", sagt Susanne Ratzer, eine der Magdeburgerinnen in der Projektgruppe. Nicht nur an dem Projekt interessiert, sondern regelrecht dankbar dafür, dass da mal jemand sei, der sich für ihre Situation interessiert, sich ihre Probleme anhört – so erlebte Mandy Rogalla ihre Interview-Partner. Schon allein aus diesen beiden Eindrücken schlussfolgert Projektleiter Horak: "Wir lagen mit unserem Projektansatz richtig." Und er wird noch deutlicher: "Dass es dramatisch werden könnte, davon gingen wir aus, mit soviel Dramatik, wie wir sie dann erlebten hatten wir jedoch nicht gerechnet."
Der Projektleiter bezieht diese Aussage allerdings vorerst nur auf eines der Felder, die von den Studenten beackert wurden: das der älteren Dorfbewohner. Die Interviews mit ihnen sind die einzigen die bislang ausgewertet werden konnten. Die Analyse der Befragungen der anderen Altersgruppen – diese Aufteilung ist Teil des Projektkonzepts – wird in den nächsten Wochen folgen.
Die erste Teilanalyse der Projekts ist eine ernüchternde. Horak: "Wir hatten Aussagen dabei, die sich auf den Kern bringen lassen: Das Leben im Alter auf dem Land ist wie im Gefängnis." Das Gefühl des Gefangenseins, des nicht mehr frei Entscheidenkönnens resultiere zum einen aus nicht mehr vorhandener Mobilität.
Nicht nur die Unmöglichkeit, sich selbst ans Steuer eines Fahrzeugs zu setzen, ist der Grund. Hinzu kommen auf ein Minimum zusammengestrichene Busfahrpläne, die dann an den Bushaltestellen auch noch so klein geschrieben ausgehängt sind, das man eine Lupe bräuchte, um sie zu entziffern. Fahrten in die Stadt müssten minutiös geplant werden, seien dann meist mit Terminen überladen, die es zu bewältigen gelte. "Das hat dann im Gefühl der Leute wirklich was von Freigang aus dem Gefängnis", kann Horak solche Wertungen der Interviewten nachvollziehen.
Was den studentischen Interviewern immer wieder begegnete, waren Sätze wie dieser: "Schade, dass es unseren Dorfkonsum nicht mehr gibt."
Nicht nur wegen der ihnen genommenen Möglichkeit des Einkaufens im Dorf. Dafür bieten mobile Händler heute zumindest teilweisen Ersatz. Nein, auch der Dorfladen als Ort, an dem man sich traf und miteinander plauderte, fehlt den Menschen.
Dorfgemeinschaft, die nicht mehr funktioniert, nachbarschaftliche Solidarität, die nachlässt, weil jeder zunehmend mit sich selbst zu tun hat, verbittere zusätzlich, mache die Leute teilweise sogar depressiv, schätzt Projektleiter Horak ein. Auf der anderen Seite haben die Studenten aber auch erfahren, dass jene dörfliche Gemeinschaft noch lebendig sein kann. Sie lebt dort, wo es Eigeninitiative gibt, wo Menschen Zusammengehörigkeit aus eigenem Streben heraus organisieren, seien es engagierte Ortsbürgermeister oder Frauen, die Seniorennachmittage immer wieder ideenreich ausgestalten.
"Wir sind nicht angetreten, um zu heilen"
Doch genügt das auf Dauer um das Leben in den Dörfern lebenswert zu machen oder auf lange Sicht die Dörfer selbst am Leben zu erhalten? Dieser Fragen zu beantworten, wird nicht mehr Aufgabe des Praxisprojekts der Hochschulgruppe sein. Dr. Horak: "Wir sind nicht angetreten, um zu heilen, sondern um zu erkennen, warum die Situation auf dem Lande so ist, wie sie ist."
Aus dieser Erkenntnis heraus Konzepte und Lösungen zu entwickeln, wird unter anderem Aufgabe derer sein, denen die Praxisprojektgruppe die detaillierten Ergebnisses ihrer Arbeit Anfang Oktober vorstellen wird. Unter den Gästen dieser Veranstaltung in der Hochschule werden Vertreter des Landkreises, der Stendaler Bürgerinitiative, des BIC Stendal und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sein. Weitere Interessenten, die an der Situation in den Dörfern etwas zum Besserten ändern möchten, sind der Projektgruppe um Rolf Horak dann natürlich ebenfalls willkommen.