1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Begegnungen im Basislager der Autobahngegner

Autobahnbau Begegnungen im Basislager der Autobahngegner

Die Fronten sind verhärtet. Autobahngegner und -befürworter prallen in Seehausen aufeinander. Die Aktivisten möchten ihre Ziele per Mahnwache gern erläutern. Noch gibt es keinen Dialog.

Von Andreas König Aktualisiert: 29.05.2021, 11:03

Seehausen - Am liebsten wäre Milan Bölke Bahnhofswärter, sagt er. Aber nicht irgendwo, sondern genau hier, wo er jetzt ist. Es ist die frühere Wartehalle des Bahnhof von Seehausen. Ein unspektakulärer Ort. Es gibt eine abgenutzte Ledercouch, ein paar Trinkflaschen und einen Tetrapack mit Mandelmilch.

Hier haben die Autobahngegner ihre Basis, hier wollen sie die Bevölkerung informieren und ihre Standpunkte erklären, hier soll es friedlich zugehen. Hier brannte ein altes Sofa vor dem Eingang, hier explodierte etwas, wahlweise ein Böller (Polizeiangaben) oder ein Sprengsatz (ein Aktivist). Kommt darauf an, wen man fragt.

So richtig weiß Milan Bölke auch nicht, wie er sich verhalten soll. Einerseits möchten er und seine Mitstreiter den Bahnhof von Seehausen zu einem „Ort des Austauschs und der Begegnung machen“, andererseits muss man verdammt aufpassen, wer da so vorbeikommt.

Polizei sorgt für Sicherheit

An diesem Freitagnachmittag droht keine Gefahr. Die Polizei vom Revier in Osterburg ist mit erst einmal sechs Mannschaftswagen vorgefahren, aber „da kommen noch mehr“, sagt der Einsatzleiter. Das Ordnungsamt des Landkreises ist vertreten, und immer wieder fahren Autos um den Bahnhofsvorplatz, sehr langsam. Ob ihre Insassen neugierig sind oder sich im Angesicht der Ordnungsmacht besonders gesetzestreu zeigen wollen, wird nicht klar.

Die Aktivitäten der Bahnhofsnutzer können einen Beitrag zu einer höheren Lebensqualität leisten. Davon jedenfalls ist Milan Bölke überzeugt. „Hier können sich Menschen treffen, miteinander ins Gespräch kommen, Musik hören, all so was“, sagt der drahtige Mann in der Zimmermannskluft.

Er lebt seit 25 Jahren in der Altmark, ist selbstständiger Tischler und gerade dabei, sein Leben neu einzurichten. „Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit gehören für mich zusammen“, sagt er.

Es sei doch toll, wenn der Durchgang vom Bahnsteig durch den Bahnhof auf den Vorplatz wieder möglich ist, findet Susanne Bohlander. Die 47-Jährige ist Grünen-Stadträtin in Seehausen und erklärte Autobahngegnerin.

Gutachter war über „fachliche Fehler schockiert“

Zwar hatte sie vor zwei Jahren öffentlich bekannt, ihren Kampf gegen die A14 aufzugeben, doch jetzt sei eine andere Situation, findet sie. „Wir haben ein naturschutzfachliches Gutachten erstellen lassen. Der Gutachter war schockiert“, berichtet Susanne Bohlander. Es seien so viele fachliche Fehler gemacht worden, dass sie guter Hoffnung ist, das Bundesverwaltungsgericht werde der Argumentation der A-14-Gegner folgen.

Milan Bölke muss mit der Polizei über die bevorstehende Mahnwache sprechen, aber Lilly Marie Dressel hat gleich Zeit. Die zierliche 22-Jährige gehört zu den Aktivisten. Doch ihre Mission ist es nicht, „irgendwie linksradikal zu sein, sondern die Umwelt zu schützen, damit wir eine Zukunft haben“.

„Eine friedliche Stadt, bis ihr gekommen seid“

Die massige Busfahrerin glaubt ihr kein Wort. „Seehausen war eine friedliche Stadt, bis ihr gekommen seid“, sagt sie. In dem „ihr“ steckt alle Verachtung, derer sie fähig ist. „Und den Bahnhof, den habt ihr selber angesteckt, um als Opfer dazustehen.“ Und jetzt möchte sie, dass Lilly Marie Dressler ihr aus der Sonne geht, denn sie muss auch gleich wieder in ihren Bus steigen. Woher weiß sie, dass die Autobahngegner den Bahnhof selbst angezündet haben? „Das weiß ich nicht, aber das sagen alle in Seehausen. Ich glaube das auch“, sagt sie im Brustton der Überzeugung und fährt davon.

Auf dem Bahnhofsvorplatz werden Stühle hingestellt und Plakate vorbereitet. Die Polizisten fragen in der Nachbarschaft, wem ein geparkter blauer Mitsubishi gehört.

So etwas wie der ruhende Pol

In all dem Gewusel ist Milan Bölke so etwas wie der ruhende Pol. „Wir haben einen Verein gegründet, der den Bahnhof zu einem Ort des Austauschs und der Begegnung machen soll“, sagt er. Der Verein heißt „Pumas“. Wofür genau das steht, wissen die Gründer noch nicht. Aber bestimmt fällt ihnen etwas ein.

Die Waldbesetzer, die seit Wochen in den Bäumen des Stadtforstes campieren, seien eher in einer gesamtdeutschen Protestbewegung verwurzelt, mein Andrea Bergen. Sie ist Mitglied des Bündnisses Verkehrswende Elbe-Altmark. Die A14, sagt sie, sei gar nicht die „grünste Autobahn Deutschlands“. Die teuren Vorkehrungen für den Artenschutz wie Grünbrücken und Fledermaustunnel seien umstritten.

Individualverkehr sei kein Zukunftsmodell, findet Lilly Marie Dressel, obwohl sie im Auto mitgefahren ist.

Vor einer Woche demonstrierten Autobahnbefürworter und Grünengegner aller Couleur in Seehausen. Es herrschte großes Stimmengewirr, einen Dialog gab es nicht.

Der lange leerstehende Bahnhof von Seehausen soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs werden.
Der lange leerstehende Bahnhof von Seehausen soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs werden.
Fotos: Andreas König