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Corona-Krise Von wilder Sau bis Trübsal blasen

Der Stendaler Tiergarten ist wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, es gibt viel Neues.

Von Regina Urbat 11.04.2020, 01:01

Stendal l Beim Betreten des Geländes reckt der Steppenfuchs Lars den Hals. Nach dem Motto: Wer bist du denn? Klar, Besucher bleiben in der Corona-Krise im Stendaler Tiergarten aus. „Wir sind jetzt ihre einzigen Bezugspersonen“, sagt Anne-Katrin Schulze. Die Leiterin des rund sechs Hektar großen Areals am Stadtsee freut sich über den Pressebesuch. „Endlich mal eine Abwechslung.“

Normalerweise würden Besucher jetzt zu Ostern in Scharen auf das Gelände strömen, auf dem mehr als 450 Tiere leben. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, dutzende Krähen toben hoch oben auf den Bäumen. „Ihr werdet Ostern auch vermissen“, sagt die Leiterin. Nix da mit Schokolade naschen und gekochte Eier aufhacken. „Die Eiweisversorgung fällt diesmal aus.“ Die Witzelei schlägt in Unruhe um.

„Unser Flaschenkind wartet“, sagt die Chefin. Geschwind geht es zum Streichelgehege. Wer auf die 250 Milliliter Lämmermilch wartet, ist unschwer auszumachen. Eine kleine Ziege kommt angerannt, stolpert fast über ihre eigenen Beinchen. Ihre Mutter hat Drillinge und sie nicht angenommen. „Eine Ziege hat halt nur zwei Zitzen.“ So entschieden sich die Tierpfleger, das Zicklein mit der Falsche groß zu ziehen.

Einen Namen hat die jüngste Afrikanische Ziege noch nicht. „Der wird noch gesucht.“ Die Leiterin verteilt Streicheleinheiten und sagt: „Das fehlt den Tieren am meisten.“ Deshalb schauen viele „ganz schön dumm aus der Wäsche“. Steppenfuchs Lars nicht. „Der Korsak umgarnt gerade Lisa, seine Liebste. Vielleicht gibt‘s bald Nachwuchs.“ So wie bei den Wildschweinen, nur weniger.

Zehn Frischlinge toben mit Keiler Franz und Bache Elli. Knapp vier Wochen sind sie alt und üben sich im Schlammwühlen, unter Aufsicht von Tante Susi. „Die Schwester von Franz kümmert sich rührend um ihre Nichten und Neffen.“

Harmonie auch im Gehege der Hausesel. Hier ist Benita der Star. Die Stute, am 23. Februar geboren, sollte zu Ostern feierlich getauft werden. „Das holen wir nach“, sagt Anne-Katrin Schulze und weist auf die Besonderheit des Fohlen hin: „Das schwarze Fell vom Opa Ali ist total dominant.“ Beim Verlassen des Geheges kreuzen Elvis und Spocky den Weg. „Die beiden Stall-Miezen sind Gold wert.“ Sie sind vor acht Jahren angeschafft worden, um der Rattenplage im Pony-Stall Herr zu werden. „Das Ungeziefer hat das Zaumzeug regelrecht aufgefressen."

Das ist Geschichte, wie leider auch die Anwesenheit von Tiergarten-Liebling Buran. Der sibirische Tiger musste wegen einer unheilbaren Krankheit Mitte März eingeschläfert werden. Er wird von Tochter Taina schmerzlich vermisst. Ein Partner für die Großkatze ist aber in Aussicht. Er heißt Augustus und wohnt im Eberswalder Zoo. „Bevor er nach Stendal umziehen könnte, muss noch geprüft werden, ob die Gene passen.“

Trauer auch im Wolfsrevier. Die 14-jährige Ronja ist in der Vorwoche verstorben. Wolfsrüde Rufus ist ganz allein. Beim Nähern verkriecht sich das 13-jährige Raubtier in einem Loch. Totenstille.

Anders ist die absolute Ruhe auf der Anlage der amerikanischen Schwarzbären begründet. Von Paule und Bödefeld keine Spur, sie halten Winterschlaf. „Nach Ostern fliegen die Kerle raus."  Die Schlafhöhlen werden zugesperrt, ein Fitnessprogramm soll die Bären auf Trapp bringen. „Nur faul herumliegen und fressen - das macht krank.“

Beim Blick zu den Erdmännchen wird klar, hier ist keiner krank. Gleiches gilt für die Affen. Sie tollen herum, einige fangen umher schwirrende Insekten, andere laben in der Sonne. Der Boss unter den Kapuzinern streckt seine Hand durchs Gitter. „Typisch Marko, der bettelt immer.“ Trübsal blasen hingegen Serval-Vater Enzo und Mama Cleo. Ihr Sprössling Elvis schaut erwartungsvoll auf. Im Gehege liegt ein Ball. „Na, will keiner mit dir spielen?“

Anders bei den elf Kaschmirziegen. Jung und Alt rennen auf und ab. „Hier haben wir ungewollten Nachwuchs.“ Gemeint ist das eineinhalb Wochen alte Zicklein. Von ungewollt in der Herde keine Spur. Vor allem der alte Ziegenbock Bernd hat das Nesthäkchen lieb. „Ich auch“, gibt die Leiterin zu und bittet um einen Namensvorschlag für das Kaschmir-Zicklein. „Bitte nicht Corona“, sagt sie. Das Virus muss bekämpft werden, damit endlich wieder jedermann einen Spaziergang durch den Tiergarten unternehmen kann.