1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. "Farbenprächtig wie ein orientalischer Teppich"

Zwei neue Sonderausstellungen im Winckelmann-Museum / Skizzen und Farbigkeit antiker Statuen "Farbenprächtig wie ein orientalischer Teppich"

Von Bettina Höft und Ulrich Hammer 06.12.2011, 04:25

Zwei neue Sonderausstellungen sind seit dem Wochenende im Winckelmann-Museum zu sehen. Sie gehen der Farbigkeit klassischer Skulpturen und den zeichnerischen Entwürfen dafür nach.

Stendal l "Sobald ich Luft bekomme, werde ich eine vollständige Ausgabe der Geschichte der Kunst besorgen. Wir sind heute klüger als wir gestern waren" schrieb Johann Joachim Winckelmann an C.G. Heyne und wusste wohl schon damals, dass seine Schwärmerei über die Erhabenheit der weißen, schneeweißen Skulpturen der antiken Kunst ein Irrtum sein könnte. Mit diesem Zitat eröffnete der Präsident der Winckelmann-Gesellschaft, Prof. Dr. Max Kunze, am Freitagabend die Ausstellung zur "Entdeckung der Farbigkeit" am Beispiel der Artemis von Pompeji.

Mit seinem Enthusiasmus steckte Winckelmann nicht nur so berühmte Leute wie Goethe und Schiller an, auch die zahlreichen Besucher im Rathausfestsaal haben dieses Bild von weißem Marmor, der im warmen Mittelmeerlicht glänzt, vor Augen - vor allem die Schlichtheit des Aussehens, welches aber gerade deswegen eine Konzentration auf die perfekten Formen zulässt.

Das wollte Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann (Leiter der Antikensammlung, Liebighaus Frankfurt) so nicht unterschreiben und erklärte: "Die Griechen liebten die Farbe und das Ornament. Die antiken Skulpturen waren über und über mit Mustern verziert, so farbenprächtig wie ein orientalischer Teppich."

Auch Oliver Primavesi, Professor für Griechische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, betonte, dass auch Winckelmann die Polychromie nicht generell bestritt. Winckelmanns Einschätzung zur 1760 in Pompeji gefundenen Statue der schreitenden Jagdgöttin Artemis durchlief eine bemerkenswerte Entwicklung in seinen Schriften und Nachlässen.

UV-Licht lässt Farbe und Verzierungen deutlich werden

Dem wissenden wie dem erstaunten Publikum wurde sehr ausführlich gezeigt, wie mit Methoden der UV-Fluoreszenz oder UV-Reflektographie nach Pigmentresten und Farbschatten vor allem auf antikem Marmor gesucht wurde und wie sich eine umfangreiche Farbpalette identifizieren ließ: neben verschiedenen Erden von hellstem Ocker über Rot bis zu tiefem Braun auch leuchtende farbige Mineralien. Im extremen Seitenlicht konnten Markierungen oder die feine Vorritzung einzelner Verzierungen aufgrund der chemischen und mechanischen Veränderungen gefunden werden.

Der Ausstellung im Stendaler Museum ist auf Basis neuer naturwissenschaftlicher Untersuchungen und dem hauptsächlichen Impuls Primavesis eine farbliche Rekonstruktion möglich geworden. Nicht, dass nun die Originale bemalt wurden - eine dreidimensional elektronisch aufgezeichnete und dadurch maßstabsgetreue Kopie wird dem Betrachter sichtbar gemacht und belegt in beeindruckender Weise die Bedeutung der Farbe für die antike Skulptur. Ungewöhnlich detailreiche Ornamente schmückten die antiken Gewänder und Waffen. Räumliche Wirkung entstand durch sinnliche Muster; gemalte Augen und gestaltetes Haar gaben den Figuren Ausdruck und Seele.

Farbreste wurden im 19. Jahrhundert noch intensiv dokumentiert, doch erst die Ausgrabungen in Pompeji, Paestum, Selinunt oder anderen Stätten antiker Kultur ließen diese Ansicht zu. Im 20. Jahrhundert ließ das Interesse daran nach und das Wissen um die Farbigkeit verkümmerte.

Es war Gottfried Semper, der bekannte: "Die Renaissance hat den Irrthum, die antike Skulptur farblos zu sehen, auf eine Weise verdaut und verarbeitet, daß aus dieser Auffassung eine im hohen Grade selbstberechtigte Kunst hervorging."

Und damit ist nicht nur Winckelmann genüge getan, der schrieb: "Die Farbe trägt zur Schönheit bei, aber sie ist nicht die Schönheit selbst." Und: "So wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist." Er prägte damit ganz wesentlich den deutschen Klassizismus und auch Semper ließ sich nicht einfallen, seine mit plastischen Schmuck ausgestattete Bauwerke bunt zu gestalten.

Zeichenkunst des Bildhauers Thorvaldsen

Am Sonnabendnachmittag schließlich dann ein weiterer interessanter Einblick in künstlerisches Schaffen im Geiste Winckelmanns. Die Kuratorin der dänischen Thorvaldsen-Museums Dr. Margrethe Floryan lud zu einem ersten Rundgang durch die Sonderausstellung "Wer Lebenslust fühlet..." im Museum ein. Die Ausstellung gewährt anschaulich einen Eindruck von der Zeichenkunst des Bildhauers Bertel Thorvaldsen - sie zeigt Zeichnungen im eigentlichen Sinn und andererseits als Ausdruck der Arbeitspraxis an der Skulptur. Es sind Zeugnisse seiner Beschäftigung mit einem breiten Motivspektrum aus mythologischer, biblischer und historischer Perspektive.

In den einzelnen Räumen werden die verschiedenen Inhalte vom "Sinn des Schaffens" verdeutlicht. Zeitgenössische Antlitze von Freunden sowie Selbstporträts zeigen die Selbstverständlichkeit, untereinander zum Beispiel in Akademiekreisen die Wertschätzung des anderen durch die Porträtzeichnung zu bekunden.

40 Jahre Romaufenthalt und Studien der antiken Reichtümer der Stadt brachten Thorvaldsen in die Nähe zu den Kunstauffassungen Winckelmanns. Zeichnungen zu seiner Skulptur "Jason mit dem goldenen Vlies" stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Statue des Apoll von Belvedere, die auch Winckelmann inspirierte.

Gedanklich tief durchdrungene Abschiedsszenen beschäftigen den Künstler, während in "Spielerischer Klassik" Szenen um und mit Amor verewigt sind, etwa auf dem Bild: "Amor beklagt sich bei Venus über einen Bienenstich". Motive aus biblischer Geschichte bleiben Thorvaldsen nicht unbekannt. "Jesus Taufe" zum Beispiel kennzeichnet Schritte zur Erkundung für die Skulptur des Jesus.

Die Ausstellung "Die Artemis von Pompeji" ist bis 18. März zu sehen, die über Bertel Thorvaldsen bis zum 18. Februar