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Gericht Schwarzfahrer kommt davon

Warum das Stendaler Amtsgericht die Fortsetzung eines Prozesses gegen einen Schwarzfahrer als "unverhältnismäßig" ansieht.

Von Wolfgang Biermann 17.11.2020, 07:00

Stendal l Außer Spesen nichts gewesen – ohne Urteil endete am Amtsgericht ein Prozess um sogenannte Leistungserschleichung, besser bekannt als Schwarzfahren ohne Fahrkarte. Im Vordergrund stand dabei die Klärung der Fragen: Hat ein in einer sozialen Einrichtung lebender 23-jähriger Stendaler aufgrund seiner Behinderung Anspruch auf kostenlose Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Oder benötigt er wie jeder andere Reisende für eine Fahrt mit der Deutschen Bahn AG einen Fahrausweis, ist somit „schwarzgefahren" und muss dafür bestraft werden?

Eindeutige Antworten gab es in dem Prozess nicht, dazu hätte es umfassenderer Aufklärung und einer Prozessfortsetzung bedurft. Das aber sahen Staatsanwalt und Gericht als unverhältnismäßig an, ging es doch nur um eine Bahnfahrkarte im Wert von 14,50 Euro. Allerdings standen wohl noch weitere „Schwarzfahrten" im Raum.

Der Betreuer des Angeklagten, der sicherlich hätte Auskunft geben können, fehlte trotz Ladung unentschuldigt. Das Verfahren wurde daher wegen „Geringfügigkeit" ohne jegliche Auflage eingestellt.

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Stendal hatte am 3. November vorigen Jahres abends um 20.45 Uhr eine Kundenbetreuerin der Bahn den Angeklagten in einem Regionalexpress zwischen Magdeburg und Stendal kontrolliert. Eine Fahrkarte hat er nicht vorweisen können, nachzulösen war er offenbar auch nicht bereit. Warum die Bahnmitarbeiterin schließlich die Bundespolizei in Stendal informierte und diese den jungen Mann am Bahnsteig in Empfang nahm, blieb ungeklärt. Zum einen, weil der Angeklagte beim Prozessauftakt erklärt hatte: „Ich sage nichts." Und zum anderen, weil die Zugbegleiterin als Zeugin aussagte, dass sie sich überhaupt nicht an den Sachverhalt erinnern könne.

„Ich fahre so oft", gab die 22-Jährige von der DB Regio als Erklärung an. Dass sie die Bundespolizei vom Regionalexpress aus angerufen hat, daran konnte sie sich ebenfalls nicht mehr erinnern. „Das kommt leider öfter vor", sagte sie nur dazu. Möglicherweise hat der Angeklagte ja Anspruch auf freie Fahrt. Zwei Vermerke – nämlich G und H – sind auf seinem Schwerbehindertenausweis angebracht, die das eventuell zulassen, stellte das Gericht nach Inaugenscheinnahme des Dokumentes fest. Möglicherweise sei aber auch nur die Begleitperson des Ausweisinhabers freifahrberechtigt.

Eine Erklärung dieser Merkmale gab es auf dem Ausweis nicht. „Klären Sie das mit Ihrem Betreuer", gab Richterin Petra Ludwig dem 23-Jährigen mit auf den Weg. Wie sie sagte, ist Leistungserschleichung laut Strafgesetz mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe bedroht.