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Gericht Stendaler Todesfahrer bekommt Bewährung

Das Stendaler Amtsgericht beschäftigte sich mit dem Ausnahmeunfall, bei dem 2018 eine Frau mit bis zu 100 km/h erfasst wurde und starb.

Von Wolfgang Biermann 27.09.2019, 03:00

Stendal l Am Abend des 17. August 2018 ereignete sich auf der Stadtseeallee, Höhe Hausnummer 29 (Nähe Netto-Markt), ein folgenschwerer Unfall, an dessen Folgen eine 20 Jahre alte Fußgängerin noch an der Unfallstelle verstarb. Sie hatte die Straße nahe der ausgeschalteten Ampel überquert. Ein Pkw kollidierte auf der Straßenmitte mit ihr.

Gut 13 Monate dauerte es, bis der Verursacher dieses Unfalls zur Rechenschaft gezogen wurde. Das Amtsgericht Stendal hat am Donnerstag, den 26. September in einem sehr emotionalen Prozess einen bislang rechtlich unbescholtenen 43-jährigen Stendaler wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Strafrichter Thomas Schulz, der mit dem Urteil weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft und damit dem Gutachten eines Unfallsachverständigen folgte, setzte die Freiheitsstrafe aber für zwei Jahre zur Bewährung aus. Als Bewährungsauflage muss der Angeklagte 1500 Euro an die Mutter der bei dem Unfall Getöteten zahlen.

Außerdem verhängte das Gericht eine insgesamt 18-monatige Sperre vor der möglichen Wiedererlangung der Fahrerlaubnis. Nach Überzeugung des Gerichts habe sich der Sachverhalt „wie angeklagt bestätigt, eigentlich noch etwas schlimmer.“ Eine Geldstrafe sei hier „nicht mehr möglich gewesen.“

Demnach war der Angeklagte mit seinem Audi-Avant mit überhöhtem Tempo unterwegs, nämlich mit mindestens 70 bis 80 km/h, wenn nicht gar 90 bis 100 km/h, aus Richtung Arbeitsamt in Richtung Moltkestraße. „Damit hat der Angeklagte die in geschlossenen Ortschaften geltenden 50 km/h sehr, sehr deutlich überschritten.“

Vor der Kreuzung habe er sogar noch einen anderen Pkw überholt. „Wären Sie 50 gefahren, wären Sie weit vor der Fußgängerin zum Stehen gekommen“, hielt Richter Schulz dem Angeklagten vor.

Damit folgte er dem Unfallrekonstruktionsgutachten des Potsdamer Sachverständigen Carsten Wegner. Der hatte ermittelt, dass der Audi erst nach 68 Metern zum Stehen gekommen war. „Normal sind 28 Meter bei Tempo 50“, so der Gutachter. „Der Unfall wäre vermeidbar gewesen.“

Der Fahrfehler sei auf Alkohol zurückzuführen, hieß es im Urteil. 0,8 Promille Alkohol hatte der 43-Jährige etwa 90 Minuten nach dem Unfall noch im Blut. Der Angeklagte sei wohl nicht absolut fahruntauglich gewesen. Aber: „Ein nüchterner Kraftfahrer hätte anders reagiert.“

Zunächst hatte der 43-Jährige, der mehrfach beteuerte, wie leid ihm das Geschehene tue, angegeben, er hätte vor Fahrtantritt gar keinen Alkohol getrunken, sondern erst danach zwei Bierdosen an seinem Wagen geleert. Mehrere Zeugen, darunter zwei Polizisten, hatten aber ausgesagt, dass das nicht stimme.

Daraufhin räumte der Angeklagte ein, zwei Dosen Bier vor Fahrtantritt getrunken zu haben. „Zwei Bier können nicht ausgereicht haben, bei einem Mann von 1,92 Meter Größe und 106 Kilo“, hieß es dagegen in der Urteilsbegründung.

Mit seinem Verhalten habe er zugleich zwei Strafgesetze verletzt. Begünstigend sei zwar gewesen, dass die junge Frau „vielleicht ein wenig unaufmerksam war“. Sie soll Ohrhörer aufgehabt haben und auf ihr Handy blickend – ohne nach links und rechts zu schauen –, die Straße überquert haben.

Dennoch: „Die Hauptverantwortung liegt bei Ihnen“, sagte Richter Schulz zum Angeklagten. Der ist als Bauhelfer tätig, geschieden und allein erziehender Vater. Im Verkehrszentralregister hat er zwei Einträge, wegen zu schnellen Fahrens.

Nach dem Unfall habe er Morddrohungen über Facebook erhalten, bestätigte er auf Nachfrage von Richter Schulz. Dieser hatte deshalb besondere Personenkontrollen vor dem Gerichtssaal angeordnet. Zwischenfälle aber gab es keine.

Eine Polizistin, die am 17. August 2018 mit als Erste vor Ort war, sprach von einem „Ausnahmeunfall“. Innerhalb kürzester Zeit hätten sich etwa 100 bis 150 Schaulustige eingefunden. Eine Ersthelferin, die das Opfer vor Ort versorgte, gab an, dass sie die Drohung „Ich bringe Dich um“ in Richtung Audi-Fahrer gehört habe.

Nach dem Unfall kursierte laut Verteidiger ein Video mit erkennbarem Angeklagten im Netz. Die 1500 Euro-Auflage an die Mutter des Opfers begründete Richter Schulz so: „Geld macht das Opfer wohl nicht wieder lebendig, aber ein gewisser Ausgleich muss sein.“

Der Verteidiger hatte eine Geldstrafe „in merklicher Höhe“ gefordert. Sein Mandant habe die Situation falsch eingeschätzt, was fatale Folge gehabt hätte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Revision oder Berufung dagegen sind innerhalb einer Woche möglich.