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Gleichberechtigung Politik - eine Männersache?

Von 26 Bürgermeisterstellen im Landkreis Stendal sind nur zwei mit Frauen besetzt. Warum sind so wenig Frauen in der Kommunalpolitik?

Von Kaya Krahn 10.12.2020, 23:01

Stendal l Von 26 Bürgermeisterstellen im Landkreis Stendal, inklusive Oberbürgermeister und Gemeindebürgermeister, sind nur zwei Stellen von Frauen besetzt: die in Bismark und in der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land. Woran das genau liegt, kann Annegret Schwarz (CDU), Bürgermeisterin von Bismark nicht sagen. Probleme gäbe es für sie und Steffi Friedebold (parteilos), Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land, in dieser „Männerrunde“ jedoch nicht. „Es geht ja in erster Linie um Fachwissen und Kompetenz“, sagt die 55-jährige Bismarkerin.

Annegret Schwarz engagiert sich seitdem sie 15 Jahre ist in der Politik. Durch Freunde und Familie hätte sie bei ihrer politischen Laufbahn immer einen guten Rückhalt gehabt. „Dazu kommen meine Eigenschaften und Zielstrebigkeit.“ Aber es sei für Frauen, auch in der heutigen Zeit, leider immer noch eine „Doppelbelastung“. Haushalt, Familie und politische Karriere müssen unter einen Hut gebracht werden „Wenn Sitzungen bis 22 Uhr gehen, hast Du keinen Bock mehr auf Haushalt und so weiter. Du musst diesen ‚Drahtseilakt‘ zwischen Karriere, Ehefrau, Mutter und Freund hin bekommen.“

Dieses Gefühl von Annegret Schwarz bestätigt auch eine Studie aus dem Jahr 2014, beauftragt von der Bundesregierung und von der EAF Berlin durchgeführt. In der Studie wurden 30 Bürgermeister und 30 Bürgermeisterinnen aus den alten und neuen Bundesländern zu ihrer Einschätzung der Situation von Frauen im Bürgermeisteramt befragt. „Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil der Mandatsträgerinnen bei rund 26 Prozent, bei den Landrätinnen bei 9,5 Prozent und bei den Bürgermeisterinnen bei rund zehn Prozent. Bei den Oberbürgermeisterinnen ist der Anteil in den letzten Jahren sogar leicht gesunken“, heißt es darin.

Was in der Studie auffällt ist, dass der Anteil von Frauen in Bürgermeisterämtern in den neuen Bundesländern höher ist als in den alten. Auch das Selbstverständnis und die wahrgenommenen Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien im Osten Deutschlands geringer.

Dennoch fallen Annegret Schwarz unterschiedliche Ansprüche an Frauen und Männern in der Politik auf. So müssten Frauen in der Öffentlichkeit anders auftreten. „Ich glaube, dass wir anders wahrgenommen und beobachtet werden. Von Frauen wird, leider immer noch, ein anderes Auftreten erwartet. Zeigt eine Frau Gefühle – dann ist sie schwach, bleibt sie kühl und distanziert – dann ist sie karriereorientiert“, sagt die Bürgermeisterin. Diese Erfahrung habe die engagierte Altmärkerin nicht nur als Stadtoberhaupt gemacht, sondern auch als Vorsitzende des Stendaler Kreistages. Dieses Ehrenamt hat sie Anfang Juli 2019 übernommen und damit für eine Premiere im Kreistag in der Nachwendezeit gesorgt.

Gründe für die geringe Zahl an Frauen in der Kommunalpolitik sehen die Teilnehmer*innen der Studie etwa in einer unterschiedlichen Erwartungshaltung an Frauen in dem Beruf. So würde ihr Privatleben stärker beobachtet und auf moralische Standards überprüft, würde ein verständnisvolleres Kommunikationsverhältnis von ihnen erwartet, mehr Leistung gefordert, um sich zu beweisen. Zudem werde laut Studie deutlich mehr Wert auf ihr Äußeres gelegt. Außerdem fällt auf, dass Frauen viel häufiger von ihrer Partei zur Wahl auf Bürgermeisterposten aufgestellt werden, wenn die Gewinnchancen sowieso schon gering sind.

Perspektivisch gäbe es für Annegret Schwarz einige Punkte, die sich in der Kommunalpolitik ändern müssten, um den Beruf für Frauen attraktiver zu machen. „Vielleicht die Einstellung der Gesellschaft insgesamt und die der Männer. Wir sind keine Konkurrenz für Männer“, betont Bismarks Bürgermeisterin. Außerdem sollte Politik nicht als „Männerjob“ angesehen werden. „Das wäre doch ein Anfang. Wir haben schließlich auch eine Kanzlerin. Was heißt denn immer Männerjob? Solange die Gesellschaft Politik als Männerdomäne ansieht, wird es auch so bleiben.“

Junge Mädchen und Frauen, die in die Politik gehen möchten, sollten dies einfach tun. Zielstrebig und mit Ausdauer. „Sie dürfen sich nicht verbiegen lassen“, empfiehlt Annegret Schwarz. Für sie seien Frauen in der Lokalpolitik wichtig, weil Frauen anders als Männer entscheiden würden. Annegret Schwarz: „Wir versuchen, den Verstand mit Sachlichkeit und Herz zu verbinden. Ob dies immer gut ist, kann ich nicht sagen, falsch ist es jedenfalls nicht. Und wir können noch eins: verzeihen.“

Kommentar von Kaya Krahn zur Diversität in der Kommunalpolitik
Frauen in der Politik sind unerlässlich. Nicht, weil sie den weichgespülten Blick auf Familienthemen haben. Nicht, weil sie verständnisvoller Kommunizieren. Nicht, weil sie hübsch aussehen. Frauen gehören in die Politik, weil eine demokratische Gesellschaft ohne sie nicht möglich ist. Sie machen immerhin mehr als die Hälfte davon aus. Denn wen soll eine Demokratie denn repräsentieren? Frauen, Männer, Zuwanderer*innen, queere Personen – uns alle eben, unsere wundervolle, diverse Gesellschaft.

Doch wenn man in die Politik schaut, wer wird dann repräsentiert? Weiße Männer, meistens zwischen 51 und 60 Jahre alt. Die Hürde, sich in diese testosterongesteuerte Welt zu stürzen scheint groß. Doch jeder kann sich dafür einsetzen, dass sie eben nicht mehr testosteron-überladen ist, sondern eine Mischung der Geschlechter, Kulturen und soziokulturellen Hintergründen. Wenn wir nicht dafür einstehen, dass jeder in unserer Demokratie sichtbar wird, dann ist sie am Ende nichts wert.