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Homophobie-Vorwürfe "Verschiedene Meinungen sind erlaubt"

Was sich die gebürtige Polin Joanna Sannemann für die Städtepartnerschaft von Stendal und Puławy wünscht.

Von Donald Lyko 22.03.2020, 03:00

Stendal l Als im Juni 1999 die Partnerschaft zwischen dem polnischen Puławy, der Stadt ihrer Kindheit und Jugend, und Stendal, wo sie seit Jahrzehnten lebt und arbeitet, unterzeichnet wurde, ging für Joanna Sannemann ein Traum in Erfüllung. „Ich konnte meine erste und meine zweite Heimat miteinander verbinden“, sagt die Leiterin der städtischen Volkshochschule. Darum hatte sie damals auch maßgeblichen Anteil am Zustandekommen dieser Partnerschaft. Im Jahr 1997 hatte sie an Puławys Stadtpräsidenten Janusz Grobel geschrieben und die Antwort bekommen, dass die Stadt im Südosten Polens seit Jahren eine deutsche Partnerstadt suche. Die Zusammenarbeit wurde vorbereitet und während des Rolandfestes 1999 der Partnerschaftsvertrag unterzeichnet. „Es kommt mir so vor, als wäre das alles erst vor einigen Monaten gewesen“, beschreibt Joanna Sannemann ihre Erinnerungen.

Zu denen gehören ganz viele gemeinsame Erlebnisse, gegenseitige Besuche zu Stadtfesten, Verwaltungsgespräche, Schüleraustausche, sportliche Wettkämpfe, Vorträge in der Volkshochschule, Ausstellungen und vieles mehr – zahlreiche Aktivitäten, mit denen das Miteinander in den Jahren immer weiter gewachsen ist. „Die Partnerschaft ist immer geblieben, egal, wer an der Macht war. Wir waren immer bemüht, offen die Probleme anzusprechen“, sagt Joanna Sannemann mit Blick auf die aktuelle Situation, die sie so beschreibt: „Wir haben eine schwierige Phase erreicht.“

Worum geht es? Wie berichtet, hatte der Puławyer Stadtrat bereits im Mai des vergangenen Jahres eine Stellungnahme verabschiedet, in der es darum geht, dass homo-, bi- und transsexuelle Lebensmodelle keine Rolle in Lehrplänen von Schulen und auch in Kindereinrichtungen spielen sollen, um das traditionelle Familienbild und die kulturellen Werte des katholischen Polens zu schützen. Das Stadtparlament hatte damit auf Anfragen und Aufrufe von Einwohnern reagiert, die eine Bedrohung für ihre Kinder befürchten, sollte die „LGBT-Ideologie“ (Lesbische, Gay = schwul, Bisexuelle und Transgender-Personen) in Schulen und Kindergärten Einzug halten.

Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung Polens und liberale Kräfte machen seither dagegen mobil und kontaktieren auch die europäischen Partnerstädte mit der Botschaft, die polnischen Städte, die sich wie Puławy positionieren, würden sich zu sogenannten LGBT-freien Zonen erklären.

Diese Nachrichten waren vor einigen Wochen auch im Stendaler Rathaus angekommen und hatten in der vergangenen Woche für eine erste Debatte im Hauptausschuss gesorgt. Auch wenn sich die Mehrheit seiner Mitglieder für die Fortsetzung der Städtepartnerschaft ausgesprochen hat, schaut Joanna Sannemann mit Sorge auf die Entwicklung.

Der gesellschaftliche Kampf zwischen der rechtskonservativen Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) und der liberalen Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, OP), die Spaltung in der Gesellschaft, habe nun auch Auswirkungen auf die Städtepartnerschaft. „Ich habe etwas dagegen, dass dieser Kampf auf dem Rücken der Partnerstädte ausgetragen wird“, sagt die gebürtige Polin. Das schade nur „dem ganzen Bild des Landes“, es habe negative Auswirkungen.

„Ich mache mir Sorgen um das Land, das so gespalten ist“, sagt Joanna Sannemann, die keiner der beiden Parteien nahestehe und auch keine Kirchenvertreterin sei. Sie finde es aber „erschreckend, dass sich die aktuelle Entwicklung in Polen auf die gesamte Gesellschaft auswirkt“. Eine Partnerstadt – hier meint sie Stendal – sollte ihrer Meinung nach die vorhandene Spaltung nicht noch unterstützen.

Vor diesem Hintergrund mahnt sie zur Besonnenheit und verbindet dies mit der Bitte, die Städtepartnerschaft nicht vorschnell aufs Spiel zu setzen. Dabei blickt sie in den vor fast 21 Jahren unterzeichneten Partnerschaftsvertrag, in dem ein Miteinander „im gegenseitigen Verstehen“ vereinbart wurde. „Damit haben wir derzeit ein Problem“, sagt Joanna Sannemann. Denn zu diesem Verstehen gehöre, dass das traditionelle katholisch-konservative Familienmodell in den Augen vieler Polen das richtige sei und dies darum in der Stellungnahme, auf dem polnischen Grundgesetz fußend, festgeschrieben werde.

Für sie sei es immer eine Verpflichtung gewesen, „den Menschen etwas von Polen zu zeigen. Es gibt sehr viel in Puławy zu entdecken.“ In einer Städtepartnerschaft sieht Joanna Sannemann die Möglichkeit, Brücken zwischen den Nationen und Menschen zu bauen, die Möglichkeit, dass die Bürger den Politikern oben zeigen: „Wir sind Freunde und bleiben eine Partnerschaft. Wir versuchen, den anderen zu verstehen.“ Ihrer Meinung nach habe eine Städtepartnerschaft „eine große Funktion, das gut zu machen, was in der Politik vielleicht nicht so funktioniert“.

Seit vor einigen Wochen die ersten Nachrichten aus Puławy in Stendal ankamen, hat Joanna Sannemann einen regen Austausch mit Leuten vor Ort. Am 27. Februar zum Beispiel schrieb der Puławyer Stadtpräsident, dass die Stellungnahme keine gesetzlichen Konsequenzen habe, dass in der polnischen Stadt niemand wegen seiner Herkunft, politischen Weltanschauung oder sexuellen Orientierung diskriminiert, dass nur eine Meinung wiedergegeben werde. Und wenn die Meinung eine andere ist, dann müsse auch das toleriert werden, sagt die gebürtige Polin. Denn Städtepartnerschaft bedeute für sie, auf Augenhöhe und nicht belehrend miteinander umzugehen. „Toleranz muss auf beiden Seiten vorhanden sein, verschiedene Meinungen sind erlaubt. Man sollte versuchen, diese zu verstehen und zu akzeptieren.“ Dabei müsse man lernen, auch mit schwierigen Meinungen umzugehen.

Sie selbst will sich weiterhin für die Partnerschaft von Stendal und Puławy engagieren – und hat dabei ein ganz konkretes Vorhaben im Blick: eine Ausstellung des Puławyer Malers Tigran Haszmanian. Er war Ende 2019 mit dem 2. Kulturpreis der Hansestadt Stendal geehrt worden – als erster Empfänger, der nicht aus Stendal oder der Altmark kommt. Wenn ihre Pläne klappen wie erhofft, könnte es schon zum Jahresende eine Ausstellung geben. In den vergangenen Jahren hat Tigran Haszmanian viele Stendaler Motive gezeichnet, unter anderem als Titelbilder für die Semesterprogramme der Volkshochschule.