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Jugendzeit Zwischen FDJ-Kind und Blueserin

Die letzte Folge der Volksstimme-Erzählcafés zur Ausstellung über Jugendkultur in Stendal stellte die 80er Jahre in den Mittelpunkt.

Von Thomas Pusch 10.08.2018, 01:01

Stendal l Ob es an der Hitze lag oder daran, dass die 80er Jahre noch zu nah dran, zu wenig unbekannt erscheinen, kann nicht geklärt werden. Das letzte Erzählcafé zur Ausstellung „Jugendkultur in Stendal“ hatte jedenfalls weniger Zulauf als die drei Veranstaltungen zuvor. So war es denn eine eher familiäre Runde auf der Terrasse des MAD-Clubs, die zunächst Olaf Lincke lauschte, der das Buch „Früher war alles besser?“ von Steffen Kottke vorstellte. Kottke, Jahrgang 1967, erinnert sich darin an seine 80er Jahre in Stendal. Er erzählt, dass er sich mal in der Geisterbahn beim Rummel auf dem damaligen Platz der Jugend (heute Schützenplatz) beworben hatte, aber nicht genommen wurde, weil er „nicht hässlich genug war“.

Kottke beschreibt eine Radtour mit seiner damaligen Freundin auf der F 188 nach Klietz und erinnert an die erfrischende Atmosphäre in der „Eishöhle“ an der Straße der Freundschaft (heute: Schadewachten).

Susann Junghans ist Leiterin des MAD-Clubs. In den 80er Jahren war das Gebäude die Heimat des „XI. Parlaments“, aber nicht die von Junghans. „Nie hätte ich gedacht, dass ich mal in diesem alten Popperschuppen lande“, sagte sie etwas ungläubig am Mittwochabend. Denn ihre Musik war eine andere. Allerdings sei sie in so ziemlich allen Jugendeinrichtungen gewesen. Sie, nach eigener Beschreibung ein FDJ-Kind aus einem sozialistischen Haushalt, in dem es streng, organisiert und liebevoll zugegangen sei, und ihre beste Freundin aus einem kirchlichen Haushalt – das sei schon eine ganz besondere Kombination gewesen.

Der Bierkeller sei ihr regelmäßiger Treffpunkt gewesen. „Da war einfach eine ganz besondere Atmosphäre, vor allem gab es auch eine 60:40-Regel“, beschrieb sie. Seit Ende der 50er Jahre musste 60 Prozent Musik von Komponisten aus dem Ostblock gespielt werden. Im Keller sei es manchmal so verraucht gewesen, dass man kaum gucken konnte, aber er war der Treffpunkt der Blueserszene. Zu deren äußeren Merkmalen gehörten die so genannten Klettis, knöchelhohe, aber leichte Bergkletterschuhe. Die waren im Waldfrieden zwar verboten, aber auch dort ging Susann Junghans hin. Die Klettis schmuggelte sie im Rucksack rein, zog sich zu späterer Stunde um. Auch dort war sie in der unteren Etage zu finden, bei den Langhaarigen, nicht bei den Poppies und schicken Mädchen in der oberen Ebene. „Ich war immer neidisch auf die langen Haare, aber bei mir hat das nicht geklappt“, klagte sie.

Ihre Musik, das war damals vor allem ihre absolute Kultband Freygang, aber auch Led Zeppelin, Janis Joplin und The Who. Im Radio wurden DT 64 und vor allem die Sendung Plattenkiste auf NDR gehört. „Die haben die Lieder immer ausgespielt, das war gut fürs Aufnehmen“, sagte Junghans. Auch Wünsche wurden in der Sendung erfüllt. Ein weiteres großes Idol von ihr war Udo Lindenberg. Von dem war allerdings nicht sehr viel bei der DDR-Plattenfirma Amiga verlegt.

So versuchte sie sich die Alben durch einzelne Wunschtitel auf Leerkassetten zusammenzustellen. Irgendwann sei sie aber nicht mehr weitergekommen. Und griff tief in die Tasche. Für 200 Mark ließ sie sich eine Lindenberg-Platte aus West-Berlin schmuggeln. Da sie neutral rüberkam, bastelte sich Junghans eine Plattenhülle selbst. Sie hat das gute Stück noch immer, zu bewundern ist es in der Ausstellung im Altmärkischen Museum.

Wie bei den drei vorangegangenen Veranstaltungen auch, kamen nicht nur die geladenen Gesprächspartner zu Wort, sondern auch die Zuhörer. Einer von ihnen war Jörg-Michael Glewwe. Der war FDJ-Sekretär im VEB Kernkraftwerk. Und er legte sich mit dem Ersten Sekretär des Zentralrates der FDJ, Eberhard Aurich, an. Der Grund war die Wahl zur beliebtesten Amateurband der DDR. Glewwe vermutete, dass die Stimmen aus dem KKW für die Stendaler Combo Olympia um Wolfgang Liebisch unter den Tisch fallengelassen worden waren. Die Junge Welt würde an Glaubwürdigkeit verlieren. Er bekam die Antwort, dass die Karten zu spät eingegangen seien. Das Datum des Poststempels, das die FDJ in Berlin angegeben hatte, sei aber nicht korrekt gewesen. Doch für Glewwe war der Kampf beendet. „Olympia fand ich auch toll“, meinte Susann Junghans. Und schon schwelgte man wieder in gemeinsamen Erinnerungen.