1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Mehr Qualität oder mehr Arbeit?

Kinderbetreuung Mehr Qualität oder mehr Arbeit?

Einen Informationsabend rund um das Kinderförderungsgesetz gab es jetzt in Tangerhütte - mit Besuch aus dem Sozialministerium.

Von Birgit Schulze 28.02.2020, 10:00

Tangerhütte l Bis auf einige Stadtratsmitglieder und einzelne Eltern waren vor allem Mitarbeiter der Kindereinrichtungen der Region ins Kulturhaus gekommen. Und die sahen manches rund ums neue KiFöG nicht ganz so positiv, wie es Staatssekretärin Susi Möbbeck zuvor in einem gut halbstündigen Vortrag zusammengefasst hatte.

Vom Anspruch auf acht Stunden Betreuung pro Tag und Kind und der Möglichkeit, unbürokratisch auf bis zu zehn Stunden zu erhöhen, war die Rede. Aber auch von Entlastungen für Mehrkindfamilien, die seit Januar 2019 nur noch für das jeweils älteste Kind in Betreuung zahlten, sowie für Einkommensschwache (auf Antrag), sprach sie.

Im Schnitt werden in den Kindereinrichtungen in Sachsen-Anhalt Kinder unter drei Jahren 8,5 Stunden betreut, Kinder ab drei Jahren 8,7 Stunden und Hortkinder 5,3 Stunden. „Das heißt, dass Eltern in Sachsen-Anhalt sehr hohe Bedarfe an ganztägiger Betreuung haben“, so Möbbeck. Die Betreuungsquote aller Kinder unter drei Jahren liege bei 58,2 Prozent, damit sei Sachsen-Anhalt an der Spitze im Bundesvergleich (Bundesdurchschnitt: 34,3 Prozent).

Dass die Finanzierung von mehr Betreuungszeit und die Elternentlastung für einen ordentlichen Kostenaufwuchs in der Landeskasse gesorgt hatte, verhehlte sie nicht. Waren es 2015 noch 245 Millionen Euro, so kamen 2019 vom Land im Rahmen des Kinderförderungsgesetzes Zuschüsse in Höhe von 377 Millionen Euro, 2020 sollen es über 400 Millionen sein. „Unser Ziel wäre die Kostenfreiheit für Eltern, aber bei diesen Summen kann ein finanzschwaches Land wie Sachsen-Anhalt das aus eigener Kraft nicht leisten“, sagte die Staatssekretärin.

Im Rahmen der Fachkräfteoffensive für das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“ sind weitere Maßnahmen angeschoben worden, denn auch wenn der Personalschlüssel über 500 zusätzliche Fachkräfte im Land verbessert werden soll (Kosten rund 30 Millionen Euro) sei doch Realität, dass es kaum verfügbare Fachkräfte gebe.

Und genau das merken auch die Einrichtungen, wie Anja Seiler, Kita-Leiterin in Bellingen, an dem Abend kritisierte: Sie hätte sich lieber kostenfreies Essen für alle Kinder in den Kitas gewünscht, sagte sie. Ihrer Erfahrung nach gingen Eltern, die nicht bezahlen müssten, jetzt mit den Betreuungsstunden hoch. „Das geht auf unseren Rücken“.

Doch die Staatssekretärin ließ das nicht so recht gelten: „Wenn die Betreuungszeiten hochgehen, gehen auch die Landeszuweisungen hoch, dann steigt auch der Mindestpersonalschlüssel“ hielt sie entgegen. Dass sich die „gefühlte Realität“ der Pädagogen oft von der der Eltern unterscheide, gab sie außerdem zu bedenken.

Doch auch Michael Nagler, Stadtrat (WG Zukunft) und Elternvertreter, sprach von dem politischen Versprechen der Qualitätsverbesserung in der Kinderbetreuung als „Quadratur des Kreises, die nur schiefgehen konnte“. Denn während sich Ein-Kind-Eltern, die zum Teil mehr zahlen müssten als vorher, ungerecht behandelt fühlten, bringe die Erweiterung der Ungerechtigkeit auf den Hort (Mehrkindeltern mit einem Kind im Hort zahlen nur noch die deutlich geringeren Hortgebühren und für ihre Kita-Kinder nicht) neue Probleme mit sich: Die Kapazitäten der Horte reichten nicht mehr aus, so Nagler. In wirkliche Qualitätsverbesserung werde kaum investiert.

Letzteres kritisierte auch die Leiterin des Amtes für Verwaltungssteuerung, Kathleen Altmann, als sie um eine Einschätzung von Seiten der Kommune gebeten wurde. Auch wenn die Mindestpersonalschlüssel erhöht worden seien, reiche es oft bei weitem nicht, es gebe viele organisatorische, aber auch verwaltungstechnische Probleme infolge des neuen Kinderförderungsgesetzes, sagte sie. „Das Zwei-Schichtsystem stellt uns vor riesige Herausforderungen, wir arbeiten weit über dem Mindestpersonalschlüssel und sind trotzdem überlastet!“ Für Dokumentation und Datenerhebung fielen erhebliche Personalkosten an, sie hätte sich gewünscht, im Rahmen der KioFöG-Novellierung auch an die Arbeitsbedingungen der Pädagogen zu denken, an Sanierungsstaus und ähnliches.

„Nur die Eltern zu entlasten, hat für mich nichts mit mehr Qualität zu tun“, sagte Kathleen Altmann und bekam Applaus von vielen Erziehern. Dass der Verwaltungsaufwand nochmal im Detail zu prüfen wäre und die Verwaltungskosten sowie Investitionen nicht aus dem KiFöG kommen könnten, machte Möbbeck klar. Beides müsse beim Finanzausgleichgesetz angesiedelt werden.

Stadtrat Sven Wegener (Die Linke) fragte unter anderem nach den konkreten Betreuungsschlüsseln und nach der gefühlten Realität, dass für einige Eltern die Kosten steigen. Doch während Land und Landkreise Zuschüsse zahlen, liege die „Restfinanzierungspflicht“ bei den Kommunen, machte die Staatssekretärin deutlich. „Über die Höhe der Betreuungskosten entscheidet die Gemeinde!“

Vorgesehen sind Maßnahmen wie die Schulgeldfreiheit für Schüler in erzieherischen Berufen für den Zeitraum 2019 bis 2022, um Fachkräfte zu fördern. Eines der größten Probleme sei ein demografischer Bruch in den Einrichtungen, weil viele Jahre kein Nachwuchs neu eingestellt worden war. Geplant ist aber auch Quereinsteiger mit einem bezahlten, sogenannten 600-Stunden-Praktikum für den Beruf des Erziehers zu gewinnen. Geplant ist außerdem, ab August 2020 landesweit 200 Schüler über eine praxisorientierte, vergütete Ausbildung zu Fachkräften zu machen. Für die Praxisanleitung von Fachschülern in den Einrichtungen soll zusätzliches Geld bereit gestellt werden und es soll zwei zusätzliche pädagogische Fachberater pro Landkreis geben.

Allerdings sind alle diese Maßnahmen zeitlich begrenzt (die aktuellen Regelungen gelten zunächst für zwei Jahre). Es stehe allerdings bei Erfolg eine Verlängerung in Aussicht, so Möbbeck. Man wolle sich in einem Jahr noch einmal zusammen setzen, um über Probleme und Umsetzung zu sprechen, schlug CDU-Fraktionsvorsitzender Marcus Graubner vor, der zusammen mit dem Stadtratsvorsitzenden Werner Jacob (CDU) durch den Abend führte.

Eine Anregung gab es noch zum Schluss aus Cobbel: Die dortige Kita-Leiterin Cornelia Helmeke schlug vor, dass Verwaltung, Pädagogen und auch Stadtrat künftig besser zusammenarbeiten. „Ich wünsche mir mehr Unterstützung auch für die kleineren Einrichtungen, die immer auf dringende Sanierungen warten“, sagte sie.

Werner Jacob (CDU), der zunächst noch einmal allen Mitarbeitern der Kindereinrichtungen in der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte für ihren täglichen Einsatz dankte, sagte aber auch: „Wenn es Bedarfe gibt, bitte ich darum, die auch anzumelden und sie die dem Stadtrat gegenüber zu kommunizieren und miteinander statt übereinander zu sprechen!“