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Kitas Normalbetrieb als Belastungsprobe

Groß war die Freude, als Kitas und Horte in der Altmark zum eingeschränkten Normalbetrieb übergingen. Doch es folgte Ernüchterung.

Von David Boos 10.06.2020, 05:00

Sandau l Eileen Rudeck ist verzweifelt. Der Grund? Ein scheinbar einfacher Zahlendreher. Seitdem die Kita und der Hort in Sandau von Notbetreuung auf eingeschränkten Normalbetrieb wechselten, ist die Kinderbetreuung nur noch von 7-16 Uhr, und nicht wie früher von 6-17 Uhr möglich. Was Menschen, die nicht betroffen sind, leicht übersehen können, bringt Betroffene an die Grenzen des Machbaren. Denn diese eine Stunde weniger am Morgen und am Nachmittag kann berufstätige Eltern vor fast unüberwindbare Schwierigkeiten stellen.

„Während der Notbetreuung durften die Kinder in den Gruppen gemischt werden“, berichtet Eileen Rudeck, „jetzt aber, wo alle Kinder kommen dürfen, ist es aus Ansteckungsgründen verboten.“ Früher betreuten unterschiedliche Erzieherinnen am Vor- und Nachmittag, nun ist man bestrebt, diesen Wechsel des Personals im Zuge der Schutzmaßnahmen zu vermeiden. Das bedeutet ganztägige Schichten für die Erzieherinnen, wodurch sich die verkürzten Betreuungszeiten erklären.

Das stellt Alleinerziehende und berufstätige Eltern auf eine harte Probe, denn Eileen Rudeck muss für ihre Arbeit als Friseurin täglich nach Stendal pendeln. Ihr Dienstschluss erfolgt um 16 Uhr, dieselbe Zeit, zu der die Betreuung in ihrer 40 Minuten entfernten Heimatstadt Sandau endet. „Ich habe eine sechsjährige Tochter, die effektiv nach der Schule drei Stunden alleine zu Hause wäre, wenn sie zu gegebener Zeit und einziger Option mit dem Bus nach Hause fahren würde“, klagt die 30-jährige Rudeck. „Ich möchte weinen!“

Trotz ihrer Verzweiflung warf die Sandauerin die Flinte nicht ins Korn. Sie nahm das Telefon zur Hand und richtete sich der Reihe nach an das Landesjugendamt, die Verbandsgemeinde und sogar das Ministerium für Arbeit und Soziales. In allen Fällen wurde sie laut eigener Aussage aber abgewimmelt: „Niemand fühlt sich dafür verantwortlich und keiner kann uns helfen.“ Als ihr schließlich ein Mitarbeiter des Ministeriums riet, die Sache mit ihrem Arbeitgeber zu regeln, konnte die Sandauer Mutter kaum ihren Ohren trauen. „Ich arbeite 35 Stunden die Woche zum Mindestlohn“, sagt Rudeck, „wenn ich früher aufhöre und mit 600 Euro im Monat nach Hause gehe, kann ich gleich Hartz IV beantragen, aber das ist nicht Sinn und Zweck der Sache.“ So zieht die Friseuse eine desillusionierte Bilanz: „Jetzt wird den Arbeitnehmern und Alleinerziehenden nochmal richtig in den Hintern getreten.“

Ähnliche Erfahrungen machte auch die Krankenschwester Katja Riehs in der Kita Kamern. Riehs arbeitet in der ambulanten Intensivpflege, momentan hauptsächlich neun- bis zwölfstündige Nachtschichten. „Zum Glück, muss man sagen“, so die Krankenschwester, „denn unter den jetzigen Bedingungen ist es keine Alternative, das Kind um 7 Uhr in die Kita zu bringen.“ So kann Riehs trotz anstrengender Nachtschichten der Aufsichtspflicht nachkommen, während ihr Ehemann am Tag arbeitet.

Katja Riehs ist neben ihrer beruflichen Tätigkeit die stellvertretende Gemeindeelternsprecherin der Verbandsgemeinde Schönhausen, der die Kita Kamern ebenfalls angehört. In einem Schreiben der Verbandsgemeinde wurde sie darüber informiert, dass die Zeiten sich geändert hatten, doch auf Nachfragen per Telefon oder Email gibt es keine Reaktion. „Es herrscht Funkstille“, so Riehs, „dabei hieß es, dass das Kuratorium mit einbezogen werden soll.“ Dies geschah allerdings nicht. Von seiten der Kita erhielt Katja Riehs ebenfalls ein Schreiben, doch dieses war nicht eindeutig formuliert: „Da hieß es einerseits, es geht wieder normal weiter, und andererseits legte man den Eltern nahe, doch nicht zu kommen.“

Auf andere Kitas innerhalb des Verbands auszuweichen, ist ebenfalls keine Option, da die Zeiten in allen Kitas der Schönhausener Verbandsgemeinde gekürzt wurden. Nun ruhen die Hoffnungen der stellvertretenden Gemeindeelternsprecherin auf dem Jugendamt, das sich mittlerweile der Sache angenommen hat.

Steffi Friedebold, Verbandsgemeindebürgermeisterin der Verbandsgemeinde Elbe-Havelland, betont auf Nachfrage der Volksstimme, dass die Verkürzung der Betreuungszeit „in Absprache mit dem Landkreis und dem Jugendamt“ erfolgte. „So leid es mir tut, wir sind auch nur umsetzende Institutionen“, so Friedebold. „Wir reden über eine Stunde, es sollte möglich sein mit dem Arbeitgeber eine Lösung zu finden. Ob sie zufriedenstellend ist, ist eine andere Frage.“ Die 6. Verordnung, aus der die Maßnahmen resultierem, ist bis zum 30. Juni gültig. Betroffene Eltern müssen hoffen, dass danach der Normalbetrieb diesen Namen auch wieder verdient.