Friedrich Schorlemmer zeigt den Menschen in Wort und Schrift, wie er die Welt sah und sieht Mann mit Rückgrat, Herz und klarem Blick
Friedrich Schorlemmer war am Sonnabend zu Besuch in seiner Heimat - in der Altmark. In der Salzkirche von Tangermünde plauderte er aus seinem Leben, machte vertraut mit seinen politischen Ansichten - tiefgründig, humorvoll und überaus unterhaltsam.
Tangermünde l "Drei Jahre lang habe ich mich an mein Leben erinnert. Das ist anstrengend und schwierig." Mit diesen Worten begann Friedrich Schorlemmer am Sonnabend in der Salzkirche seinen mehr als einstündigen Monolog. Der gebürtige Altmärker vermag es, die Besucher ganz für sich zu gewinnen, sie teilhaben zu lassen an Ereignissen in seinem Leben. "Ich bin Altmärker ganz und gar", gesteht er. Und noch etwas offenbarte er den vielen Gästen: "Ich weiß genau, was ich im März 1957 getan habe. Doch ich weiß oft nicht, wo mein Schlüsselbund ist."
Sich zu erinnern, könne auch fatale Folgen haben, warnt der Theologe. "Wenn man sich erinnert, fangen Dinge an, die ganz unten liegen, wieder wach zu werden." Seitdem er sich erinnert hat, "falle ich wieder vom Kirchturm", erzählt er und berichtet davon, wie er als Junge beim Taubenfangen 20 Meter tief von einem Kirchturm gefallen sei.
Diese Episode und noch ein, zwei andere verriet der sympathische Wittenberger dem Publikum. "Doch das werden Sie nicht in diesem Buch finden. Es ist meine politische Biografie. Hier will ich nichts Persönliches auspacken."
"Klar sehen und doch hoffen" ist der Titel des Buches von Friedrich Schorlemmer. Es ist keine Abrechnung mit dem System vor 1989 und auch nicht nach 1989. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes ist ein Mann, der "die Menschen erst kennenlernen will, bevor ich sie beurteile". Nicht nur das macht ihn furchtbar sympathisch. Es sind die vielen kleinen Nebensätze, all die mit voller Überzeugung ausgesprochenen Standpunkte, die den Theologen und Bürgerrechtler in ein Licht rücken, das es nur noch selten zu sehen gibt.
"Ich habe 45 Jahre lang in unserer Deutschen Demokratischen Republik gelebt", sagt der Mann, der von 1978 bis 1992 als Dozent am evangelischen Predigerseminar und als Prediger an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg tätig war. Auch macht er deutlich, dass "er froh ist, die Erziehungsdiktatur los zu sein". Und doch habe er gerade in diesen 45 Jahren "tolle, aufrechte Menschen kennengelernt". Die letzten 20 Jahre seien viel zu schnell vergangen.
Schorlemmer schaut auf DDR und 20 Jahre Einheit zurück. "Rückblickend kann man immer leicht urteilen", sagt er, stellt sich dabei die Frage: "Will ich jetzt Steine werfen?" und antwortet sich selbst mit einem klaren "Nein". Denn niemand konnte 1989 wissen, wie es 20 Jahre später in Deutschland aussehen würde. Ebenso habe keiner wissen können, wohin der Weg der DDR führen würde. "Alle, die meinen, es immer schon vorher gewusst zuhaben, die haben es uns wohl nur vorher nicht sagen wollen. Sie haben stets Widerstand geleistet - vor dem Fernseher", sagt der Theologe augenzwinkernd.
DDR, das sei nicht nur Stasi gewesen. "Natürlich war es schlimm. Aber wir haben doch nicht jeden Tag an die Stasi gedacht", sagt Schorlemmer. "In diesem System gab es genug Lücken, die wir aber viel zu wenig genutzt haben."
Schorlemmers Appell an die Menschen lautet: "Es ist wichtig, sich nichts vormachen zu lassen, stets klar zu sehen und dabei hoffen, dass es anders werden kann." Für seine Enkel und alle künftigen Generationen wünscht sich der Wittenberger "gerechten Frieden, größte Anstrengungen, um diese Schöpfung zu erhalten und die Würde jedes Menschen zu wahren".
Während sich Schorlemmer seines Lebens erinnerte, fielen ihm unter anderem auch diese beiden Dinge ein: "Ich muss gestehen: Auch ich war gesellschaftlich organisiert - im Konsum und im Deutschen Anglerverband. Bis Anfang der 90er Jahre habe ich sogar noch Marken geklebt."