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Medikamentenmangel Coronavirus verschärft Arzneimittelmangel

In den Apotheken sind viele Medikamente knapp. Bald könnte es noch schlimmer werden.

Von Mike Kahnert 24.02.2020, 10:00

Stendal l Wenn Apothekerin Annette Lange bei ihren Lieferanten nach Psychopharmaka sucht, sieht sie rot auf dem Bildschirm ihres Computers. Rote Pfeile — keine Verfügbarkeit. Dutzende Mittel stehen nicht zur Verfügung. Dann ein grüner Pfeil. Das Medikament ist auf Lager. Mindestens zwei Stunden täglich verbringt die 53-Jährige auf der Suche nach dem passenden Arzneimittel für ihre Kunden. Die Epidemie in China könnte die Situation weiter verschärfen.

Vorrangig Psychopharmaka (Antidepressiva), Ibuprofen und Antidiabetika bereiten der Apothekerin Sorgen. „Es gibt für Ibuprofen sechs Hersteller weltweit“, sagt die Stendalerin. Im Jahr 2018 brannte eine amerikanische Fabrik ab. Zwei Hersteller sitzen in China. Auch mit Fabriken in der Quarantänezone. „Es ist ein Industriegebiet, wo es sehr viele Arzneimittelhersteller gibt. Wann diese Probleme nachher in der Apotheke ankommen, ist schwer absehbar. Man rechnet damit erst im zweiten Halbjahr 2020.“

Wartezeiten gebe es für Ibuprofen und die meisten anderen Medikamente noch keine. Die Schwierigkeiten liegen für Apotheken bei den Verträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern. „Bei manchen Krankenkassen wird es nur auf einen Hersteller heruntergebrochen, der vorrangig abgegeben werden sollte.“ Ein Maßnahmenpaket des Bundestages soll Besserung verschaffen.

Können Verträge mit Krankenkassen nicht bedient werden, soll für Apotheken die Möglichkeit bestehen, auch auf kostenpflichtige Medikamente zurückzugreifen, die in Bezug auf Wirkstoff, Zusammensetzung und Konzentration identisch seien. „Für die Kunden ist das, bis auf wenige Ausnahmen, kostenneutral“, sagt Annette Lange. Das „Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz“ wurde am Donnerstag, 13. Februar, beschlossen und soll Ende März oder Anfang April in Kraft treten.

Trotzdem: „Es ist ein wilder Wechsel zwischen den Firmen.“ Eine besondere Herausforderung seien Patienten, die in einem solchen Maße auf ihr Medikament angewiesen seien, dass sie sich persönlich damit identifizieren. „Für diese Patienten ist es nicht ‚ihr Arzneimittel‘, sondern ihre ‚rote Tablette‘ in der ‚blauen Packung‘. Sie klammern sich im Wunsch nach Besserung an das Aussehen des Arzneimittels.“ Dabei gebe es fachlich zwischen den Medikamenten keine Unterschiede. Die Wirkung sei die gleiche.

Eine erfreuliche Nachricht hat die 53-Jährige aber dennoch. Bei Blutdruckmedikamenten kam es im Sommer 2018 zu Rückrufaktionen wegen Verunreinigungen und folglich Lieferengpässen. „Das hat sich mittlerweile weitestgehend wieder beruhigt“, sagt die Apothekerin.

Insgesamt fehlen zwischen 200 und 300 Medikamente, bei denen Annette Lange und ihre Kolleginnen immer wieder nach Alternativen suchen müssen. Die Situation bereite der Stendalerin Sorgen. Den Kunden empfiehlt sie, auf die verbleibende Menge ihrer Arzneimittel zu achten. Von Vorratswirtschaft rät sie dennoch ab. „Das bringt nichts. Eine Therapie kann immer mal angepasst werden und dann kann es schnell dazu kommen, dass ein Patient die Arzneimittel nicht mehr gebrauchen kann.“

Die Apothekerin empfiehlt stattdessen, je nach Dosierung, drei bis vier Wochen bevor das Medikament ausläuft, sich neue verordnen zu lassen. Eine Faustformel wäre es, sich beim Anbruch der letzten Packung eines Arzneimittels, ein neues zu holen.

Und wird sich die Situation der Lieferengpässe irgendwann wieder entspannen? „China konnte kein Mensch voraussehen und ahnen. Man stellt fest wie, erschütterbar die Weltwirtschaft geworden ist. Wir schöpfen alle aus wenigen Töpfen, die wir uns teilen müssen.“ Annette Lange wagt es nicht, eine Prognose abzugeben. Sie fände es aber zur Sicherheit wünschenswert „wenn ein Grundsortiment an Antibiotika, Schmerzmitteln und Psychopharmaka wieder in der Europäischen Union hergestellt werden.“