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Verfassungsschutz Reichsbürger fordern die Behörden raus

Der Landkreis Stendal bildet eine Hochburg bei den Staatsleugnern. Experten empfehlen ein hartes Durchgreifen.

Von Bernd-Volker Brahms 20.04.2018, 01:01

Stendal l Sie zerschneiden Ausweispapiere, bezahlen Bußgeldbescheide nicht, nennen den Staat die „BRD GmbH“ und beschulen ihre Kinder selbst oder gründen gleich eigene Reiche. Die Szene der sogenannten Reichsbürger ist zahlenmäßig in den vergangenen Jahren bundesweit kontinuierlich angestiegen – und die Altmark ist landesweit eine Hochburg. Von rund 450 bekannten Fällen kommen nach Angaben des Magdeburger Innenministeriums rund 14,5 Prozent aus dem Landkreis Stendal und 8,4 Prozent aus dem Bereich Salzwedel (insgesamt rund 100 Personen).

Seit 2016 ist die Szene offiziell Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes, erläuterte Hilmar Steffen vom Referat Rechtsextremismus/Terrorismus im Innenministerium am Donnerstag bei einer Tagung in Stendal. Die Verfassungsschützer gucken seither systematisch auf die Entwicklungen.

Die Landeszentrale für politische Bildung hatte mit dem Thema „Reichsbürger – Totalverweigerer von rechts“ nach Stendal in den „Schwarzen Adler“ eingeladen. Rund 150 Teilnehmer von Polizei, Bewährungshilfe, Krankenhäusern, Gerichten und anderen Behörden waren im vollbesetzten Saal dabei. Einer der Teilnehmer war auch der ehemalige AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, André Poggenburg, der nach eigenen Angaben von seiner Fraktion für die Veranstaltung freigestellt worden war. Parallel tagte der Landtag. „Wir setzen uns als AfD für den Rechtsstaat ein“, sagte Poggenburg zu seiner Motivation, dabei zu sein.

Die Ablehnung des deutschen Staates ist das verbindende Element einer ansonsten sehr heterogenen Szene, erläuterte Experte Hilmar Steffen. Der Naumburger Oberstaatsanwalt Gerhard Wetzel sprach bei der Tagung dann auch lieber von Staatsleugnern und Selbstverwaltern denn von Reichsbürgern.

Der Jurist plädierte dafür, dass mit aller Konsequenz gegen die Szene vorgegangen werde. Es gebe genügend rechtliche Möglichkeiten, um die Leute in ihre Schranken zu verweisen. „Man darf sich auf den ganzen Quatsch nicht einlassen“, sagte Wetzel. Man müsse als Behörde auch noch die letzten 50 Cent vollstrecken. „Wenn die nur mit Kleinigkeiten durchkommen, dann lassen die sich von der Szene feiern“, so der Oberstaatsanwalt.

Am Ende würden die Staatsleugner alle nur eigennützig handeln. „Die wollen nicht bezahlen“, sagte Wetzel. Nichtsdestotrotz reiche die Palette der Akteure von Staatsverdrossenen über politisch Bewegte bis hin zu Verschwörungstheoretikern und Geisteskranken.

Besonders absonderlich würde es werden, wenn auch Staatsbedienste mit den üblichen Argumenten der Szene kommen würden. Bundesweit gebe es 25 Fälle von Polizisten und 25 Fälle von Berufssoldaten, die auffällig geworden seien, sagte Wetzel. Er verwies auch auf das Polizistenehepaar aus Stendal, das gerade erst entlassen worden ist. „Bei denen ist es richtig fies, die stehen vor dem Nichts – und das alles nur, weil die sich auf den Quatsch eingelassen haben.“ Aber es gehe eben nicht an, dass man tagsüber Recht und Ordnung vertritt und in der Freizeit den Staat verleugnet, sagte Gerhard Wetzel.

Reichsbürger sind bereits seit den 1980er Jahren vor allem in Berlin und im damaligen Westdeutschland aktiv gewesen. In Sachsen-Anhalt sei das Phänomen seit rund 15 Jahren unter Beobachtung, sagte Hilmar Steffen. Das Internet habe die Szene beflügelt. Mittlerweile zählen bundesweit rund 16 500 Fälle dazu. Die Tendenz sei steigend. Die Finanzbehörden seien die ersten gewesen, die das Phänomen zu spüren bekommen haben. Leute hätten Zahlungen abgelehnt und dies damit begründet, dass es den deutschen Staat gar nicht gebe und mithin keine Forderungen gestellt werden dürften. Der Umgang der Behörden mit der Klientel müsse „sitzen“, sagte Steffen. Jüngst habe das Ministerium Handlungsempfehlungen erarbeitet.

„Man darf sich nicht auf ihre Argumentationen einlassen“, sagte Oberstaatsanwalt Wetzel. „Die versuchen, einen totzuquatschen.“ Die Leute aus der Szene ließen sich ständig was Neues einfallen.

Häufig beginnen die Probleme bei Verwaltungen mit der Klientel auf ganz banale Weise. Da werde einfach der Briefkasten abgeschraubt, so dass Korrespondenz gar nicht zustellbar ist. Dann werden Bußgelder nicht bezahlt und Ausweispapiere vernichtet. „Meistens behalten sie aber ihren Reisepass, weil sie ja doch ganz gern mal nach Teneriffa fahren wollen“, sagte Wetzel.

Er plädierte dafür, für alle Vergehen Bußgelder zu verhängen und diese konsequent einzutreiben. Bei mehreren Verkehrsvergehen sollte schnell eine Medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werden. Wenn später ohne Führerschein gefahren werde, kämen weitere Vergehen dazu. „Das summiert sich und macht denen dann auch keinen Spaß mehr.“