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Sommerserie Hol‘ über: Am Steuer einer Fähre

Für die Sommerserie schlüpfen die Altmark-Reporter in fremde Berufe. Heute versucht sich Redakteurin Karina Hoppe als Fährfrau in Räbel.

Von Karina Hoppe 17.08.2020, 18:45

Räbel l Für mich als Kind war an der Räbeler Fähre die Welt zu Ende. Auf der Wiese haben wir den Trabant abgestellt, den Rest bis zum Havelberger Pferdemarkt ging‘s zu Fuß. Und gleich am Anfang das größte Abenteuer: das Übersetzen mit der Gierseilfähre! Ein paar Jahrzehnte später darf ich mal selbst ans Steuer, wenn das so heißt. Es ist ja alles ein bisschen anders bei einer Gierseilfähre. Obacht, Karina! „Hoffentlich haben Sie sich eingecremt, die Sonne knallt“, sagt Fährmann Thomas Schatz  (47) gleich zu mir. Morgens um 9 Uhr am Sonnabend, der Werbener hat da schon zwei Stunden Arbeit hinter sich. „Arbeit, ach, ihr habt doch hier Urlaub“, witzelt der Berger Lutz Homann gegenüber „Paule“, wie Schatz auch genannt wird. „Ja, ja“, sagt dieser nur. Sprüche gehören zum täglich Einerlei des Fährmanns. Die traue ich mir auch zu, aber kann ich auch die Hebel und Knöpfchen bedienen? „Paule“ lacht. „Das kriegen wir schon hin, ich bin ja dabei.“ Erste Erkenntnis des Tages: das Unterhemd hätte ich mir sparen können. Wir sind erst zweimal hin- und zurückgefahren und ich zerfließe bereits. Mein Wasser liegt im Auto. Prima, Karina.

Erstmal schau ich nur ein bisschen zu, soweit das geht, denn es ist schon ordentlich Betrieb. Viele Radfahrer mit voll bepackten Taschen kommen auf die Fähre, Autos sowieso. Ich habe „Paule“ im Blick. Beim Anlanden löst er irgendetwas, „ich justiere die Fähre nach“. Dann lässt er die Landeklappe herunter und die Schranke hoch. So schnell wie die Gäste herunter sind, sind die neuen schon wieder drauf. Wie lange wartet er mit dem Ablegen? „Wenn ich dahinten jemanden kommen sehe, warte ich noch den Moment, aber sonst geht‘s sofort weiter“, sagt der Fährmann. Rund acht mal pro Stunde holt er über, fährt vier mal hin und zurück. Aber ich wollte ja aufpassen: Das 500 Meter lange Seil teilt sich vor der Fähre in drei Seilenden auf, das mittlere ist mittig am Fährkörper fixiert. Die anderen beiden an den Seiten sind das Steuerinstrument. Wir sind auf Havelberger Seite, „Paule“ rollt mittels Elektroantrieb das Außenseil auf Werbener Seite der Fähre auf und strafft es damit. „Da bis zur Markierung, die hast du am anderen Seil auch“, sagt er.

In dem Moment, als er die Landeklappe hochhebt, bewegt sich die Fähre. Die Strömung drückt die Havelberger Fährseite mit nun lockerem Seil weg, dadurch dreht sich die Fähre in den richtigen Winkel und wird über die Elbe nach Räbel gedrückt. „Wenn alles richtig ist, brauchst Du dann dort nur die Landeklappen zu bewegen und die Schranke öffnen. „Aber, zur Kasse, bitte.“ Ich erzähle den Radfahrern Katja Apel und Detlef Einenkel aus Brandenburg Stadt, dass ich gleich auch mal ans Steuer darf. Sie fragen, ob sie vorher herunter dürfen. Wir lachen. Die Fähre bleibt passenderweise gerade leer und ich darf einmal üben. Ablegeort Räbel. Schranke herunter, das Außenseil auf Havelberger Seite bis zur Markierung straffen, die Landeklappe hoch. „Und dann, tatsächlich, habe ich die Fähre in Bewegung gesetzt.“ Aber nicht herumwundern, das nun lockere Seil auf Werbener Seite muss aus dem Wasser. „Das bremst sonst.“ Puh! Wir fahren. Bis zur anderen Elbseite habe ich allerdings schon wieder vergessen, welcher Knopf zu welchem Befehl gehört. Es gibt rote, grüne, weiße Knöpfe, Hebel dazu, Drehschalter. Irgendetwas ist noch mit einer Bremse. Haleluja! Und diese Hitze.

Bei der nächsten Tour übe ich mich im Abkassieren. Bernhard Ott ist zu zweit mit dem Fahrrad von Havelberg nach Tangermünde unterwegs. „Ich weiß schon, was ich zahlen muss, vier Euro“, sagt er. Gut so, denke ich, drücke laut Anweisung von „Paule“ zweimal auf die entsprechende Taste. Zack, zack, kommt die Quittung aus der Kasse. Dann wird mir noch eine Zehnerkarte zum Abzeichnen hingehalten. „Kannste ruhig machen“, sagt der Fährmann. Ich mache, und entdecke in der Kabine neben einem Fernglas und ganz viel Zettelei auch noch einen Kalender mit „Pin-up-Girl“. Ich muss grinsen. Keine Frage, das hier ist eine Männerwirtschaft.

Wie angenehm, in der Kabine sind es noch unter 30 Grad. „Jetzt noch“, sagt „Paule“. „Nach Wittenberge fahren sie über Bad Wilsnack“, sagt er Fahrgästen und bietet an, dass sie sich die Karte aus der Kabine abfotografieren können. Sie schauen einmal drauf, das reicht. Und dann geht‘s schon wieder weiter.

Ich liebe die Geräusche, die die Fähre macht, vor allem das Knattern der Seilwinde, aber auch das stählerne Geräusch, wenn die Landeklappe auf den Anleger fällt. Dazu das Gänsegeschnatter vom Elbufer, aber für Poesie ist nicht viel Zeit. Landeklappe hochheben, anlanden, Schranke hoch, Gäste runter, Gäste rauf, Schranke runter, Seil straff ziehen, Landeklappe lösen, lockeres Seil aus dem Wasser heben und abkassieren. Hier drei Worte, da drei Worte. Alles ist kurzweilig auf der Fähre. Ich hab weiterhin Probleme, mir die richtigen Knöpfe zu merken. So leicht ist es eben doch nicht. Vor allem aber ist es heiß! Ich bin ein bisschen neidisch auf „Paules“ Mütze und sage am Ende „tschüss und danke, Kapitän“. Auf dem Weg zum Auto sammle ich eine Bonbontüte und eine leere Dose Erbsensuppe auf. Macht man so als gute Fährfrau.

Am Donnerstag, 20. August, geht die Serie weiter. Dann wird berichtet, wie es in einer Backstube zugeht.