Tierrettung Tierfreund rettet streundende Katzen in Stendal und fordert Kastrationspflicht
Sie laufen heimatlos durch die Straßen und werden immer mehr: Streunerkatzen. Sie sind ein zunehmendes Problem in der Stadt Stendal, doch scheinbar unternimmt niemand etwas dagegen – anders Christian Dissars.

Stendal - Ein Schatten huscht an Christian Dissars (44) vorbei und verschwindet in einem Gebüsch vor der Pestalozzischule in der Max-Planck-Straße in Stendal. Er wirkt schlagartig hellwach. „Das ist der Streuner, den ich seit einigen Tagen hier immer wieder sehe.“ Er nähert sich der kleinen schwarzen Katze. Anfangs ist sie noch scheu und versteckt sich im grünen Dickicht. Nur ihre leuchtend gelben Augen sind zu sehen. Vorsichtig lockt der Stendaler die Katze aus ihrem Versteck. Langsam gewinnt er ihr Vertrauen und nimmt sie in den Arm.
„Ich muss sie ganz schnell in die Katzenbox zu Hause bringen“, sagt er und steigt ohne lange zu zögern ins Auto. Dort ruft er seine Mutter, Sabine Dissars (65) an. Sie soll die Katzenbox daheim bereitmachen und damit an die Tür kommen. Dabei streichelt er die verängstigte Katze fürsorglich. „Sowas passiert hier mittlerweile fast täglich“, sagt er. Die Sonne strahlt mit dem blauen Himmel um die Wette. Doch dem 44-Jährigen ist gar nicht nach Lachen zumute. Der Grund für sein Treffen mit der Volksstimme ist ernst. Es geht um Streunerkatzen in Stendal, wie die kleine, die er gerade gefunden hat.
Katzen werden in Stendal einfach ausgesetzt
Stendal hätte, wie leider viele andere Städte in Sachsen-Anhalt, ein zunehmendes Streunerkatzen-Problem. „Zur Zeit haben wir in Stendal um die 45 Streunerkatzen“, schätzt Christian Dissars. „Und es werden potenziell immer mehr, da sie alle Nachwuchs bekommen – weil sie nicht kastriert sind.“ Die hilflosen Katzen wurden von ihren Besitzern auf der Straße ausgesetzt und streifen orientierungslos durch die Stadt. Wild, rollig und auf der Suche nach Futter.
„Durch die Corona-Pandemie wurde die Anzahl der Streuner noch mehr“, so Christian Dissars. Viele Menschen hätten sich in der Zeit ein Tier zulegt. Doch nach wenigen Monaten war die Begeisterung schnell wieder verflogen, das Tier wurde auf die Straße gesetzt. Und stoßen die Streuner dann auf Hauskatzen und sind rollig, gibt es nach einigen Monaten Streunerkatzennachwuchs. Diese Vorfälle häufen sich zunehmend. Darum fordert Christian Dissars, dass sich dringend etwas ändert. „Der erste Schritt in die richtige Richtung ist die Kastrationspflicht.“

„Niemand interessiert sich für die Tiere“, sagt Christian Dissars merklich frustriert. „Die Stadt unternimmt absolut nichts, um das Ganze in den Griff zu bekommen.“ Stattdessen werde lieber weggeschaut, so als gäbe es kein Problem.
Armin Fischbach von der Stadtverwaltung sagt auf Anfrage, dass bei der Stadtratssitzung am 15. Februar dieses Jahres die Fraktion Linke-Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag zur Änderung der städtischen Gefahrenabwehrverordnung gestellt habe. Die aktuell geltende Verordnung sollte so geändert werden, dass künftig Katzenhalter, die ihrer Katze Zugang ins Freie gewähren, diese zuvor von einem Tierarzt kastrieren oder sterilisieren zu lassen hätten. Im gleichen Zug wären die Katzen durch einen Transponderchip gekennzeichnet und müsste in einem Heimtierregister registriert werden. Andere Stadtratsfraktionen sahen die Problematik in der Innenstadt oder am Stadtsee als nicht gegeben an. Der Antrag wurde abgelehnt.
Tierfreund aus Stendal ist stundenlang auf Patrouille
Darum hat es sich Christian Dissars zur Aufgabe gemacht, den Katzen zu helfen. Stundenlang mit dem Auto patrouillieren, Streuner auffinden, sie daheim aufnehmen und versorgen und füttern. Alles aus eigener Tasche. Besonders im Gebiet rund um die Pestalozzischule wird das Problem der Streunerkatzen immer schlimmer. Auch beim Tierbedarf Fressnapf, in der Scharnhorststraße in Stendal, werden oft Streuner gesehen, wo eine offizielle Futterhütte für sie aufgebaut ist. „Man erkennt diese an den stark eingefallenen Hüften.“ Vor knapp drei Wochen hatte er wieder einen Streuner gefunden und bei sich zu Hause aufgenommen. „Als ich sie fand, war sie trächtig.“ Nun beherbergt Mutter Sabine Dissars die Katze mit ihren drei Streunerbabys. Beim Treffen zeigt er auf die umliegenden Straßen. „Ich beobachte dieses Gebiet hier mittlerweile bereits seit einem Jahr“, sagt er. Und immer wieder laufen ihm gerade erst ausgesetzte Katzen oder solche, die auf der Straße geboren wurden, über den Weg. Um ihnen zu helfen, nimmt er sie mit nach Hause. Ihm sind schon ganz erschöpfte und misshandelte Katzen begegnet. „Die Tiere gehören ins Tierheim.“ Doch das ist voll.
Vom Stendaler Tierheim wird eingeschätzt, dass Streuner, die sich unkontrolliert vermehren, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen und auch das Tierleid nicht außer Acht zu lassen ist, so Armin Fischbach. Dem stimmen die zuständigen Ämter der Stadt zu.
Christian Dissars möchte mithilfe der Stendaler Wohnungsbau-Gesellschaft (SWG) die Bevölkerung für die notwendige Kastrationspflicht sensibilisieren. Er wünscht sich, dass noch mehr Bürger helfen, damit er mit seinem Projekt nicht alleine ist. Bisher erhält er nur vereinzelt Unterstützung. „Voraussichtlich am 17. September werde ich ein Gespräch mit der SWG haben“, sagt Christian Dissars. „Dann werden wir sehen, wie es weitergeht.“