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Urteil Bewährung für versuchten Totschlag

Bewährung für einen Messerstecher. Das Urteil überraschte am Ende eines Prozesses in Stendal.

Von Wolfgang Biermann 22.10.2019, 02:00

Stendal l Mit einer Überraschung endete am Freitag der Prozess um die Messerattacke eines bislang unbescholtenen Stendalers gegen eine transsexuelle Prostituierte am 22. März dieses Jahres in der Gardelegener Straße.

Die Schwurgerichtskammer am Landgericht Stendal unter Vorsitz von Richter Ulrich Galler sprach den 55-Jährigen wohl des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig, folgte mit dem Ausspruch einer für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzten zweijährigen Haftstrafe im Strafmaß aber dem Antrag der Verteidigung.

Die Staatsanwaltschaft hatte viereinhalb Jahre Gefängnis gefordert und die Aufrechterhaltung des am 23. März erlassenen Haftbefehls. Doch den Argumenten der Staatsanwaltschaft folgten die Richter nicht. Der Angeklagte verließ nach fast siebenmonatiger U-Haft das Gericht als freier Mann. Das Urteil basiert gemäß Richter Galler auf der Aussage des nicht lebensgefährlich verletzten Opfers und den Angaben des Angeklagten. Der hatte sich zwar weitgehend geständig gezeigt, sich aber auf einen „Blackout“ berufen. Der Sachverhalt stehe fest, genau so wie er in der Anklage stehe, sagte Richter Galler in der Urteilsbegründung.

Demnach begab sich der Angeklagte am Abend des 22. März nach telefonischer Verabredung zu Fuß vom Wohngebiet Stadtsee in die Gardelegener Straße, wo die Prostituierte seinerzeit ihre Dienste anbot. Der 55-Jährige führte ein 32 Zentimeter langes Küchenmesser mit und einen etwa gleich langen Schraubenschlüssel. Beides hätte er im Dunkeln stets dabei, aus Angst vor möglichen Überfällen, sagte er. Das spätere Opfer ließ ihn wegen eines anderen Freiers zunächst warten. Nach etwa 15 Minuten ließ sie den Langzeitarbeitslosen, der aber in gesicherten sozialen Verhältnissen lebt, ein. Er bat sie, vorzugehen. Unvermittelt und offenbar völlig motivlos zog er das Messer und schlug zunächst mit dem Griff von hinten auf sie ein. Die 51-Jährige wehrte sich. Infolge des Traktierens mit dem Messer durch den Angeklagten erhielt sie etliche Schnitte im Gesicht. Es kam zum Kampf, beide gingen zu Boden. Die Prostituierte bekam das auf dem Boden liegende Messer zu fassen und schleuderte es „geistesgegenwärtig“ weg, erst aus dem Zimmer und später aus der Wohnung. Es gelang ihr, den Angeklagten, der selbst verletzt war und sich eher apathisch zeigte, mit Pfefferspray außer Gefecht zu setzen.

Der 55-Jährige sei gemäß Gutachten eines Psychiaters schuldfähig und weise „keinerlei psychische Auffälligkeiten“ auf, sagte Richter Galler. Die Kammer habe einen minderschweren Fall angenommen, infolgedessen sich der Strafrahmen verschiebe. Statt fünf Jahren Gefängnis als Mindeststrafe nur zwei. Und genau dazu wurde er nun verurteilt.

„Hintergrund für die Milderung“ sei erstens, dass der Angeklagte gegenüber der Polizei sofort nach der Tat Reue zeigte: „Ich habe Mist gebaut.“ In der U-Haft habe er sich um einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich bemüht und zahlt 7500 Euro Schmerzensgeld. Zudem habe er sich tränenreich bei der ebenfalls weinenden Geschädigten entschuldigt. Diese habe die Entschuldigung angenommen. All das sei „eine Bewährung wert“, begründete Richter Galler. Ein Motiv für die Tat fand auch er nicht, aber: „Das ist seine Sache.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision dagegen ist möglich.