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USA-Stipendium Austauschjahr nahe der Feuerfront

Der Altmärker Florian Sell brach in die USA auf und erzählt von seinen ersten Wochen auf der Halbinsel Kenai.

04.09.2019, 03:00

Kenai/Stendal l Sein erster Monat in Alaska ist (fast) geschafft, nun liegen noch elf weitere vor ihm: Der Kümmernitzer Florian Sell zog Anfang August in die USA – eine Reise, die ihm das Parlamentarische Patenschafts-Programm für Berufstätige ermöglichte.

Die Volksstimme hatte sich schon vorab mit dem mittlerweile 22-jährigen darüber unterhalten, was er für seinen einjährigen Aufenthalt plant. Nach den ersten Wochen haben wir uns noch mal in Verbindung gesetzt, um eine Ein-Monats-Bilanz zu ziehen – schriftlich, denn die zehn Stunden Zeitunterschied machten Telefontermine schwierig.

Sells Wohnort ist eine Kleinstadt auf der Halbinsel Kenai. Das bedeutet, dass er im ohnehin schon abgelegenen Bundesstaat Alaska noch zusätzlich von den wenigen Bevölkerungszentren entfernt ist. Das meiste ist aber noch mit dem Auto zu erreichen – zumindest über die Wege, die nicht gerade durch Waldbrände versperrt werden.

Die Beschreibung seiner derzeitigen Heimat hat jedenfalls nicht viel zu tun mit dem wilden Treiben, mit dem man Amerika sonst schnell verbinden würde: „Ich habe das Gefühl, hier läuft alles eine Nummer ruhiger ab“, schreibt er. Ähnlich verhält es sich mit den Einwohnern: „Die Mentalität ist anders, positiv anders. Manchmal glaube ich, hier ist die Zeit vor 20 Jahren stehengeblieben. Das sieht man an der Infrastruktur und den Bauten hier sehr stark.“

Was ihn von Anfang an nach Alaska zog, war die Natur – besonders die Fische. Sell ist begeisterter Angler, Alaska eine Hochburg für den Sport und daher oft von Angel-Touristen besucht. „Ich wüsste nicht, was man hier machen soll, wenn man nicht angelt, jagt oder die Natur liebt“, fasst Sell die Umgebung zusammen. „Teilweise bin ich immer noch überwältigt von der Natur. Wenn du in deinem Kajak alleine auf einem See fernab der Zivilisation bist, kommst du dir klein vor.“

Für direkten Naturkontakt musste Sell aber nicht immer den Ort verlassen. Manchmal reichte es schon, aus dem Haus zu treten: „Eines Morgens wollte ich zur Uni und es standen drei Elche im Vorgarten.“ Ein anderes Mal zählte er „Wale im Kenai River, für eine Studie.“

Auf den Umgang mit besonders gefährlichen Tieren ist er auch schon vorbereitet, dank Tipps seiner Bekannten: „Du musst nicht schneller sein, als ein Bär - nur schneller als dein langsamster Freund!“

Mit der Politik hat sich Sell noch nicht viel befasst. Alaska ist eher konservativ eingestellt, seit den Präsidentschaftswahlen 1968 ging die Mehrheit der Stimmen dort ausschließlich an Republikaner.

Sells Gastmutter ist politisch sehr engagiert, sagt er, und es sei „wie überall ein schwieriges Thema, das die Bevölkerung spaltet“. Er hält sich da aber lieber raus und hatte von Anfang an ohnehin andere Ziele.

Mit den anderen Vergnügen oder Pflichten hat Sell noch genug zu tun, seiner Weiterbildung zum Beispiel. Vor seiner Reise arbeitete er als Metallbauer in einem Familienbetrieb, am Kenai Peninsula College belegt er Schweißerkurse für die Öl- und Gasindustrie – „Also genau das, was ich später machen will.“

Arbeit muss er sich auch noch suchen, doch davor liegt noch ein schwer überwindbares Hindernis. Kein metaphorisches, sondern ein physisches und äußerst heißes: Eine riesige Feuerwand, die ihm und den anderen Bewohnern Kenais den Weg versperrt.

Denn für einen Job braucht er zunächst eine Sozialversicherungsnummer, die er in Anchorage beantragen muss – nicht die Hauptstadt des Staates, aber seine größte. Doch dorthin führt von der Halbinsel Kenai aus nur eine Straße, und diese wird durch Waldbrände blockiert - weitaus mehr und intensivere, als der Staat gewohnt ist.

Alaska ist eines von derzeit vielen Gebieten weltweit, die in Flammen stehen, genoss dafür aber nicht dieselbe Medienaufmerksamkeit wie etwa der Amazonas-Regenwald. Von Sells Wohnsitz liegt das Inferno mit dem Auto etwa eine Stunde entfernt, was unter Umständen auch vor Ort zu spüren ist: „Wenn der Wind ungünstig steht, ist der Himmel verschleiert und es liegt ein rauchiger Duft in der Luft. Das passiert recht häufig.“