1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Unverständnis im Untersuchungsausschuss

Wahlskandal Unverständnis im Untersuchungsausschuss

Wie konnte es zu der Verwaltungspanne bei der Kommunalwahl 2014 in Stendal kommen? Gab es eine Falschinformation aus der Kreisverwaltung?

08.12.2017, 12:44

Magdeburg/Stendal l René H. räumt es gleich mehrfach ein: „Ich weiß, es ist nicht nachvollziehbar.“ Ganze zweieinhalb Stunden versuchen am Mittwoch die Landtagsabgeordneten im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Stendaler Wahlfälschung, die Rolle des 38-jährigen Verwaltungsfachwirtes auszuleuchten.

Doch die Schlüsselszene bleibt im Dunklen: Der damals im Wahlbüro der Kreisverwaltung federführende H. soll seiner Kollegin Marie-Luise K. aus dem Stendaler Rathaus Anfang Mai 2014 auf deren Frage die Auskunft gegeben haben, man könne auch mehr als vier Briefwahlunterlagen an einen Bevollmächtgten herausgeben.

René H. hätte es eigentlich besser wissen müssen. Die Begrenzung auf vier Vollmachten galt bereits für die Bundestags-, Landtags- und Europawahl. Im Herbst 2013 wurde diese Änderung auch in die Kommunalwahlordnung übernommen.

H. erhält diese Änderung schriftlich Ende 2013. Er nimmt zudem im Dezember des Jahres an einer Beratung des Landeswahlleiters teil, auf der diese auch erläutert wird. Im Januar verschickt er selbst den Hinweis auf diese Änderung an alle Kollegen in den Gemeinden des Landkreises.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich auch Marie-Luise K. im Stendaler Rathaus wissen müssen, dass sich hier eine gravierende Änderung ergeben hatte. Es war übrigens die einzige für diese Kommunalwahl.

Am 19. März 2014 lädt René H. die Wahlverantwortlichen aller Gemeinden des Landkreises zu einer Vorbesprechung ein. Die sogenannte „Vierer-Regelung“ wird auf Nachfrage von ihm sogar erklärt. Frau K. von der Stadt Stendal war laut Protokoll anwesend. Sie hatte den Ausschussmitgliedern bei ihrer Befragung im Juni jedoch erklärt, sich an diese Ausführungen nicht erinnern zu können.

Und sechs Wochen später ruft K. bei H. an – und erhält eine falsche Auskunft? Der Verwaltungsmitarbeiter versucht, es mit der hohen Belastung bei der Vorbereitung der Wahlen zu erklären.

Der Mehrzahl der Abgeordneten sieht man an, dass sie das nicht so recht glauben wollen. Nur die CDU-Vertreter bemühen sich um einen betont neutralen Gesichtsausdruck.

Doch das ist nicht alles. Ob dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hat, vermag René H. „nicht 100-prozentig“ bestätigen. „Vielleicht 80-prozentig“ sei er sich aber sicher, erklärt er den staunenden Ausschussmitgliedern.

Denen liegt nämlich ein Aktennotiz von H. vor, datiert auf „April/Mai 2014“, wo er den Anruf von K. schildert.

Es ist eine Notiz, die er erst nachträglich erstellt habe, räumt H. ein. Und zwar erst, als K. ein weiteres Mal bei ihm angerufen und in etwa gesagt habe, „aber Sie haben mir doch erklärt“, es gäbe keine Vierer-Regelung bei der Kommunalwahl.

In seiner Befragung datiert H. dieses Telefonat vor den Wahltermin 25. Mai 2014, „es könnte auch danach gewesen sein“. Marie-Luise K. wiederum hatte vor dem Ausschuss nichts von einem zweiten Telefonat wegen der „Vierer-Regelung“ mit H. erwähnt. Sie will erst am 3. Juni von deren Gültigkeit erfahren haben.

So verwirrend all dieses auch ist – eines wird immer deutlicher: Bei der Stadt Stendal müssen entscheidende Stellen weitaus früher von einem massiven Verstoß gegen die Vierer-Regelung gewusst haben, als sie es bislang zugeben.

Womöglich schon vor der Wahl. Dass es sogar 179 Fälle sind, hatte die Verwaltung bis zum 18. Juni 2014 zusammengetragen. Mit Ausnahme eines engeren CDU-Zirkels wurde dies nach außen jedoch eine weitere Woche verschwiegen.

Auch René H. schweigt – als Landrat Carsten Wulfänger (CDU) im Juni 2014 im kleinen Kreis fragt, ob jemand der Stadt die Auskunft gegeben habe, die Regelung für die Vollmachten gelte nicht bei der Kommunalwahl. Eine solche Auskunft habe es nicht gegeben, heißt es deswegen auch lange Zeit aus der Kreisverwaltung.

„Sie haben den Landrat angelogen“, stellt AfD-Abgeordneter Daniel Roi fest. „Wenn ich es bewusst getan hätte, würde das stimmen“, entgegnet H.

Im Frühjahr 2015 holt Wulfänger die Runde erneut zusammen. Da sagt H. dann „es könnte sein. Zu 80 Prozent“. Wulfänger kommuniziert diese „Könnte sein“-Version nach monatelangem Schweigen auf zahlreiche Nachfragen dann erstmals zwei Jahre später.

Wulf Gallert (Linke) sagt H. auf den Kopf zu: „Sie verstehen, dass wir das nicht verstehen können.“