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Ausbildung Wie ein Italiener nach Stendal kam

Von Verona nach Stendal: Davide Epiboli ist Auszubildender beim Sanitätshaus AtO. Extra für die Ausbildung hat er Italien verlassen.

Von Christoph Zempel 07.11.2018, 00:01

Stendal l Schraubenzieher, Hammer, Säge – an allen Ecken und Enden sind Werkzeuge zu sehen. In der Luft liegt ein chemischer Geruch, auf einer Werkbank liegt eine große Beinprothese. Inmitten der Werkstatt des Orthopädie- und Schuhtechnikunternehmens AtO (Atelier für technische Orthopädie) in der Breiten Straße stehen zwei Menschen in blau-grauem Shirt. Einer von ihnen ist Davide Epiboli. Er ist 20 Jahre alt, Auszubildender, und dafür extra aus dem italienischen Verona nach Stendal gekommen.

Tolle mittelalterliche Bauten, Stätte von Romeo und Julia, unweit des Gardasees – nicht wenige Menschen würden sicher gern in die venetische Stadt ziehen. Davide Epiboli ist den umgekehrten Weg gegangen. Er ist im August nach Stendal gezogen.

Aus gutem Grund. Das Sanitätshaus AtO hat ihm eine Ausbildungsstelle angeboten. Zum Orthopädietechniker. Und die Ausbildung zum Orthopädietechniker ist in Deutschland besser als in Italien. Das jedenfalls sagt Davide Epiboli. Und er weiß es aus bester Quelle: „Mein Vater hat selbst einen Betrieb für Orthopädietechnik und er hat mir vorgeschlagen, nach Deutschland zu gehen.“ Hier sei der Theorie- und Praxisteil viel umfangreicher. In Italien gebe es nur ein Studium. Auch die Produkte und das Qualitätsmanagement seien minderwertiger als in Deutschland, sagt er.

Dass er dann bei einem Betrieb in Stendal landet, scheint dennoch ungewöhnlich. Wie der Zufall so spielt, arbeitet Davide Epibolis Vater mit einer Zulieferfirma zusammen, die auch AtO beliefert. So tritt sie als Vermittler auf. Schon nach einer Woche Praktikum hat er die Stendaler Firma überzeugt. Seit August ist er nun Lehrling. AtO hat ihm dabei viele Lasten abgenommen. „Sie haben mir geholfen, eine Wohnung zu finden, ein Bankkonto zu eröffnen und Versicherungen abzuschließen“, erzählt er. Jetzt lebt er in einer WG mit zwei Mitbewohnern. Weitgehend auf eigenen Füßen.

Doch von seinem Vater abgesehen – warum will er Orthopädietechniker werden? „Ich denke, es ist ein guter Beruf, weil man eine gute Mischung aus Theorie und Praxis hat“, sagt er. Man könne lernen, wie etwas funktioniert, und das dann bauen. Jeden Tag helfe man Menschen. „Man kann ihr Leben besser machen, indem man ihnen ein dringend benötigtes Hilfsmittel gibt“, begründet Epiboli, was ihm an dem Beruf gefällt.

In der Orthopädietechnik gibt es drei verschiedene Bereiche: die Prothetik, die Orthetik und die Rehatechnik. In der Rehatechnik geht es darum, mit technischen Hilfsmitteln einen Behandlungserfolg zu sichern und drohende Behinderungen zu vermeiden. Dagegen werden in der Orthetik medizinische Hilfsmittel hergestellt, die Gliedmaßen oder Rumpf stabilisieren und korrigieren sollen. Doch was Davide Epiboli am meisten interessiert, ist die Prothetik – Prothesen herzustellen. „Wie man eine Prothese baut, sie schleift und polstert, das finde ich sehr interessant.“

Auffällig ist zudem, wie gut Davide Epiboli bereits Deutsch spricht. Zwar habe er in der Mittelschule drei Jahre Deutsch in der Schule gehabt, doch einen Sprachkurs hat er hier bislang nicht machen können. „Ich muss noch warten, weil es zehn Teilnehmer braucht.“ Dafür schaut er regelmäßig Serien und Filme auf Deutsch. Auch ein Grammatikbuch hat er sich gekauft.

Am meisten aber hilft es ihm, täglich bei der Arbeit deutsch zu sprechen und zu hören. Und mit der deutschen Sprache soll das Ende nicht erreicht sein. „Ich würde auch gern Französisch und Spanisch lernen“, sagt er. Immerhin könne er dann mit fast jedem kommunizieren. Italienisch und Englisch spricht er ja ohnehin schon. Auch dass er gern reist, dürfte hilfeich für ihn sein.

Doch warum verzichtet er zugunsten von Stendal auf sein sonniges Heimatland? „Italien ist ideal, um Urlaub zu machen, aber es gibt kaum Ausbildungsplätze und keine guten Zukunftsaussichten“, sagt Epiboli. Es sei ja bekannt, wie viele junge Menschen in Italien bis 30 bei ihren Eltern wohnen müssten. Das wolle er nicht. Er habe zwar erst lernen müssen, sein eigenes Leben zu leben. Aber genau das wollte er: selbständig sein.

Das hat er vor allem in Großbritannien gemerkt. Dort war er zwischen Schule und Ausbildung für drei Monate und hat als Röster gearbeitet. Seine beiden Schwestern hat es ebenfalls nach Großbritannien gezogen. Eine arbeitet in einer Podologie, die andere macht eine Ausbildung zur Polizistin. Überhaupt kommt er aus einer multikulturellen Familie. Sein Vater stammt aus Eritrea, seine Mutter aus Italien.

Mehrmals in der Woche telefoniert er mit ihnen. Ob er sie zu Weihnachten sehen wird, ist noch nicht geklärt. Eins jedoch ist klar: Es gibt Dinge, die er hier vermisst. Die Wärme zum Beispiel. „Der Winter wird mir sicher zu kalt sein“, glaubt er.

Sich hier einzugewöhnen, ist nicht leicht. Doch Davide Epiboli tut sein Bestes. In seiner Freizeit spielt er Fußball bei der zweiten Mannschaft von Lok Stendal. „Da wurde ich gut aufgenommen.“ Er geht aber auch oft laufen. Und er kocht. Natürlich Italienisch. „Viel mit Pasta und Gemüse.“ Definitiv positiv überrascht ist er allerdings auch vom deutschen Essen. „Es ist besser als gedacht. In Italien denken wir, dass die Deutschen sich sehr schlecht ernähren.“ Was ihm jedoch fehle, ist die italienische Esskultur. Dort nehme man sich viel mehr Zeit, diskutiere und zelebriere das Essen mehr. „Die Deutschen essen dagegen sehr schnell“, sagt er. Auch hat er es noch nicht geschafft, zu probieren, wie die Pizza hier schmeckt.

„Das müssen wir unbedingt nachholen“, sagt Tobias Bütow. Er ist Betriebsleiter und Prokurist bei AtO. Den Betrieb gibt es bereits seit 1995. Jedes Jahr bildet er aus. Die Geschäftsführer Thomas Flint und Ralph Gerhold haben ein junges Team zusammengestellt. „Wir bilden für uns aus, nicht für den Markt. Jedes Jahr bleibt ein Großteil bei uns“, sagt Bütow.

Und Davide Epiboli? „Ich weiß es noch nicht“, sagt er, „vielleicht mache ich noch meinen Meister oder studiere.“ Doch auch bei AtO gefällt es ihm. Und er dem Betrieb. „Wenn er seine Ausbildung ordentlich abschließt, wären wir bereit, ihn zu übernehmen. Die Sicherheit hat er“, sagt Bütow.