Behinderte Menschen sollen ab September in Oschersleben Berufsausbildung absolvieren Claudius-Haus schmiedet Zukunftspläne
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen hat das Oschersleber Bildungsprojekt "Zukunftswerkstatt" mit einem Preis gewürdigt. Es soll Menschen mit Behinderungen ermöglichen, einen anerkannten Berufsabschluss abzulegen.
Oschersleben (mmt) l Roland Haring ist voller Freude und Stolz. In der weinroten Mappe hat der stellvertretende Werkstattleiter des Standorts Pfefferbach der Matthias-Claudius-Haus-Stiftung Oschersleben auf mehr als 20 Seiten seine Vision einer Berufsausbildung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) zu Papier gebracht. "Zukunftswerkstatt" heißt das Projekt, dass jetzt den Preis "exzellent:bildung 2013" der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG) gewonnen hat. Es sieht vor, Menschen mit Behinderungen nicht nur einen internen, sondern auch einen anerkannten Abschluss nach Beendigung der Berufsausbildung zu geben.
"Das ist längst überfällig", sagt Haring, dem die Idee für das Projekt im vergangenen Jahr bei seiner sonderpädagogischen Zusatzausbildung gekommen ist. "Ich habe das Thema zum Inhalt meiner Abschlussarbeit gemacht", sagt der 50-Jährige. Bei der Präsentation ermutigt man ihn von verschiedenen Seiten, sich damit für den exzellent-Preis zu bewerben. "Alle reden davon, dass geeignete Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz finden sollen. Nur über das ¿Wie\' gibt es nichts Konkretes", sagt Haring. Er gibt sich einen Ruck, überarbeitet alles und nimmt an dem mittlerweile achten exzellent-Wettbewerb der BAG teil. Im Februar kommt die Nachricht, er habe es unter die ersten Drei geschafft. Mitte März folgte dann die Krönung zum Sieger.
Im Mittelpunkt der "Zukunftswerkstatt" steht eine neu strukturierte Ausbildung, die auf bundeseinheitlichen Qualifizierungsbausteinen aufbaut. Dieses Projekt ist damit, in Abstimmung mit der jeweils zuständigen Handwerks- oder Handelskammer, praktisch auf jede WfbM in Deutschland übertragbar. Haring hat das Projekt anhand des Tischlerberufs beschrieben. Zehn Qualifizierungsbausteine umfasst der Ausbildungsberuf Tischler, unter ihnen beispielsweise "Bearbeiten von Vollholz und Herstellen einfacher Werkstücke", "Einbau von Zimmertüren" oder "Trockenbauarbeiten". Die Auszubildenden können anerkannte Abschlüsse in einem oder mehreren dieser Module ablegen - unabhängig von einer festgelegten Ausbildungsdauer. Im Fall der WfbM der Oschersleber Matthias-Claudius-Haus-Stiftung wird der durch die Handwerkskammer Magdeburg vergeben. Die sitzt von Anfang an mit im Boot und fungiert als Prüfungsorgan - wie bei jedem anderen Handwerker-Azubi auch.
Die praktische Ausbildung findet in der stiftungseigenen Lehrwerkstatt für Tischler am Standort Pfefferbach statt. Da bislang ein Tischlermeister mit Ausbildernachweis im Mitarbeiterstamm fehlte, stellte die Stiftung zum Jahresanfang Thomas Lenge ein. Eine Grundvoraussetzung, um das Projekt auf den Weg zu bringen und am 1. September offiziell starten zu lassen. Die Praxisausbildung orientiert sich streng an den durch den Zentralverband des Deutschen Handwerks herausgegebenen Qualifizierungsbausteinen.
Fachtheoretisch werden die Azubis im Unterricht an der Kreisvolkshochschule Oschersleben fit gemacht. Mathe und Deutsch sind die Kernfächer dieses "Stützunterrichts". Haring weiß, dass das Projekt nicht für jeden greifen kann. "Junge Menschen mit einer seelischen Behinderung oder Quereinsteiger, die wegen einer Depression oder eines Burnouts neu beginnen müssen, ist das Klientel, die diese Chance bekommen sollen." Auch wer durch eine Alkoholkrankheit beeinträchtigt war oder Beschäftigte, die ihre "normale", zweijährige berufliche Bildung beendet und eine Arbeit in der Werkstatt längst begonnen haben, könnten ein anerkanntes Zertifikat für eine abgeschlossene Teilausbildung erlangen.
Für die achtköpfige Wettbewerbs-Jury ein schlüssiges Konzept. Sie lobte das Projekt als "wichtigen Schritt in Richtung berufsorientierte Qualifizierung" und würdigte die Arbeitsmarktnähe, die vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit der Magdeburger Handwerkskammer gegeben ist. Die hat die Oschersleber WfbM im Mai 2012 als Ausbildungsbetrieb anerkannt und damit die Weichen gestellt.
Jetzt wollen die Verantwortlichen der Matthias-Claudius-Haus-Stiftung und der Handwerkskammer Klinken putzen und unter anderem bei den Ministerien und beim Regionalen Einkaufszentrum Halle die Werbetrommel rühren und finanzielle Hilfen lockermachen. Roland Haring will bei der "Aktion Mensch" Investitionsfördermittel beantragen und Kooperationen mit anderen Werkstätten anschieben. Und auch in Sachen Visionen gibt es keinen Stillstand. "Unser Wunsch ist es, in Oschersleben ein zentrales Ausbildungszentrum zu schaffen. "Aber da müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten", ist sich der Ausbildungsvisionär sicher.