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Kein gutes Jahr Die bedrohte Zukunft der Zuckerrübe

Kann die Fabrik in Klein Wanzleben mit ihren mehr als 160 Mitarbeitern bestehen, wenn der Zuckerpreis auf diesem Niveau bleibt?

24.11.2019, 11:35

Klein Wanzleben l Udo Harten nimmt kein Blatt vor den Mund. Er sei nicht zufrieden mit der derzeitige Situation, betont der Direktor der Zuckerfabrik in Klein Wanzleben. Nicht mit dem Zuckerpreis, auch nicht mit den Ernteerträgen. „Wenn das jetzt drei oder vier Jahre so bleibt, macht es keinen Sinn mehr“, sagt er. Und meint die Zukunft seiner Zuckerfabrik. Und damit auch die Zukunft der Zuckerrübe in der Börde insgesamt.

Zahlen verdeutlichen das Problem: Die Fabrik in Klein Wanzleben rechnet in diesem Jahr damit, rund 1,3 Millionen Tonnen Zuckerrüben zu verarbeiten. Laut Harten ist das nicht viel mehr als im vergangenen Jahr. Davor seien es aber noch 1,8 Millionen Tonnen gewesen, sagt der Direktor. Dazu kommt der gesunkene Zuckerpreis. Vor drei Jahren war die Tonne Zucker am Terminmarkt in London noch mehr als 500 Euro wert. Im vergangenen August war der Preis auf ein Tief von unter 280 Euro gesunken. Derzeit liegt er bei etwa 300 Euro.

Für die großen Zuckerproduzenten ist das ein Problem. Seit dem Wegfall der europäischen Zuckermarktordnung im Jahr 2017 müssen sie sich auf dem Weltmarkt behaupten. Zuvor hatten Zölle, Subventionen und Quoten den europäischen Zuckerproduzenten das Geschäft gesichert. Jetzt müssen viele sparen. Südzucker, Europas größter Zuckerproduzent, verkündete zu Beginn dieses Jahres, fünf Fabriken schließen zu wollen. Die Nordzucker AG mit Sitz in Braunschweig, zu der auch die Fabrik in Klein Wanzleben gehört, vermeldete im Frühjahr Verluste von mehr als 50 Millionen Euro sowie einen deutlichen Umsatzrückgang. Auch nach dieser Ernte rechnet das Unternehmen laut Harten mit Verlusten, allerdings nicht so deutlich wie zuletzt.

Kann die Fabrik in Klein Wanzleben mit ihren mehr als 160 Mitarbeitern bestehen, wenn der Zuckerpreis auf diesem Niveau bleibt? „Das ist zu wenig“, sagt Harten. „Wenn es so bleibt, stehen andere Standorte aber auch zur Diskussion.“

Derzeit fahren täglich etwa 800 Lkw durch das Eingangstor der Fabrik, um Rüben abzukippen. Sie kommen vor allem von Feldern aus der Börde. Rund 900 Landwirte produzieren sie für die Fabrik. Nordzucker zahle ihnen mit einigen Verträgen Preise, die sich für das Unternehmen aktuell nicht lohnten, berichtet Harten. „Wir denken da längerfristig“, sagt er. Die Landwirte würden im Schnitt nur etwas mehr als zehn Prozent ihrer Ackerfläche für den Zuckerrübenanbau nutzen, erläutert Harten. Reduzieren sie diesen Anteil aufgrund schlechter Preise, hat das direkte Auswirkungen auf die Auslastung der Fabrik.

Thomas Seeger will seinen Zuckerrübenanbau nicht zurückfahren. „Ich bin ein Freund der Zuckerrübe“, betont der Landwirt, der die Agrar-Gesellschaft Börde in Rottmersleben leitet. Seeger sitzt im Vorstand des Zuckerrübenanbauerverbands Magdeburg, außerdem ist er Aktionär bei Nordzucker. „Der Zucker“, sagt Seeger, „hat diese Region reich gemacht“. In der Börde seien einst Pflasterstraßen mit dem Geld gebaut worden. „Damals war die Zuckerrübe die Königin der Feldfrüchte“, betont der Landwirt.

Tatsächlich ist die Anbaugeschichte der Rübe in der Region lang. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entschlossen sich Bauern in der Börde zum Anbau. In den 1840er Jahren hatten sie die Zuckerfabrik in Klein Wanzleben gegründet.

„Früher hat man die Zuckerrübe sehr in den Himmel gehoben“, sagt Seeger. Der Anbau sei auch für seinen Betrieb sehr lukrativ gewesen. Nun müsse sich die Zuckerrübe auf dem Weltmarkt behaupten. Er bekomme von der Fabrik bei den aktuellen Zuckerpreisen zehn bis 15 Prozent weniger für die Tonne Rüben als noch vor zwei Jahren. Wenn die Preise nun so bleiben und der kommende Sommer wieder so trocken würde wie der letzte, wäre das ein Problem für viele Landwirte, sagt Seeger.

Die Agrar-Gesellschaft Börde baut Zuckerrüben auf etwa 200 Hektar an, das ist rund ein Zehntel der Anbaufläche des Betriebs. In diesem wie im vergangenen Jahr erntete der Betrieb rund 60 Tonnen Rüben pro Hektar. Vor 2018 hat der Dreijahresschnitt laut Seeger noch bei 80 Tonnen pro Hektar gelegen. Der höhere Zuckergehalt aufgrund der Trockenheit (von Landwirten als Rosineneffekt bezeichnet) gleicht die Ertragseinbußen nicht aus.

Seeger sagt: „Es ist unsere Verantwortung als Landwirte, dass wir die Fabrik mit Rüben versorgen und sie damit erhalten.“ An einem Arbeitsplatz in der Fabrik hingen etwa zehn weitere Arbeitsplätze, sagt er. Das wären mehr als 1600 Arbeitsplätze in der Region. Dass diese bald verschwinden, dass keiner mehr Rüben anbaut, das glaubt Seeger nicht. Er betont, auch bei andere Kulturpflanzen seien die Erträge aufgrund der Trockenheit der vergangenen beiden Sommer schlecht gewesen. Außerdem sei er Optimist.