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Landwirtschaft Erste Frau nach fünf Generationen

Der Bauernhof von Vanessa Kuthe in Groß Rodensleben ist bereits seit über 100 Jahren in Familienbesitz.

Von Josephine Schlüer 17.11.2020, 23:01

Groß Rodensleben l Auf einem Traktor saß Vanessa Kuthe zum ersten Mal, als sie vier Jahre alt war. „Mitgemacht habe ich schon immer“, sagt die Groß Rodensleberin. Sie sei mit der Landwirtschaft aufgewachsen.

Den Berufswunsch der Bäuerin verfolgte sie nie bewusst. Aus heutiger Sicht sagt sie aber: „Eigentlich kam immer nur das in Frage.“ Vor einigen Jahren fiel der Onkel aus gesundheitlichen Gründen im Familienbetrieb aus. Also sei die damals knapp 20-Jährige kurzerhand auf einen Mähdrescher gesetzt worden, „und dann ging‘s los“, erinnert sie sich. Für die Abiturprüfung in Biologie habe sie während der Heuernte gebüffelt. Die Schule war ab diesem Zeitpunkt Nebensache. Vanessa bestand dennoch ihr Abitur und studierte anschließend bis 2018 Landwirtschaft in Bernburg.

Vor drei Jahren verstarben Vanessas Großeltern, die ihr ganzes Leben als Bauern den Hof gemeinsam mit Sohn Ulrich Kuthe, Vanessas Vater, der nun als einziger übrig war, bewirtschaftet hatten. „Da haben wir überlegt, was machen wir jetzt?“ Sie wollte die Lücke füllen, sagt die jetzige Inhaberin des Hofes, die gleichzeitig auch die jüngste Bäuerin der Einheitsgemeinde Wanzleben-Börde ist. Das berichtete Josie Müller, Abteilungsleiterin Landwirtschaft, vom Amt für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten Mitte.

Der Bauernhof der Kuthes in Groß Rodensleben hat eine lange Tradition und existiert seit über 100 Jahren. Vanessa Kuthe führt den Betrieb jetzt in der sechsten Generation als erste Frau in der Familiengeschichte. Sie hat zwei jüngere Schwestern, die sich jeweils für einen Berufsweg außerhalb der Landwirtschaft entschieden haben. Ohne Vanessa Kuthes Entscheidung für ein Leben als Bäuerin wäre der Familienbetrieb früher oder später verkauft worden.

Mit der Übernahme des Bauernhofes ging Vanessa Kuthe eine große Verpflichtung ein. „Gearbeitet wird von Montag bis Sonntag“, sagt die Jungbäuerin. Jedes Tier wolle täglich versorgt werden. Zwar wohnt Vanessa nicht mehr auf dem Grundstück, verbringt aber täglich bis zu 14 Stunden dort mit ihren Eltern. Ihr Arbeitstag beginne zwischen sieben und acht Uhr, auch dann, „wenn ich am Abend zuvor mal länger feiern war“, zeigt sich die 26-Jährige engagiert. Morgens versorgt sie zuerst die Kälber. „Die bekommen ihre Milch.“ Danach kümmere sie sich um die Kühe und Schweine. Ausgemistet werde fast täglich, weil alle Tiere auf Stroh leben. Kuthe legt Wert auf eine regionale Vermarktung und kurze Wege beim Viehtransport. „Von uns aus werden keine Tiere quer durch Europa gefahren. Ich verkaufe meine Schweine möglichst an Betriebe aus der Börde und nicht zu Schlachthof-, sondern zu unseren Festpreisen.“ Auch Ackerbauflächen besitzt Vanessa Kuthe. „Diese lassen wir aber extern bewirtschaften“, sagt sie. „Das würden wir sonst gar nicht schaffen neben der Arbeit im Stall mit insgesamt etwa 30 Rindern und 350 Schweinen.“ Die Büroarbeit sei ebensowenig zu unterschätzen. „Die Übergabe ist ein sehr langwieriger und bürokratischer Prozess“, sagt die Groß Rodensleberin. Auch hätten die vergangenen Hitzesommer ihrem Betrieb wie vielen anderen zugesetzt und das Wirtschaften erschwert. „Tierfutter mussten wir beispielsweise zukaufen, weil unser Getreide vertrocknet ist“, erinnert sich Vanessa Kuthe.

Viele Frauen sieht die 26-Jährige nicht, wenn sie auf andere Bauern trifft. Auch während des Studiums waren die meisten Mitstudierenden Männer. „Die Landwirtschaft ist noch ziemlich männerdominiert“, schätzt sie ein. Im Großen und Ganzen fühle sie sich in der Bauerngemeinschaft aber gut aufgehoben und ernst genommen. „Wenn es mal nötig ist und ich mir einen dummen Spruch anhören muss, dann kann ich ganz gut kontern“, scherzt Kuthe. Außerdem sei ihr Vater sowieso meistens als Rückenstärkung in der Nähe.

Während des Studiums hat sich die Groß Rodensleberin gut vernetzt. Sie absolvierte Praktika in verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft. „Ich kann auch jetzt noch Leute vor Ort anrufen und um Rat fragen, wenn ich mal nicht weiter weiß.“ Insbesondere um die Hintergründe für die Abläufe auf einem Bauernhof zu verstehen, greift sie oft auf die Expertise von ehemaligen Kommilitonen und Lehrkräften zurück. „Ich lerne ständig dazu und aus Fehlern leider Gottes am meisten“, gibt Vanessa Kuthe zu. Als eine ihrer Kühe vor einiger Zeit ein Kalb tot zur Welt brachte, habe sie das lange beschäftigt. Das Kalb lag verkehrt herum im Geburtskanal. „Da hätte ich früher hingucken müssen, beim nächsten Mal passiert mir das nicht“, sagt sie.

Für ein Privatleben hat die Jungbäuerin nur wenig Zeit. Im Moment bewirtschaften Vanessa und Ulrich Kuthe den Hof größtenteils allein. „Das letzte Mal im Urlaub war ich vor zwei Jahren“, sagt die 26-Jährige. Die Vorbereitungen dafür seien schon so aufwendig, dass sie lieber nicht so häufig wegfährt. „Die Arbeit, die liegenbleibt, muss nachgeholt werden. Da lohnt sich der Urlaub meistens gar nicht“, so Kuthe. Auch wenn sich die junge Frau mit Freundinnen trifft, „dann muss ich meistens immer nochmal los“, sagt sie. „Langfristig würde ich gern so viel erwirtschaften, dass wir noch jemanden einstellen können, so dass man wenigstens einen Tag in der Woche frei hat“, wünscht sich die junge Bäuerin.

Was ihr Vater und ihre Urgroßväter in fünf Generationen aufgebaut haben, möchte Vanessa gern erweitern, insbesondere stärker auf die regionale Direktvermarktung setzen. Zusätzliches Selbstvertrauen erlangte die Jungbäuerin, als sie vier Wochen lang den Hof allein ohne ihren Vater bewirtschaften musste. Ulrich Kuthe war wegen einer Operation ausgefallen. „Obwohl das eine schwierige Zeit war, habe ich gemerkt, dass ich das packen kann“, sagt Kuthe.

Ihrem Vater falle es zwar nicht immer leicht loszulassen, „aber er unterstützt meine Entscheidungen letztendlich immer. Das hilft.“